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Baukultur im Allgäu: Wie umgehen mit alten Gebäuden?

Interview zur Allgäuer Baukultur

Wie umgehen mit alten Gebäuden? Ein Experte weiß, was zu tun ist

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    Gilt als gelungenes Beispiel für den Erhalt alter Gebäude: Zehntstadel in Steinheim bei Memmingen.
    Gilt als gelungenes Beispiel für den Erhalt alter Gebäude: Zehntstadel in Steinheim bei Memmingen. Foto: Thomas Weigert

    Herr Dufter, sollen alte Gebäude, die heutige Standards des Wohnens und Arbeitens nicht mehr erfüllen, erhalten und modernisiert werden?

    Dufter: Tradition und Fortschritt schließen einander nicht aus, vielmehr ergänzen sie sich im gegenseitigen Dialog. Ein Grundsatz des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege lautet: „Das kulturelle Erbe bewahren und zeitgemäß weiterentwickeln.“

    Aber im Allgäu wird oft nach der Maxime gehandelt: „Weg mit dem alten Glump“.

    Dufter: Verschwindet das „alte Glump“, werden Ortsbild und Kulturlandschaft ärmer. Zudem macht es in der heutigen Zeit des Klimawandels Sinn, die im Bestandsgebäude gespeicherte „Graue Energie“ zu erhalten. Alte Gebäude erzählen ihre Geschichte, sie ermöglichen einen Blick in die Vergangenheit. Darüber hinaus können sie auch ein Merkzeichen in einem städtebaulichen Gefüge sein sowie der Orientierung und Identifikation dienen.

    Wie lassen sich Tradition und Moderne architektonisch miteinander versöhnen?

    Dufter: Man darf die Randbedingungen fortschrittlicher Lösungen nicht als Zwang sehen, sondern als Möglichkeit, gestaltend tätig zu sein. Würden Modernisierungsmaßnahmen in das Konstruktions- oder Raumgefüge eines alten Gebäudes massiv eingreifen, sollte man überlegen, ob man durch Gebäudeerweiterungen oder Anbauten schonende Alternativen finden kann.

    So sieht die andere Seite des renovierten Zehntstadels in Steinheim aus.
    So sieht die andere Seite des renovierten Zehntstadels in Steinheim aus. Foto: Thomas Weigert

    Bei Sanierungen, Umbauten und Modernisierungen verzichten Bauherren oft noch auf Architekten als Experten. Ist das sinnvoll?

    Dufter: Auf Architekten zu verzichten wäre unklug. Sie haben den Überblick über die gesamte Bauaufgabe. Aufgrund ihrer Fachkompetenz planen sie im Sinne des Bauherrn. Sie wissen, welche Fachleute und Handwerker hinzugezogen werden müssen, und haben die Kostenkontrolle in der Hand.

    Wie modern dürfen Gebäude in den Dörfern sein?

    Dufter: Die Architekten des „Neuen Bauens“ der 1950er und 1960er Jahre wollten mit der Stahlbetonbauweise, dem Flachdach und großen Verglasungen eine neue Architektursprache einführen, die das überlieferte Bauern erneuern sollte. In der gegenwärtigen Baukultur hat sich diese Sichtweise relativiert, und man ist beim zeitgemäßen Bauen dazu übergegangen mehr auf den örtlichen Kontext und eine nachhaltige Bauweise einzugehen. Dennoch ist die Tendenz festzustellen, dass der Individualismus zunimmt.

    Was meinen Sie damit?

    Dufter: Man will sich selbst verwirklichen oder Haustypen adaptieren, die man in anderen Regionen oder Ländern kennengelernt hat, etwa im Urlaub. Bei aller individuellen Freiheit in der Gestaltung wird dabei oft die Rücksichtnahme vernachlässigt hinsichtlich der umgebenden Kulturlandschaft mit ihrem Charakter, der benachbarten Bebauung und des örtlichen Kontexts. Zeitgemäßes Bauen ist heute zugleich auch klimabewusstes Bauen. Beispielsweise ist die Verwirklichung einer gut gestalteten Dachlandschaft mit Fotovoltaik als Deckung eine wichtige gestalterische Herausforderung.

    Wie muss ländliche Baukultur aus Sicht des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege generell aussehen?

    Dufter: Sie soll sich in die regionale und örtliche Hauslandschaft einfügen und geprägt sein von der Schlüssigkeit und Einheitlichkeit der Konstruktion und der Materialien. Das unreflektierte Nachahmen historischer Formen sowie ein künstlerisch verstandenes „Disneyland“ schaffen letztendlich nur sinnleere Kulissen.

    Verblüffende Gestaltung im Inneren: der Zehntstadel Steinheim ist zum Dorfgemeinschaftshaus geworden.
    Verblüffende Gestaltung im Inneren: der Zehntstadel Steinheim ist zum Dorfgemeinschaftshaus geworden. Foto: Thomas Weigert

    Wie kann das Handwerk sich in diesen Prozess einbringen?

    Dufter: Handwerker haben das Wissen um die regionalen Baustoffe und das Können, sie konstruktiv richtig zu verarbeiten. Ziel ihrer Arbeit ist die Langlebigkeit, das Ressourcensparen und das würdige Altern der Materialien.

    Im Allgäu wird bisweilen beklagt, dass die Dörfer sich entwickeln wie ein amerikanischer „Donut“: Der Kern entleert sich, an den Rändern sprießen Siedlungen, die gesichtslos sind. Was kann man dagegen unternehmen?

    Dufter: Das Wohnen muss in den Ortskernen erhalten bleiben. Leerstehende Gebäude sollten instandgesetzt werden, damit Wohnraum im Inneren und nicht im Außenbereich entstehen kann. Auch sollte die Auslagerung von Geschäften des täglichen Bedarfs in die Umgebung verhindert werden. In der Bevölkerung muss das Bewusstsein für diese Ziele gestärkt werden.

    Die Tagung des Landesvereins beschäftigt sich vor allem mit der Zukunft alter Scheunen und Stadel. Wie können sie sinnvoll erhalten werden?

    Dufter: Da Stadel wegen ihrer Funktion als Lagergebäude bei weitem nicht so wertgeschätzt werden wie beispielsweise historische Monumente, besteht bei Leerstand sehr schnell die Gefahr des Abbruchs. Dabei sind sie prägende Zeugnisse und Merkmale unserer Haus- und Kulturlandschaft. Oftmals wird übersehen, dass sich nicht mehr gebrauchte Stadel aufgrund ihrer großzügigen Kubatur und der Skelettkonstruktion hervorragend für eine Umnutzung sowohl für gemeinschaftliche öffentliche Nutzungen als auch für private Wohnzwecke eignen. Eine gestalterisch reizvolle Planungsaufgabe ist dabei die Belichtung der Innenräume mit Tageslicht. Mittlerweile gibt es Liebhaber, die dies erkannt und die Raumqualität und Einzigartigkeit der Stadel für sich entdeckt haben. Trotzdem müsste noch viel mehr getan werden, um die Chancen und Qualitäten der Stadel als Gebäude der Identifikation ins Bewusstsein der breiten Bevölkerung zu bringen.

    Vorbidlich saniert: die ehemalige Sägehalle der Dampfschneidesäge in Sontheim - eine einmalige Rundbogenhalle.
    Vorbidlich saniert: die ehemalige Sägehalle der Dampfschneidesäge in Sontheim - eine einmalige Rundbogenhalle. Foto: Dampfsäg

    Eine Tagung zur Baukultur im Schwäbsichen Freilichtmuseum Illerbeuren beschäftigt sich mit Scheunen und Stadeln

    „Denk Mal an Scheunen und Stadel! Pflege historischer Baukultur im 21. Jahrhundert in Schwaben“ – so lautet der Titel einer Tagung zur Baukultur auf dem Land. Sie findet statt am Freitag, 26. April 2024, im Schwäbischen Freilichtmuseum Illerbeuren; am Samstag, 27. April, schließt sich eine Exkursion zu Praxisbeispielen an. Die zweitägige Veranstaltung des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege möchte zeigen, dass sich der Erhalt und die Pflege historischer Scheunen und Stadel lohnen. Es gibt Vorträge und eine Diskussion, bei denen der Strukturwandel im ländlichen Raum und seine Auswirkungen auf die historische Baukultur aus mehreren Perspektiven beleuchtet wird. Dabei sollen sowohl Probleme als auch Lösungsstrategien zur Sprache kommen. Die Exkursionen führen zum Zehentstadel in Steinheim, zur Dampfsäg in Sontheim sowie zum Fruchtspeicher in Fellheim. Die Teilnahme an der Tagung ist kostenfrei, eine Anmeldung ist nötig per Mail an info@heimat-bayern.de. Weitere Infos auf heimat-bayern.de.

    Zur Person: Vinzenz Dufter

    Dufter wurde 1962 in Siegsdorf im Landkreis Traunstein geboren. Nach dem Architekturstudium an der TU München arbeitete er in der Architektengemeinschaft Prof. Helmut Gebhard und Bernhard Landbrecht mit. Anschließend war er wissenschaftlicher Assistent an der TU München am Lehrstuhl von Prof. Matthias Reichenbach-Klinke und arbeitete dabei am Grundlagenwerk „Bauernhäuser in Bayern“ mit. Nach der Dissertation 2004, selbstständige Tätigkeit als Architekt. Seit 2016 ist Dufter beim Bayerischen Landesverein für Heimatpflege verantwortlich für Haus und Siedlung. Arbeitsschwerpunkt ist die Thematik des Weiterbauens in der regionalen Baukultur.

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