Sie locken mit Superlativen. 106 Kurven auf über sechs Kilometern auf dem Jochpass. Und der Riedbergpass ist der höchste befahrbare Gebirgspass Deutschlands. Die Biegungen und Kehren ziehen Motorradfahrer auch über das Allgäu hinaus geradezu magisch an. Beschränkungen wie am Jochpass, wo die Höchstgeschwindigkeit auf 60 km/h gesenkt wurde und ein Überholverbot gilt, tun der Attraktivität keinen Abbruch. Die Motorradfahrer sorgen jedoch auch für Frust. Anwohner regen sich auf, weil tagsüber und auch spätabends die Motoren diverser Sportmaschinen auf der kurvigen Strecke nach Oberjoch aufheulen.
Die Corona-Pandemie machte die Lage noch komplexer: Fahrten nach Österreich wurden schwieriger, gleichzeitig gilt im Außerfern eine Lärmbeschränkung. Dort dürfen während der Motorradsaison auf einigen Straßen nur Maschinen fahren, deren Standgeräusch eine bestimmte Marke nicht überschreitet. Wie wirkt sich nun die Kombination aus Pandemie und Verboten in Österreich auf die Motorradstrecken im Allgäu aus?
Weniger Tote und Schwerverletzte
Zwar verzeichnet die Kontrollgruppe Motorrad der Polizei einige Erfolge. So sind Unfälle mit Getöteten oder Schwerverletzten laut Polizeisprecher Dominic Geißler kontinuierlich rückläufig. Gleichzeitig gebe die Gruppe viel Fachwissen an lokale Beamte weiter, die dann die Lärmemissionen selbst kontrollieren können. Trotzdem bleibt die Lautstärke ein Problem. „Dieses Jahr halten sich die Beschwerden aber sehr in Grenzen“, sagt die Bad Hindelanger Bürgermeisterin Dr. Sabine Rödel zur Lage am Jochpass. Die Kontrollen zeigten Wirkung, „dafür bin ich auch dankbar“.
Am Rand der Bundesstraße stehen Schilder, auf denen steht: „Bitte leise fahren.“ Diese Bitte befolgen aber offenbar nicht alle. „Es ist nicht wirklich besser geworden“, klagt eine Anwohnerin. Vor allem abends nervten laut röhrende Motoren. „Die fahren den Pass dann drei- oder viermal rauf und wieder runter.“ Die 51-Jährige vermietet Ferienappartements. Nur eines bleibe im Sommer unbewohnt: „Das ist zum Jochpass ausgerichtet und da gibt es sonst wegen des Lärms nur Beschwerden.“ Machen lasse sich gegen Motorradrowdys nichts. „Das müssen wir hier alle wohl so hinnehmen.“
Die Belastung an den Passstraßen sei unverändert hoch, sagt Polizeisprecher Geißler, was wohl auch mit der Pandemie zu tun habe: „Wir haben eher eine gewisse Zunahme an Krafträdern festgestellt, vermutlich weil viele Ausfahrten ins Ausland scheuten.“ Das Lärmproblem bestehe weiterhin. So hat die Kontrollgruppe heuer bislang 1649 Krafträder kontrolliert, 66 Mal wurde dabei die Weiterfahrt unterbunden, davon 45 Mal wegen Lärms. 2020 wurden 2371 Maschinen kontrolliert, 169 durften nicht weiterfahren, 62 davon wegen der Lärmemissionen. Wirklich zu laut ist also nur eine Minderheit. Und die Kontrollen zeigen laut Polizei durchaus Wirkung. „Gerade aus der Szene, die laute Motorräder fährt, kommen viele gar nicht mehr ins Allgäu, weil die Polizei präsent ist“, sagt Geißler.
Raser wissen, wann die Polizei kontrolliert
„Die Raser wissen genau, wann die Polizei da ist und wann nicht“, sagt der Balderschwanger Bürgermeister Konrad Kienle, dessen Gemeinde am Riedbergpass liegt. Auch dort sind Fahrer, die mehrfach rauf- und runterfahren, ein Problem. „Das sind definitiv mehr geworden“, sagt Kienle – auch, weil die Biker wegen der Pandemie und der Lautstärkeregelung seltener nach Österreich weiterfahren. Die Polizei müsse mehr dahinter sein, die Raser, die abends noch den „Frust des Tages rausfahren“, aus dem Verkehr zu ziehen.
Trotzdem will Kienle die Biker nicht pauschal verurteilen. „Viele Motorradfahrer sind vernünftig und tun alles, damit sie nicht stören.“ Doch es gebe auch ein paar andere: „Die sind wie die Hirsche in der Brunft, sie röhren und wollen von jedem gehört werden.“ Trotzdem sieht er die Motorradfahrer nicht als alleinige Urheber des Problems. Über den Riedbergpass fahren laut Kienle auch viele laute Sportwagen. Er ist darum gegen Sperrungen. Man dürfe wegen einiger Chaoten nicht allen das Recht aufs Motorradfahren nehmen. Er sieht den Staat in der Pflicht. „Ich wünsche mir, dass der Gesetzgeber die legale Lautstärke nach unten drückt.“ Bis dahin können die Anwohner nur auf die Vernunft der Fahrer hoffen – oder auf den leiseren Elektroantrieb.
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