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Psychische Krisen: Mehr Allgäuer Kinder benötigten 2021 Hilfe

Seelische Gesundheit

Psychische Krisen: Mehr Allgäuer Kinder benötigten 2021 Hilfe

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    Weniger soziale Kontakte und Unterricht von Zuhause aus: Kinder und Jugendliche haben in der Pandemie besonders gelitten (Symbolfoto).
    Weniger soziale Kontakte und Unterricht von Zuhause aus: Kinder und Jugendliche haben in der Pandemie besonders gelitten (Symbolfoto). Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Kaum Kontakt zu Freunden, kein Training im Sportverein: Die Pandemie stellte das Leben von Kindern und Jugendlichen auf den Kopf. Das wirkt sich auch auf deren seelische Gesundheit aus. So zeigte eine Studie der Uniklinik Essen, dass im zweiten Lockdown im Frühjahr 2021 etwa dreimal so viele Kinder und Jugendliche wegen einer psychischen Krise akut Hilfe brauchten wie im gleichen Zeitraum 2019. Das ist auch im Allgäu spürbar. „Wir hatten 2021 über alle Beschwerdebilder hinweg in der Ambulanz 33 Prozent mehr Anmeldungen als 2020“, sagt Frank Guderian, Leiter der Ambulanz am Kemptener Josefinum.

    Die Klinik der Katholischen Jugendfürsorge (KJF) deckt das gesamte Spektrum der Kinder- und Jugendpsychiatrie ab. Eine Zunahme wie 2021 „gab es bei uns noch nie“, sagt Guderian. Gleichzeitig sei im Sommer meist weniger los gewesen. „2021 hatten wir dieses Sommerloch nicht. Die ruhigeren Phasen sind einfach weggefallen.“

    Lockdown ließ Stützen wie Sportvereine wegbrechen

    Zu Beginn der Pandemie seien vor allem ehemalige Patienten gekommen, die eigentlich durch Therapie, Medikation und Freizeitangebote gut versorgt waren. „Der Lockdown hat stützende Faktoren wie Sportvereine aber wegbrechen lassen“, sagt Guderian. Das hätten die Kinder erst noch verkraftet, später seien jedoch alte Symptome wieder aufgetreten. Derzeit sehe man vermehrt Kinder und Jugendliche, die erstmals vorstellig werden.

    Die erste Corona-Welle, sagt Guderian, sei in den Psychiatrien erst im Sommer 2021 sichtbar geworden. Die Probleme der Patienten sind vielschichtig: „Wir sehen deutlich mehr depressive Entwicklungen, vor allem bei jüngeren Kindern – das gab es vorher nicht.“ Das liege auch am Wegfall sozialer Kontakte. Viele Familien kämen aber auch wegen Drogenproblemen, Computerspiel-Abhängigkeit oder häuslichem Streit. Auch die Lebenssituation der Familie spiele eine Rolle: So wirkten sich bei seelischen Erkrankungen laut Guderian genetische Faktoren, der Freundeskreis, aber auch Bildungsniveau und Einkommen der Eltern aus. Er habe den Eindruck, „dass die Schere hier auseinandergeht“.

    ADHS und Störungen des Sozialverhaltens fallen gravierender aus

    Auch in der KJF-Fachklinik Prinzregent Luitpold in Scheidegg (Kreis Lindau) ist die Pandemie spürbar. Die Patienten der dortigen psychosozialen Reha kommen aus dem gesamten Bundesgebiet. Corona sei noch nicht in Zahlen zu fassen, sagt Chefärztin Maike Pellarin-Schlingensiepen. Die Ausprägungen der Diagnosen, die man in der Reha sehe, hätten sich aber verstärkt. Die Konzentrationsstörung ADHS oder Störungen des Sozialverhaltens seien gravierender. „Eine mögliche Erklärung ist, dass den Kindern das Übungsfeld fehlte, weil sie wenig soziale Kontakte hatten.“

    Von der Option Kinder-Reha wüssten nicht alle Eltern, sagt Pellarin-Schlingensiepen. „Wir können bei vielen helfen, bevor man in eine psychiatrische Behandlung muss.“ Eltern sollten Probleme deshalb frühzeitig beim Kinderarzt ansprechen. Die beiden Mediziner warnen jedoch vor langen Wartezeiten auf einen Therapieplatz. Bei manchen niedergelassenen Therapeuten liege die Wartezeit bei einem Jahr, klagt Guderian. „Das muss sich ändern.“ Bei einer schweren depressiven Entwicklung dauere es zwei bis drei Jahre, bis man zum alten Niveau zurückkehre. Das Hirn sei nicht so schnell wie die Pandemie. „Man wird nicht weniger depressiv, nur weil die Inzidenzen sinken.“

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