Das Telefonat, das einer Polit-Sensation den Weg geebnet hat, dauerte nur wenige Minuten. „Ich fragte ihn, ob er Lust habe, für uns als OB-Kandidat anzutreten. Er antwortete, dass sich das interessant anhöre und wir uns mal treffen sollten.“ So schildert der Memminger SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Ressler seinen ersten Kontakt mit Jan Rothenbacher. Das Ende der Geschichte ist bekannt. Der 30-jährige Rothenbacher wurde SPD-Kandidat und hat geschafft, was viele für unmöglich gehalten hatten: Er hat Amtsinhaber Manfred Schilder (CSU) gleich im ersten Wahlgang besiegt. Am 21. März wird Rothenbacher, der bisher bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC in München arbeitete, als neuer Memminger Oberbürgermeister vereidigt.
Die Klage der Parteien ist oft zu hören: Es wird immer schwerer, Kandidaten zu finden. Das Interesse an politischen Ämtern sinkt. In den eigenen Reihen hätte auch die Memminger SPD niemanden gefunden, sagt Ressler. Der 55-Jährige wandte sich an einen SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem benachbarten Biberach: „Martin Gerster hat mir gesagt, dass Rothenbacher der Richtige wäre.“ Der künftige Memminger OB war einmal Praktikant bei Gerster.
Was der SPD an Rothenbacher besonders gefiel
Was folgte, war das besagte Telefongespräch zwischen Ressler und Rothenbacher. „Es gab nicht viel Eis, das man brechen musste. Wir hören beide Heavy-Metal-Musik und sind Anhänger des VfB Stuttgart“, sagt Ressler und schmunzelt. Doch da war natürlich mehr, was die Memminger SPD an dem 30-Jährigen aus dem Alb-Donau-Kreis reizte: Sein Studium der Verwaltungswissenschaften sei eine gute Vorbereitung auf die künftige Aufgabe, sagt Ressler. „Uns hat auch gefallen, dass er zweifacher Familienvater ist. Wer Kinder hat, bekommt einen anderen Blick auf Themen wie Kindergarten, Schule oder Nahverkehr.“ Aber ist es nicht ein Nachteil, wenn ein in der Stadt bis dato Unbekannter gegen den in Memmingen geborenen Amtsinhaber antreten muss? Ressler verneint: „Wer von auswärts kommt, hat einen anderen Blick auf die Stadt und ist unbelastet. Er kann jedem offen gegenüber treten und muss auf niemanden Rücksicht nehmen.“ Er glaube auch, dass es im Wahlkampf ein Vorteil war, „kein etablierter Teil der Stadtgesellschaft zu sein“, sagt Rothenbacher. „Ich kenne die Stadt, habe dort aber keine Verknüpfungen. Ich schaue unvoreingenommen auf die Themen. Ich hatte den Eindruck, das ist erwünscht.“ Rothenbacher lebte bislang in Balzheim, das von Memmingen etwa 30 Kilometer entfernt ist: „Ich war ein Fremder und doch kein ganz Fremder.“
Ein besonderes Erlebnis an einem kalten Tag
Und so gab es Momente im Wahlkampf, die den Optimismus der SPD wachsen ließen. Da war beispielsweise dieser klirrend kalte Tag, an dem die Partei in einem Ortsteil ihren Stand aufgebaut hatte. Bei so einem Wetter könne es einem passieren, dass nur ein paar Unentwegte vorbeischauen, sagt Ressler. Doch das Gegenteil war der Fall: „Es kamen richtig viele Leute. Man hat gesehen, dass Rothenbacher auf Interesse stößt.“
Ressler beteuert, dass die Sozialdemokraten „von Anfang an auf Sieg gespielt haben. Denn das OB-Gen ist drin in der Memminger SPD“. Bis zu Schilders Wahlsieg hatten die Sozialdemokraten mehr als 50 Jahre lang den Rathauschef gestellt. Künftig regiert erneut ein Roter im Rathaus am historischen Memminger Marktplatz. Dass es freilich schon im ersten Wahlgang klappen würde, hat auch Ressler überrascht: „Ich war von einer Stichwahl ausgegangen und hatte damit geliebäugelt, dass Rothenbacher nach dem ersten Wahlgang leicht in Führung liegen könnte.“
Ein Auswärtiger tritt gegen einen Amtsinhaber an und siegt: Im Allgäu hat es solche Fälle auch schon vor Rothenbachers Triumph gegeben. Zum Beispiel im Jahr 2014. Da hat Maria Rita Zinnecker (CSU), die im Unterallgäu lebte, die Ostallgäuer Landratswahl gegen Johann Fleschhut (Freie Wähler) gewonnen. Die Ausgangslage war damals jedoch besonders: Der amtierende Kreischef hatte wegen Krankenhaus-Schließungen einen extrem schweren Stand in der Bevölkerung. Ein zweites Beispiel liegt noch viel weiter zurück. In Kempten musste sich Oberbürgermeister Wolfgang Roßmann (SPD) im Jahr 1996 gegen CSU-Herausforderer Ulrich Netzer geschlagen geben.