Er ist der letzte kleine Gletscher in den Allgäuer Alpen, auch wenn er auf Tiroler Gebiet liegt: Die Schwarze Milz – auf Karten manchmal auch als Schwarzmilzferner bezeichnet – in den Oberstdorfer Bergen. Tausende Begeher des Heilbronner Wegs überqueren ihn in den Sommermonaten und immer im Herbst ist die Zeit, um den angesichts des Klimawandels sterbenden Eisrest zu inspizieren. Jetzt war es wieder soweit. Dr. Christoph Mayer (59), Gletscherforscher bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, stieg mit Kollegin Astrid Lambrecht und Alexander Groos von der Uni Erlangen hinauf zum kleinen Eisrest unterhalb von Hochfrottspitze und Mädelegabel am Allgäuer Hauptkamm. Im Gepäck: Eine Drohne und ein Theodolit, ein Messinstrument samt Stativ.
Es geht an diesem sonnigen und föhnig-milden Herbsttag um die Frage: Wie viel Eismasse hat der letzte kleine Gletscher der Allgäuer Alpen in diesem extrem warmen Sommer verloren? „Es sieht nicht gut aus“, beschreibt Mayer einen ersten Eindruck. Doch Klarheit wird es erst in einigen Wochen geben, wenn die jetzt erhobenen Daten mit denen der Vorjahre verglichen sein werden.

Gletscherforscher Mayer schaut auf das Display des Theodolits, peilt die fixen Vermessungspunkt an und speichert die Daten. Dass der kleine Ferner jetzt wieder schneebedeckt ist, liegt am Schneefall Mitte September. „Zumindest ist seitdem das Abschmelzen gestoppt worden“, sagt Mayer sichtlich erleichtert. Doch die Schmelze im Sommer war – wie überall in den Alpen – extrem stark.
Überhaupt: Die Eismasse-Verluste seien „überall in den vergangenen zehn bis 20 Jahren unvorstellbar“ gewesen. Als der starke Föhnwind an diesem Nachmittag nachlässt, überfliegt Wissenschaftler Groos das Gebiet mit einer Drohne. Es geht darum, die aktuelle Ausdehnung des Eisfeldes zu dokumentieren. Erst kürzlich hatte Mayer den südlichen Schneeferner an der Zugspitze für „tot“ erklärt: Das kleine Eisfeld erfülle nicht mehr die Gletscher-Kriterien, befand die Akademie der Wissenschaften. (Lesen Sie auch: Erdrutsche, Felsstürze und Waldbrände: So bedroht der Klimawandel die Allgäuer Bergwelt)
Schwarzmilzferner im Allgäu vor dem Aus? "Schneereiche Winter könnten das Ende hinauszögern"
So weit ist es mit dem Schwarzmilzferner noch nicht, aber vermutlich in drei Jahren, wagt der Wissenschaftler eine vorsichtige Prognose. Gewissheit gibt es nicht: Schneereiche Winter könnten das Ende hinauszögern. Doch das ist nur eine vage Hoffnung und der endgültige Todesstoß für das ewige Eis in den Allgäuer Alpen naht. So wie bei den anderen vier verbliebenen Gletscher in den bayerischen Alpen. Als letzter werde wohl der Höllentalferner an der Zugspitze in zehn bis 15 Jahren verschwunden sein, prognostiziert Mayer.

Den Schwarzmilzferner hatte er als Student in den 1980er Jahren erstmals untersucht und der aus Sonthofen stammende Meteorologe Joachim Schug machte ihn damals zum Gegenstand seiner Diplomarbeit. Die bayerische Akademie der Wissenschaften untersucht das Eisfeld seit 1997 und dokumentiert die Veränderungen. Wie Mayer den nahenden Tod „seines Gletschers“ empfindet? „Natürlich habe er eine „emotionale Bindung“, antwortet er. Der Gletscherschwund mache ihn traurig: „Vielleicht spielt auch Lokalpatriotismus eine Rolle“, sagt der aus Oberstaufen stammende Wissenschaftler.
Schwarze Milz: Wie sich das letzte "ewige Eis" in den Allgäuer Alpen halten konnte
Dass sich an der Südostseite von Mädelegabel und Hochfrottspitze auf etwa 2400 Metern Höhe überhaupt so lange ein Gletscherrest halten konnte, verwundert auf den ersten Blick. Meteorologe Schug hatte das Phänomen untersucht. Die Erklärung: Der im Bereich der beiden Berge fallende Schnee lagert sich vor allem bei starken Nord- und Nordwest-Wetterlagen genau in der Mulde ab, in der sich der kleine Ferner befindet. Zudem donnern aus den über 200 Meter hohen Felswänden oft große Lawinen mit gewaltigen Schneemengen auf den Gletscher und sorgen so für viel Nachschub. Wissenschaftler der Akademie der Wissenschaften messen regelmäßig im Mai auch die Schneehöhen. „Früher waren das oft dann noch sechs Meter und mehr“, schildert Christoph Mayer. (Lesen Sie dazu auch: Extremschmelze lässt bayerische Gletscher in Rekordgeschwindigkeit schrumpfen)
Am späten Nachmittag steigen die Wissenschaftler nach getaner Arbeit am Berg mit schwerem Gepäck hinunter nach Einödsbach südlich von Oberstdorf. Mit der Gewissheit, dass für das letzte „ewige Eis“ der Allgäuer Alpen die Ewigkeit wohl bald endet.
