Sie schimmern tiefblau oder smaragdgrün, sind meist umrahmt von majestätischen Gipfeln, die sich im Wasser spiegeln: Die Hochgebirgsseen in den Alpen, von denen es geschätzt etwa 4000 gibt. Schon der österreichische Dichter und Maler Adalbert Stifter sah in einem Bergsee „ein unheimliches Naturauge“ und erkannte ein „jungfräuliches Schweigen“. Ehrfurcht vor der Natur lehre dieser Anblick.
Doch mit dieser Ehrfurcht ist es vielerorts in den Bergen längst vorbei. Beispiel Schrecksee in den Allgäuer Hochalpen: Obwohl er weit abgelegen liegt und der Fußmarsch dorthin von Bad Hindelang-Hinterstein etwa drei Stunden dauert, wird der See seit Jahren richtiggehend überrannt. Scharenweise pilgern Feierwütige und Selfie-Jäger hinauf auf über 1800 Meter, oft angelockt durch Veröffentlichungen in sozialen Medien. Manche kommen sogar in Sandalen oder Flip-Flops. Und müssen dann unter Umständen von Bergwachtlern wegen Fußproblemen versorgt werden. (Lesen Sie auch: Die Wildcamper sind zurück im Allgäu - was kann man tun?)
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So wie am Unteren Gaisalpsee bei Oberstdorf. Beide Ziele gelten als touristische Hotspots im Allgäu. Einheimische gehen da schon gar nicht mehr hin. Seit Jahren gehen Behörden, Polizei und Naturpark-Ranger immer wieder gegen feiernde Camper an den Seen vor. Wer beim Biwakieren oder Zelten im Naturschutzgebiet erwischt wird, muss mit einer Geldstrafe von bis zu 500 Euro rechnen. Inzwischen habe sich durch das konsequente Eingreifen die Situation etwas entspannt, glaubt Karl Schindele, Chef des Kemptener Wasserwirtschaftsamtes. Gefährdungen des empfindlichen Ökosystems gebe es aber auch durch eine zu intensive Viehhaltung im unmittelbaren Uferbereich mancher Seen.

Entstanden sind die meisten Gebirgsseen in den Alpen gegen Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 bis 12.000 Jahren durch den starken Gletscher-Rückgang. Am Ende von Moränen staute sich das Wasser. Andere Gewässer bildeten sich erst am Ende der „kleinen Eiszeit“ nach den 1850er Jahren. Oder Hang- und Bergstürze bewirkten einen Aufstau des Wassers.
Eiskalt und tiefblau ist der Rappensee, nach dem die gleichnamige Hütte des Deutschen Alpenvereins benannt ist. Er liegt hinter Oberstdorf nahe der Grenze zu Vorarlberg und gilt mithin auch als südlichster See der Republik. Wärmer als zehn oder zwölf Grad wird das Wasser hier, auf 2047 Metern Höhe, auch an heißen Juli-Tagen nicht. Und doch suchen manche Wanderer Abkühlung, machen einige hektische Schwimmzüge in den eiskalten Fluten. Generell ist das Baden in Bergseen nicht verboten. Besucher sollten sich aber auf den Wegen halten, um die sensible Ufervegetation nicht zu schädigen. (Lesen Sie auch: Overtourism - wie viele Besucher vertragen die Allgäuer Alpen?)

Piet Linde vom Kemptener Wasserwirtschaftsamt macht etwas, was eigentlich streng verboten ist: Er schippert mit einem selbst gebauten und hinauf geschleppten Spezial-Ruderboot über den 1880 Meter hoch gelegenen Engeratsgundsee im Nebelhorn-Gebiet. Der Biologe darf das. Denn er sammelt Daten für ein auf viele Jahre angelegtes Klimafolgen-Monitoring des Landesamtes für Umwelt. Untersucht werden die Auswirkungen der fortschreitenden Erwärmung auf das Ökosystem von Bergseen. An den an Bojen befestigten Ketten sind Sensoren angebracht, die beispielsweise Temperatur und Sauerstoffgehalt in den unterschiedlichen Wasserschichten messen und diese Daten speichern. Linde muss in regelmäßigen Abständen die Batterien austauschen und die Daten sichern. Auch der nahe gelegene Laufbichlsee (2020 Meter) unterhalb des Hindelanger Klettersteigs wird im Rahmen des Monitorings untersucht. „Das sind extreme Lebensräume“, sagt Linde über die Gebirgsseen, die viele Monate im Jahr eisbedeckt sind. Gibt es dort überhaupt Fische? Elritzen habe er im Engeratsgundsee schon gefunden, antwortet der Biologe. Diese Fischart sei sehr anpassungsfähig. Auch Saiblinge bevorzugen das kalte und klare Wasser in Bergseen, das sehr nährstoffarm ist. Zudem leben in einigen Allgäuer Bergseen Forellen, die irgendwann eingesetzt wurden.

In der Alpenweit wird in den kommenden Jahren nach Einschätzung der Geologischen Bundesanstalt in Wien die Zahl der Bergseen noch zunehmen – bedingt durch den massiven Gletscherschwund infolge der fortschreitenden Erwärmung. Darunter seien dann aber auch ganz kleine Gewässer, die vielleicht schon bald wieder verschwinden. Kleine temporäre Seen trocknen in zunehmend heißeren Sommern vorübergehend ganz aus.
„Jungfräuliches Schweigen“ (Stifter) herrscht am Eissee nahe der Grenze zwischen dem Oberallgäu und Tirol, in dem sich das Rauhhorn-Massiv spiegelt. Selbst im Frühsommer schwimmen oft noch Eisreste im See. Das hat ihm seinen Namen gegeben. Der Blick von oben auf das Gewässer erinnert an Adalbert Stifters Vergleich mit einem „unheimlichen Naturauge“ in der wilden Berglandschaft. Wer spürt da nicht – wie der Dichter und Maler – die Ehrfurcht vor der Natur?
