Wie sehen die Auswirkungen der Klimakrise auf Flora und Fauna im Allgäu aus? Dieser Frage ist eine Studie des Bundes Naturschutz (BN) nachgegangen, die Biologen und Artenschutzexperten gestern in Kempten präsentierten. Da die Jahresdurchschnittstemperatur im Allgäu von 1900 bis jetzt – je nach Höhenlage – bereits um 1,4 bis 2,4 Grad zugenommen hat, gerate das gesamte Ökosystem immer mehr durcheinander, sagte Dr. Christine Margraf, Vize-Landesbeauftragte des BN.
Zwar habe es auch früher schon Klimaschwankungen gegeben, aber wohl noch nie habe die Temperatur in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum derart massiv zugenommen wie in den vergangenen Jahrzehnten. Und: Die Erwärmung schreitet immer noch schneller voran und ist im Alpenraum ohnehin größer als im weltweiten Durchschnitt. Nach Angaben des Allgäuer Naturkundlers und Biologen Dr. Michael Schneider sind als Basis der Studie Klimadaten aus verschiedenen Teilen der Region ausgewertet worden: Vom Hohenpeissenberg in Oberbayern, aus Oberstdorf, Kempten, Memmingen, und Pfaffenhausen im Unterallgäu. Während eine weltweite Temperaturerhöhung seit 1850 beobachtet wird, ist seit Beginn der 80er Jahre ein dramatischer Anstieg der Jahresmittelwerte zu verzeichnen. Und bis Ende des Jahrhunderts wird es vermutlich mindestens noch einmal so viel sein – wenn nicht noch mehr.
Die bereits jetzt absehbaren Folgen auch der heißen und zunehmend trockenen Sommer: Auf der Verliererseite stehen im Tierreich unter anderem die Amphibien und hoch spezialisierte Tiere wie beispielsweise Wiesenbrüter und verschiedene Insekten. Deren Zahl hat bereits deutlich abgenommen, viele Tiere sind vom Aussterben bedroht. Besonder unter Druck geraten seltene Arten, die aus tieferen Regionen nach oben flüchten – auch, weil sie von anderen zugewanderten Tieren verdrängt werden. Alfred Karle-Fendt, Artenschutzreferent der BN-Kreisgruppe Kempten/Oberallgäu berichtete Erstaunliches: So seien in den Allgäuer Hochalpen in über 2000 Metern Höhe noch Baumwoll-Sonneneulen nachgewiesen worden, die ursprünglich im Mittelmeerraum und in den Subtropen beheimatet sind. Ebenfalls bemerkenswert: Die aus der Sahara stammende Feuerlibelle hat sich in Bayern erfolgreich ausgebreitet und ist nun auch im Allgäu anzutreffen. Demgegenüber sind beispielsweise Kleine Moosjungfer und Schwarze Heidelibelle deutlich seltener in Tallagen zu Hause. Auch andere Arten haben angesichts zunehmender Trockenheit und Hitzewellen im Frühsommer die Flucht nach oben angetreten. Ausgebreitet in einem kaum vorstellbaren Maß hat sich demgegenüber die Wespenspinne, die es hier bis etwa 1980 fast nicht gab. Generell gilt: Die zugewanderten Arten sind extrem anpassungsfähig und oft in der Lage, andere angestammte Tiere regelrecht zu verdrängen.
Die meisten Zugvögel kehren wegen der höheren Temperaturen heute im Schnitt 13 Tage früher aus ihren Winterquartieren zurück als noch vor 30 Jahren, geht aus der Studie weiter hervor. In der Pflanzenwelt haben die höheren Temperaturen zu einer bis zu 35 Tage längeren Vegetationsperiode geführt – Spitzenreiter ist hier das Unterallgäu. Die Blüte von Hasel, Löwenzahn Herbst-Zeitlosen sowie der Laubfall von Hänge-Birke und Rosskastanie treten heute in Oberstdorf, Füssen und Pfaffenhausen deutlich früher auf als vor 60 Jahren.