99 Schüler sowie acht Lehrer sind im Juni dieses Jahres am Heuberggrat im Kleinwalsertal in Bergnot geraten und mussten gerettet werden. Danach wurde (erneut) viel diskutiert: Sind die Menschen in den Bergen zu unvorsichtig? Wie bereitet man sich richtig auf eine Tour vor? Und überhaupt: Wohin mit den vielen Wanderern und ihren Autos? Einer, der sich mit all diesen Themen bestens auskennt, ist Bernd Zehetleitner. Der Burgberger ist aktiver Bergwachtler, leitet die Bergschule Oberallgäu – die älteste Bergschule Deutschlands – und war zu Gast bei „Unsere Köpfe 2022“, dem Jahresrückblick der Allgäuer Zeitung.
Auf der Bühne im Memminger Kaminwerk erklärt Zehetleitner auch, woher der derzeitige Berg-Boom komme und warum das Wandern sein zeitweise verstaubtes Image abgelegt habe: Da sei der Drang, die Freiheit und die Natur zu genießen – das habe sich durch Corona noch verstärkt. Eine wichtige Rolle spiele aber auch die Sportartikel-Industrie. „Man kriegt das vielleicht nicht so mit, aber da gibt es im Hintergrund schon eine gewisse Manipulation.“ Durch ständiges Vorzeigen sei beispielsweise Bergauflaufen mit Skiern als Sport in Mode gekommen.
Wandern im Allgäu: Nicht mit Extremen beginnen
Dass immer mehr Menschen draußen unterwegs sind, sei eine positive Entwicklung – und mit den Bergen vor der Haustür auch sehr verständlich. Damit es dabei aber nicht zu Unglücken kommt, ist laut Zehetleitner vor allem eines wichtig: gesunder Menschenverstand: „Egal ob Wandern oder Bergsteigen: Man sollte nicht mit Extremen beginnen, sondern sich langsam steigern.“ Das gelte auch für Kletterer, die aus der Halle an den Fels gehen. „Auch wenn sie schon eine gute Technik haben: Draußen gelten andere Gesetze.“

Grundsätzlich sei es wichtig, sich vor einer Tour gut zu informieren. Früher habe man sich einen Tourenführer gekauft, von dem man wusste: Da schreibt ein Experte, da steht eine Redaktion dahinter. „Heute schauen die Menschen ins Internet, wo im Prinzip jeder alles schreiben kann.“ Auch hier sei es wichtig, auf vertrauenswürdige Quellen zu achten – beispielsweise Tourenportale, für die Bergsport-Fachleute arbeiten.
Wandern als Ausgleich
Auf die Frage, ob der Berg-Boom im Allgäu anhalten wird, hat der Bergführer eine eindeutige Antwort: „Ja.“ Vielleicht werde er etwas abflachen, in Zeiten der Digitalisierung sei Wandern für viele aber ein Ausgleich. Bei der Besucherlenkung könnten Apps helfen, die beispielsweise zeigen, wo es keine freien Parkplätze mehr gibt. Manch einer fahre wohl trotzdem an den Berg seiner Wahl, nach dem Motto: wird schon gehen. „Aber wenn zweimal wirklich kein Parkplatz mehr verfügbar war, lässt er es vielleicht bleiben.“
Was das Thema Heuberggrat angeht, betont der Bergführer: „Im Nachhinein lässt sich immer leicht sagen, wenn etwas falsch gelaufen ist.“ Es sei gut, dass es überhaupt noch Lehrer gebe, die mit ihren Schülern raus gehen. „Der Vorfall sollte nicht dazu führen, dass sich kein Lehrer mehr traut, so etwas zu machen.“ Denn ein Ausflug zu einem Fast-Food-Restaurant sei für einen Wandertag nicht das Wahre.
Zu Gast bei "Unserer Köpfe" waren außerdem die ukrainische Ärztin Myroslava Tkachivaska und der bayiersche Ministerpräsident Markus Söder.