Kontrabassist Georg Breinschmid und Geiger Benjamin Schmid harmonieren bei ihren Classix-Auftritten in Kempten.
Bild: Ralf Lienert
Kontrabassist Georg Breinschmid und Geiger Benjamin Schmid harmonieren bei ihren Classix-Auftritten in Kempten.
Bild: Ralf Lienert
Allein das Zuschauen macht bei Georg Breinschmid Spaß. Wenn er die Saiten seines Kontrabasses streicht und zupft, bewegt sich der ganze Körper mit. Mal umschlingen die Beine das massige Instrument, mal wird es zum Tanzpartner. Wie der berühmte Zappelphilipp kann Breinschmid keine Sekunde ruhig bleiben. Das spiegelt sich in seinen Augen: Ihr Blitzen zeigt die Freude am Spielen. Und sie suchen an diesem Abend im Kemptener Stadttheater dauernd den Kontakt zu Benjamin Schmid, der keine zwei Meter weiter die Finger über den Hals seiner Geige und den Bogen über die Saiten flitzen lässt.
Schmid und Breinschmid bilden beim Auftaktkonzert des diesjährigen Classix-Festivals am Samstag ein Duo infernale, das alle mitreißt: die 16 Musikerinnen und Musiker des schwedischen Kammerorchesters Musica Vitae auf der Bühne und die 350 Zuhörerinnen und Zuhörer im Saal. Erst erledigt das der Violinist und künstlerische Leiter des Festivals alleine, bei Antonio Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“, dann gemeinsam mit Bassist Breinschmid und Pianist Antoni Donchev.
Benjamin Schmid lebt damit erneut seine beiden Leidenschaften aus, nämlich Klassik und Jazz. Es ist zugleich das Konzept, mit dem er seit vier Jahren das Kammermusikfestival aus dem Dasein als Nischenklassik befreien und für ein breites Publikum schmackhaft machen möchte. Diesmal hat sich der 55-jährige Professor aus Salzburg seinen alten Freund Georg Breinschmid aus Wien als „Artist im Fokus“ dazu geholt. Beide ticken ähnlich: Die Klassik allein ist ihnen nicht genug.
Breinschmid hatte bei den Wiener Philharmonikern einst eine Stelle als Kontrabassist. Doch nach zwei Jahren war klar: Er muss da raus. „Ich wäre ein unglücklicher Mensch geworden, wenn ich geblieben wäre“, sagte er bei der Konzerteinführung, die Classix-Dramaturgin Katja Tschirwitz neuerdings anbietet, und die bei den ersten beiden Konzerten gern angenommen wurde. Inzwischen komponiert Georg Breinschmid auch.
Classix profitierte zweifach davon: Am ersten Abend stellte er im Trio mit Schmid und Donchev, grundiert von einem Musica-Vitae-Klangteppich, fünf kurze Stücke vor, die sich irgendwo zwischen Jazz, Musette, Balkan-Sound und Wiener Schmäh bewegen. Sie sind so witzig-ironisch, schräg und abenteuerlich wie Breinschmids Tanz mit dem Bass. Er und Schmid zelebrieren bei den improvisierten Passagen eine schier unglaubliche Virtuosität. Die ist nie akademisch, sondern durchweg musikantisch. Bei der Zugabe lacht Schmid immer wieder Breinschmid zu: Ja, das macht richtig Spaß.
Am Sonntagabend steht ein ausgewachsenes Solokonzert von Breinschmid als Uraufführung auf dem Programm: Er hat es für seinen Freund „Beni“ geschrieben. Die Zutaten sind ähnlich wie tags zuvor, und erneut geht es vergnüglich-virtuos zu. Der Komponist hat seinem Geigenfreund verdammt viele Töne reingeschrieben und lässt ihm zugleich viel Raum zum Improvisieren. Warum hört man nicht mehr solch schmissig-süffige Musik im Konzertsaal? Der Applaus ist riesig dafür.
Dass so etwas nicht jedem Musikfreund gefällt, weiß auch Benjamin Schmid. Deshalb hat er die beiden ersten Abendprogramme jeweils mit einem Klassik-Hit kombiniert, damit jene auf ihre Kosten kommen, die es lieber konventionell möchten: am Samstag mit Vivaldis „Jahreszeiten“, am Sonntag mit Haydns beliebtem Klavierkonzert Nr. 11 in D-Dur. Schmid bringt auf seiner volltönenden Stradivari Vivaldis bildgewaltiges Barock-Juwel von 1725 mit überschäumender Spiellaune zum Glänzen. Ebenso gern hört man seiner Frau Ariane Haering zu, die Haydns Klavierkonzert so interpretiert, wie der sich das 1782 wohl vorgestellt hat: beschwingt und locker-leicht – obwohl der Solopart superschwer ist.
Ob Schmids Konzept der Kontraste langfristig aufgeht, ist allerdings nicht so ganz klar. Während der Auftaktabend für Classix-Verhältnisse bestens besucht war, blieben am Sonntagabend schon wieder viele Plätze frei, nur 150 waren besetzt. Warum? Darüber lässt sich trefflich spekulieren. Ist der Brückenschlag zwischen Klassik und (populärem) Jazz für viele Allgäuer vielleicht doch nicht das, was sie im Konzertsaal hören möchten?