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Insolvenz Allgäu: Mehr Geschäftsaufgaben durch Corona?

Insolvenz durch Corona im Allgäu

"Es wäre schön gewesen, das alles zu überstehen": So hat ein Allgäuer Unternehmer die Corona-Zeit erlebt

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    Die Corona-Zeit war für viele Allgäuer Unternehmen eine große Herausforderung. Aber haben auch mehr Betriebe in dieser Zeit Insolvenzanträge gestellt?
    Die Corona-Zeit war für viele Allgäuer Unternehmen eine große Herausforderung. Aber haben auch mehr Betriebe in dieser Zeit Insolvenzanträge gestellt? Foto: Martin Gerten, dpa (Symbolbild)

    Als sich Markus Negele aus Türkheim im November 2018 mit seinem Busunternehmen selbständig macht, ist er optimistisch. Er ist zu diesem Zeitpunkt bereits seit knapp zehn Jahren im Busgeschäft tätig und bringt einen großen Kundenstamm mit. Der Optimismus zahlt sich aus, das Geschäft läuft "hervorragend an". So gut sogar, dass sich Negele bereits 2019 dazu entschließt, zwei weitere Busse anzuschaffen. Zu dieser Zeit übernimmt er selbst die meisten Fahrten, beschäftigt aber auch regelmäßig Aushilfsfahrer. Seine Frau übernimmt derweil die Büroarbeiten. "Es ist super gelaufen, bis zum März 2020", erinnert sich Negele heute. Die ersten drei Monate des Jahres sind noch sehr erfolgreich und der Busunternehmer führt im März noch ein Gespräch mit einem Bewerber, der sein erster fester Angestellter werden soll. Doch dazu kommt es nicht mehr.

    IHK Schwaben: "Kein spürbarer Anstieg von Geschäftsaufgaben"

    "Infolge der Corona-Beschränkungen verloren viele Unternehmen quasi über Nacht ihre Geschäftsgrundlage", erklärt Simion Hersonski, IHK-Experte aus dem Beratungszentrum Recht und Betriebswirtschaft Schwaben. Das betraf sowohl Selbstständige wie Markus Negele als auch große Unternehmen in der Region. Die meisten von ihnen haben diese schwere Zeit aber offenbar dennoch überlebt, wie der IHK-Experte sagt: "Aufgrund unserer Beratungspraxis stellen wir keinen spürbaren Anstieg von Geschäftsaufgaben in der Region fest, die mittel- oder unmittelbar auf die Corona-Beschränkungen zurückzuführen sind". Die Gründe für eine Geschäftsaufgabe werden allerdings grundsätzlich nicht erfasst. Der Blick in die Statistik bestätigt die Einschätzung der IHK größtenteils - doch nicht in allen Bereichen.

    Insolvent durch Corona? Vor allem Selbstständige betroffen

    Die Zahl der Regelinsolvenzanträge beim Amtsgericht Kempten etwa ist seit dem Jahr 2020 auf einem ähnlichen Niveau geblieben. Beim Amtsgericht Memmingen ist dagegen eine leichte Steigerung zu erkennen. Diese Entwicklung entspricht laut Richter Nicolai Braun dem Landesdurchschnitt. Spannend ist hier vor allem der gezielte Blick auf ehemals selbstständig Tätige und Unternehmen. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Gruppen gibt es bei den Auswertungen der Amtsgerichte nicht, doch ein Blick auf die Zahlen des Bayrischen Landesamtes für Statistik zeigt: Während sich die Zahl der Unternehmensinsolvenzen seit Beginn der Pandemie nicht gesteigert hat, ist bei den ehemals selbstständig Tätigen ein deutlicher Anstieg zu erkennen.

    Viel klarer sieht es bei den Privatinsolvenzen aus. Hier steigen die Zahlen seit 2020 deutlich an, auch im Allgäu.

    Halbe Milliarde Euro Corona-Hilfen im Allgäu ausgezahlt

    Markus Negele gehört zur Gruppe der ehemals Selbstständigen. Als er im März 2020 plötzlich keine Fahrten mehr machen kann, ist er zunächst nicht beunruhigt. Hinzu kommen die schnellen Corona-Hilfen der Regierung, mit denen der Unternehmer 2020 "ganz gut über die Runden kommt". Dass die staatlichen Hilfen zu dieser Zeit für viele Betriebe und Selbstständige enorm wichtig waren, weiß Simion Hersonski von der IHK Schwaben. Das zeigt sich auch in der großen Nachfrage: "Bis April 2022 ist über eine halbe Milliarde Euro an Corona-Wirtschaftshilfe allein an Betriebe im Allgäu ausgezahlt worden", sagt der IHK-Experte. Auch Negele ist dankbar für die schnelle Hilfe, weiß aber auch, dass andere Branchen oft mehr kämpfen mussten, um das Geld zu bekommen.

    Der Türkheimer erhält bis zum Frühjahr 2021 Unterstützung, dann werden die Zahlungen eingestellt. Der Grund: Ab diesem Zeitpunkt sind Busreisen, wie sie Negele anbietet, offiziell wieder erlaubt. Doch die Realität sieht anders aus. Aufgrund der geltenden Abstandsregeln kann der Selbstständige anfangs nur so wenige Leute im Bus mitnehmen, dass die Fahrt sich unmöglich rechnen kann. Und selbst, als Fahrten mit Maske und weniger Abstand möglich sind, kommt das Geschäft nicht in Schwung. Die Kunden sind aufgrund der Lage verunsichert, sagen ihre Reisen wieder ab oder buchen gar nicht erst. Nachdem der Sommer 2021 keine Erleichterung bringen kann und die Aussicht auf den Winter noch düsterer ist, entschließt sich Markus Negele zum finalen Schritt und stellt im August 2021 den Insolvenzantrag.

    Ab März 2020 hat die Corona-Pandemie das Allgäu fest im Griff: Abstand halten, Maske tragen, Kontaktbeschränkungen einhalten, Lockdowns durchstehen. All das gehörte wegen der Corona-Pandemie in der Region zum Alltag.
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    Die letzten Corona-Maßnahmen liefen vor einem Jahr aus. Vieles gerät in Vergessenheit. Doch wie lief die Pandemie im Allgäu ab? Eine Chronologie in Bildern.

    Viele Krisen stellen Allgäuer Unternehmen vor Herausforderungen

    Auch wenn viele seiner Kolleginnen und Kollegen nicht diesen letzten Schritt gehen mussten, haben doch die meisten mit erheblichen Folgen der Pandemie zu kämpfen, so Negele. Viele mussten ihre gesamten Rücklagen aufbrauchen und geplante Projekte absagen. Da Negele aufgrund seines jungen Unternehmens keine Rücklagen aufbauen konnte, trafen ihn die Einschränkungen besonders hart. Hinzu kommt, dass die Corona-Pandemie nicht die einzige Herausforderung ist, der sich Allgäuer Unternehmen in den letzten Jahren stellen musste. "Seit mehreren Jahren haben die Unternehmen mit mehreren Krisen gleichzeitig zu kämpfen", so IHK-Experte Hersonski. Geschäftsaufgaben seien daher, anders als bei Markus Negele, nicht immer nur auf eine Ursache zurückzuführen.

    Aktuell kämpften beispielsweise viele Unternehmen mit den Folgen des Ukraine-Krieges: "Von den Unternehmen, die jetzt ihr Geschäft aufgeben, gibt es durchaus welche, die sich noch durch die Corona-Krise gekämpft hatten, nun aber die Folgen des Krieges, wie immens hohe Energiekosten, nicht mehr stemmen konnten." Ähnlich geht es auch der Memminger Brauerei, für die im Februar 2023 ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet wurde.

    Dennoch blicken die meisten Betriebe der Region laut IHK Schwaben aktuell positiv in die Zukunft. "Die Unternehmen im Allgäu sind krisenerprobt und haben in den vergangenen Jahren einige Tiefs erlebt", sagt Hersonski. Die Allgäuer Wirtschaft sei geprägt von einem heterogenen Branchenmix. Daher können Konjunktureinbrüche in der Region gut aufgefangen werden. Die IHK Schwaben geht daher aktuell "nicht davon aus, dass es in den kommenden Monaten zu großflächigen Geschäftsaufgaben kommt".

    Insolvenz hinterlässt Spuren

    Markus Negele arbeitet heute wieder als angestellter Busfahrer in einem Türkheimer Busunternehmen. Doch schon bald will er neue berufliche Wege einschlagen. Ab April beginnt der passionierte Eisbader eine Ausbildung zum Fachangestellten für Bäderbetriebe und arbeitet dann als Bademeister im Türkheimer Freibad. Der Pandemie-Zeit kann er rückblickend sogar etwas Positives abgewinnen. Da er ab März 2020 nicht mehr arbeiten konnte, hatte er Zeit sich um seine zwei Kinder zu kümmern und so viel mehr mit ihnen zu verbringen, als ihm dies als aktiver Geschäftsführer eines Busunternehmens je möglich gewesen wäre.

    Dennoch ist die Insolvenz nicht spurlos an ihm vorbeigegangen - auch weil er dabei letztlich eine sechsstellige Summe verlor. "Natürlich wäre es schön gewesen, das alles zu überstehen“, sagt Negele heute. Doch auf die Frage, ob er sich vorstellen könnte, noch einmal den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen, hat er eine klare Antwort: "Definitiv nicht".

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