Doppelbegabungen gibt es selten. Michael Savitskiy hat eine: Der 19-Jährige tanzt sowohl auf den Klaviertasten als auch auf dem Eis meisterlich. In diesen Tagen darf er bei den Meisterkursen des Oberstdorfer Musiksommers mitmachen, dort also, wo 100 Riesentalente aus 15 Nationen sich bei renommierten Dozenten Hilfe für ihre Karriere holen. Zugleich kurvt Savitskiy so toll übers Eis, dass er sich – zusammen mit Partnerin Darya Grimm – in der Weltelite tummelt: Im April schafften es die beiden bei der Junioren-WM im Paartanz auf den fünften Platz.
Sport und Musik, diesen beiden Leidenschaften pflegt Michail seit seiner Kindheit parallel. Mit vier erhielt er ersten Klavierunterricht, mit fünf ging er ins Kunstturnen. Damals lebte der Sohn einer russischen Mutter und eines belarussischen Vaters noch in der Nähe von Frankfurt. Nach der Grundschule zog er zur Mutter nach Oberstdorf und lernte Eistanzen. Als er vor drei Jahren aufhören wollte, überredete sie ihn, im Paartanz weiterzumachen – mit unerwartetem Erfolg: 2021 wurden Savitskiy und Grimm deutsche Juniorenmeister und lösten das Ticket zur Weltmeisterschaft, wo sie Fünfte wurden. Damit schafften sie Historisches: Seit 2003 platzierte sich kein Paar aus Europa mehr in den Top fünf einer Junioren-WM.

So etwas geht natürlich nur mit intensivem Training. 25 bis 30 Stunden pro Woche steht Savitzkiy auf dem Eis des EC Oberstdorf. Weitere sechs Stunden Athletik- und Ausdauerübungen kommen hinzu. Und die Musik? Spielt erst einmal die zweite Geige.
Vom Klavier-Professor Konrad Elser erhofft sich Michail Savitskiy eine andere Perspektive auf die Musik
Früher hat Michail Savitskiy drei bis vier Stunden pro Tag geübt und brachte es bei „Jugend musiziert“ immer wieder bis zu Entscheiden auf Landes- und Bundesebene. Jetzt steckt er zurück und setzt sich ein bis zwei Stunden ans Klavier. Dennoch hat ihn Professor Konrad Elser beim Musiksommer, erneut in seine Klasse aufgenommen. Von ihm erhofft sich Michail Savitskiy eine andere Perspektive. Bisher hatte er bei einem Lehrer Unterricht, der bei der Interpretation sehr viel Wert auf die russische Schule legte. Savitskiys Lieblingskomponist ist dementsprechend der Russe Rachmaninov. „In seine emotionale Musik kann ich mich sehr gut reinfühlen.“
Auch wenn es so aussieht: Gegenpole sind Musik und Sport für ihn nicht, betont Michail Savitskiy. Beim Eiskunstlauf gehe es trotz des Fokus auf das Physikalische ja auch um Emotionen, sagt er.
Das Informatik-Studium in München hält Michail Savitskiy den Rücken frei für den Sport
Vor einem Jahr absolvierte er das Abitur – mit der Note 1,6. Da stellte sich die Frage: Sport machen und Musik studieren? Michail Savitskiy entschied sich für einen ganz anderen Weg: An der TU München nahm er ein Studium der Informatik auf. Das sei eine Art Plan B, sagt er. Damit könne er sich ein sicheres Standbein verschaffen. Außerdem hält es ihm den Rücken frei für den Sport. Denn nach München braucht er nur selten zu fahren; er kann die Vorlesungen online und sogar zeitversetzt von seiner Oberstdorfer Wohnung aus verfolgen.
Beim Weg, den er eingeschlagen hat, leidet derzeit die Leidenschaft fürs Klavier. Aber die Musik laufe ihm ja nicht davon, sagt Michail Savitskiy. Mit dem Sport sei es Ende Zwanzig, Anfang Dreißig vermutlich vorbei. Klavierspielen könne er jedoch bis ins hohe Alter.