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10 Jahre Allgäu Airport: eine Erfolgsgeschichte?

Streitthema Flughafen

10 Jahre Allgäu Airport: eine Erfolgsgeschichte?

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    Von Memmingerberg aus in die Welt: Ryanair ist die wichtigste Fluggesellschaft auf dem Allgäu Airport, fliegt von dort unter anderem nach London, Dublin, Barcelona oder Mallorca.
    Von Memmingerberg aus in die Welt: Ryanair ist die wichtigste Fluggesellschaft auf dem Allgäu Airport, fliegt von dort unter anderem nach London, Dublin, Barcelona oder Mallorca. Foto: Ralf Lienert

    Heinrich Schneider sitzt im Biergarten des Allgäu-Airports. Der 68-Jährige trägt ein schwarzes Shirt und beiges Sakko, er hat eine Cola bestellt. Ein ganz normaler Gast. Früher war er hier in Bundeswehr-Uniform unterwegs und alles hörte auf sein Kommando.

    Früher gab es hier auch noch keinen Zivilflughafen, die Gemeinde Memmingerberg war die Heimat des "Jagdbombergeschwaders 34 Allgäu". Der einstige Kommodore Schneider deutet auf das Gebäude vor sich: "Hier wurden Flugzeuge repariert."

    Heinrich Schneider (r.) hatte jahrelang das Sagen in Memmingerberg: Er war Kommodore des Jagdbombergeschwaders, das zuvor dort stationiert war. Marcel Schütz (l.) kam vor zehn Jahren als Student, heute ist er Prokurist des Airports.
    Heinrich Schneider (r.) hatte jahrelang das Sagen in Memmingerberg: Er war Kommodore des Jagdbombergeschwaders, das zuvor dort stationiert war. Marcel Schütz (l.) kam vor zehn Jahren als Student, heute ist er Prokurist des Airports. Foto: Ralf Lienert

    Heute checken dort die Passagiere ein, die sich etwa auf den Weg in den Urlaub machen. Es gibt eine Cafeteria, Reisebüros, Mietwagen-Firmen. Jetzt feiert der Allgäu-Airport seinen ersten runden Geburtstag: Vor zehn Jahren hat hier der erste Linienflug stattgefunden. Seither wurden acht Millionen Passagiere gezählt.

    Einst amerikanische Atombomben und scharf gestellte Maschinen

    Als Schneider im Jahr 1973 zum ersten Mal nach Memmingerberg versetzt wird, hätte sich keiner eine solche Entwicklung vorstellen können. Das 250 Hektar große Gelände vor den Toren der Stadt Memmingen ist fest in der Hand der Militärs. Es ist die Zeit des Kalten Kriegs. Um im Ernstfall sofort reagieren zu können, "waren ständig vier Maschinen mit Waffen beladen", erinnert sich Schneider. In Memmingerberg lagern zu dieser Zeit auch US-amerikanische Atombomben.

    Der Pilot verlässt die Unterallgäuer Gemeinde 1980 wieder, 1996 kehrt er als Chef des Jagdbombergeschwaders zurück. 2500 Menschen sind dort beschäftigt. Diesmal bleibt der Oberst für drei Jahre. In dieser Zeit kommen Gerüchte auf, der Bundeswehr-Standort könnte geschlossen werden. Und tatsächlich: Memmingerberg ist von der Reform des Verteidigungsministers Rudolf Scharping betroffen. 2001 verkündet der SPD-Politiker das Aus für den Standort, 2003 ist Schluss.

    Marcel Schütz verfolgt all das aus der Ferne. Der Ulmer wusste von der Bundeswehr in Memmingerberg nur deshalb, "weil ich das auf Hinweisschildern gelesen hatte". Doch dann führt ihn ein Zeitungsbericht nach Memmingerberg. Darin steht, dass der frühere Militär-Standort anderweitig genutzt werden soll. Im Mai 2002 gründen heimische Unternehmer eine Gesellschaft und bekommen zwei Jahre später die Genehmigung für den zivilen Flugbetrieb. Allerdings sind sie nicht die einzigen, die einen schwäbischen Airport planen: Eine zivile Mitnutzung des Militärflugplatzes Lagerlechfeld südlich von Augsburg wird diskutiert. Doch das Projekt scheitert letztlich an der Finanzierung.

    Der Beginn auf wackeligen Beinen

    Schütz studiert zu dieser Zeit Betriebswirtschaftslehre und sucht ein Unternehmen, bei dem er den praktischen Teil seines dualen Studiums absolvieren kann. Er stellt sich bei Ralf Schmid, dem Geschäftsführer des Allgäu-Airports, vor. "Sie können gerne mitmachen", erinnert sich Schütz an dessen Antwort. Doch Schmid habe ihn auch darauf hingewiesen, "dass das Projekt auf unsicheren Füßen steht".

    Mit großem Brimborium - Blasmusik und Brotzeit - wurden vor zehn Jahren die ersten Fluggäste aus Berlin auf dem Allgäu Airport begrüßt.
    Mit großem Brimborium - Blasmusik und Brotzeit - wurden vor zehn Jahren die ersten Fluggäste aus Berlin auf dem Allgäu Airport begrüßt. Foto: Ralf Lienert

    Der juristische Streit um den Airport ist da noch in vollem Gange. Flughafen-Gegner klagen gegen die behördliche Genehmigung. Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof haben sie keinen Erfolg, doch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig lässt eine Revision gegen dieses Urteil zu. Schütz fängt trotzdem beim Airport an: "Ich wollte einfach in diese Branche."

    Ursprünglich träumte der Ulmer davon, Pilot zu werden. Schon, weil er als Kind mehrmals zu den Großeltern ins kanadische Ottawa geflogen war. Nach einem Praktikum bei der Schweizer Fluggesellschaft Edelweiß Air sah er das anders: "Ich durfte im Cockpit mitfliegen und sah, wie langweilig der Alltag eines Berufspiloten sein kann."

    Schütz hat es beim Allgäu-Airport bis zum Prokuristen gebracht. Der 32-Jährige sitzt neben Schneider im Flughafen-Biergarten, beide blicken in Richtung Rollfeld. Dort beginnt am 28. Juni 2007 ein neues Kapitel in der schwäbischen Luftfahrt. Eine Boeing 737 der Gesellschaft Tuifly hebt ab in Richtung Berlin - der erste Linienflug ab Memmingerberg. "Als ich zum Terminal gefahren bin, ist mir ein kleiner Schauer über den Rücken gelaufen", erzählt Gerhard Pfeifer, Gründungsgesellschafter der Flughafen-Betreiberfirma, an diesem Morgen. "Ich empfinde große Freude und ein bisschen Stolz." Auf dem Rückweg bringt die Tuifly-Maschine die ersten Passagiere aus Berlin ins Allgäu. Die Gäste werden mit Blasmusik, Brezen und Weißwürsten empfangen. "Haben die noch nie ein Flugzeug gehen?", fragt eine Berlinerin und lacht.

    Haben die noch nie ein Flugzeug gehen?Eine Berlinerin, die mit dem Erstflug 2007 im Allgäu landet

    Der pensionierte Oberst Schneider kann sich damit anfreunden, was aus dem früheren Bundeswehr-Standort geworden ist: "Ich war froh, dass es endlich weitergeht und etwas Sinnvolles passiert." Auch, wenn damals in Memmingerberg eine lange Bundeswehr-Tradition zu Ende gegangen ist: Die Nationalsozialisten hatten 1935 mit dem Bau eines Militärflughafens begonnen, zwei Jahre später landeten dort die ersten Flugzeuge. Damals und Heute kommen sich an diesem 28. Juni 2007 ganz nah. Nur einen Steinwurf von der Boeing 737 entfernt steht ein Relikt aus Militärzeiten: Eine Me 109, die im Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurde. Ein Verein hatte sie für ein Fest organisiert.

    Umtriebige Airport-Gegner und Millionen-Schulden

    Airport-Geschäftsführer Ralf Schmid (l.) ist seit Beginn an Bord und wird weitere drei Jahre für den Flughafen tätig sein. Gesellschafter Thilo Butzbach (r.) hat gerade turnusgemäß für ein Jahr den Aufsichtsrats-Vorsitz der Flughafen Memmingen GmbH übernommen.
    Airport-Geschäftsführer Ralf Schmid (l.) ist seit Beginn an Bord und wird weitere drei Jahre für den Flughafen tätig sein. Gesellschafter Thilo Butzbach (r.) hat gerade turnusgemäß für ein Jahr den Aufsichtsrats-Vorsitz der Flughafen Memmingen GmbH übernommen. Foto: Flughafen Memmingen

    Bei aller Freude über den ersten Linienflug - der Rechtsstreit um den Airport ist da immer noch nicht beendet. Den Schlussstrich zieht das Bundesverwaltungsgericht erst im Dezember 2007: Es weist die Revision der Kläger zurück. Das habe für gute Stimmung bei der Weihnachtsfeier gesorgt, erzählt Schütz. Manche Airport-Gegner würden einem das Gefühl vermitteln, "dass sie schadenfroh wären, wenn man den Arbeitsplatz verlieren würde. Das sorgt für eine persönliche Betroffenheit. So fühlen viele Kollegen."

    Proteste gegen die Flughafen-Pläne gibt es von Anfang an. 2004 demonstrieren 3500 Menschen in der Memminger Innenstadt. Ein Städteplaner moniert, dass alle Regionalflughäfen "streng defizitär" seien. Er hält es für ein "Unfugsprojekt", auf dem früheren Militärgelände einen Zivilflughafen eröffnen zu wollen.

    Beim Allgäu-Airport summieren sich die Schulden bis zum Jahr 2014 auf 17 Millionen Euro. Der Flughafen gerät in eine schwierige finanzielle Lage. Unter anderem wird die Ukraine-Krise zum Problem: Die Zahl der Flüge dorthin sinkt um 70 Prozent, gleichzeitig müssen Kredite bedient werden. Und der Airport braucht Geld, um Ausbau-Pläne zu realisieren. So soll die Start- und Landebahn verbreitert werden.

    Um den Allgäu-Airport am Leben zu erhalten, wird die Struktur des Unternehmens verändert: So soll es künftig eine Gesellschaft geben, die Gewerbeflächen beim Flughafen kauft und sich um deren Vermarktung kümmert. Bei Bürgerentscheiden stimmen Memminger und Unterallgäuer dafür, dass sich Stadt und Landkreis an diesen Grundstücksgeschäften beteiligen.

    Daraus entwickelt sich ein Projekt der gesamten Region, als Koordinator tritt der frühere Landrat Gebhard Kaiser (Oberallgäu) auf. Alle kreisfreien Städte und Landkreise im Allgäu sowie der Kreis Neu-Ulm machen mit - das wird über sechs Millionen Euro in die Kasse des Airports spülen. Zudem beteiligen sich Banken mit zwei Millionen Euro an den Gewerbeflächen. Demnächst will der Flughafen keine Schulden bei Kreditinstituten mehr haben und nur noch bei Gesellschaftern in der Kreide stehen. "Das erspart uns eine Zinslast von 25.000 Euro pro Monat", sagt Kaiser.

    Eine glatte Sechs?

    Für Dieter Buchberger hat der Flughafen trotzdem "sein Klassenziel komplett verfehlt. Das ist eine glatte Sechs." Der Vorsitzende des Vereins "Bürger gegen Fluglärm" sagt, die Begründung für den Allgäu-Airport sei einst gewesen, dass die Wirtschaft innerdeutsche Verbindungen brauche. Solche Flüge habe er nicht zu bieten: "Er ist jetzt halt einer von 15 deutschen Billigflughäfen." Zudem kritisiert er die "ungeheure Umweltverschmutzung" durch den Flugbetrieb.

    Er ist jetzt halt einer von 15 deutschen Billigflughäfen.Airport-Gegner Dieter Buchberger

    In der Öffentlichkeit würden innerdeutsche Verbindungen als "Schicksalsfrage für den Flughafen" betrachtet, sagt Schütz. "Und damit werden sie überbewertet", meint Schneider. "Für den Flughafen ist es viel entscheidender, wie viele Euro er pro Passagier verdient", betont Schütz. Zudem gebe es Allgäuer Firmen, die in Bulgarien produzieren oder in Rumänien eine Niederlassung betreiben. Für sie seien eben Verbindungen dorthin interessant. Innerdeutsche Flüge hatten mehrere Airlines angeboten, aber bald wieder eingestellt. Als Begründungen wurden beispielsweise eine mangelnde Auslastung und die Einführung der deutschen Luftverkehrssteuer genannt.

    Für Schütz ist der zehnte Geburtstag des Flughafens Anlass, in die Zukunft zu blicken. "Ich wünsche mir, dass sich die weltpolitische Lage wieder entspannt. Auch das hat einen Einfluss auf die Fliegerei." Derzeit wolle etwa kaum jemand in der Türkei Urlaub machen. Für den Airport, der Flüge nach Antalya anbietet, ein Problem.

    Warten auf grünes Licht aus Brüssel

    Zudem hofft Schütz, dass sich der Flughafen mit Unterstützung "aller Interessensgruppen" weiterentwickeln kann. "Wir sind auch auf Dritte angewiesen. Auf die Öffentlichkeit, die Kommunen, den Tourismus." Und vor allem auf die EU: Am Airport wartet man sehnsüchtig auf eine Nachricht aus Brüssel, ob der Freistaat den Flughafen-Ausbau mit 12,2 Millionen Euro fördern darf. Erst dann kann das Projekt starten, das 17,7 Millionen Euro kostet.

    Heinrich Schneider wird aus nächster Nähe verfolgen, wie es mit dem Flughafen weitergeht. Er ist heute Vorsitzender der "Traditionsgemeinschaft Jagdbombergeschwader 34", die im Süden des Allgäu-Airports ihre Räume bezogen hat. Dort stehen auch Flugzeuge aus der Militärzeit wie ein Starfighter und ein Tornado. Für den früheren Bundeswehr-Piloten ist das wie eine Reise in die eigene Vergangenheit.

    Flugverbindungen, Arbeitsplätze, Investitionen: Das hat der Allgäu-Airport zu bieten

    Geldgeber:

    Der Flughafen hat 76 Gesellschafter, größtenteils Unternehmer aus der Region. Sie haben 30 Millionen Euro investiert. „Dieses Modell ist einzigartig in Deutschland“, sagt Airport-Geschäftsführer Ralf Schmid, dessen Vertrag soeben um drei Jahre verlängert wurde. Der Freistaat hat bislang Zuschüsse in Höhe von 7,1 Millionen Euro ausgezahlt. Offen ist noch, ob das Land am Allgäu-Airport als Gesellschafter einsteigt. Nach Informationen unserer Zeitung ist eine Beteiligung in Höhe von 1,2 Millionen Euro im Gespräch. Der Allgäu-Airport ist nach München und Nürnberg der dritte bayerische Verkehrsflughafen und der höchstgelegene Verkehrsflugshafen Deutschlands.

    Arbeitsplätze:

    96 Menschen sind am Flughafen beschäftigt, weitere 52 arbeiten bei einer Tochterfirma, die für die Passagierabfertigung zuständig ist. Die weiteren Unternehmen, die auf das frühere Militärgelände gekommen sind, bieten nach Angaben des Airports insgesamt 1600 Arbeitsplätze. Es gibt weitere Vorhaben: Die Firma Fakt Motion plant das „modernste Zentrum für autonomes Fahren in Deutschland“. Hier geht es um Autos, die sich selbst steuern. Der Autozulieferer Continental will ein Entwicklungszentrum für Fahrassistenz-Systeme ansiedeln und 150 hochqualifizierte Jobs schaffen.

    Flugziele:

    Im Sommerflugplan gibt es 31 Verbindungen. Die beliebtesten Ziele in den vergangenen zehn Jahren waren London, Dublin und Mallorca.

    Fluggesellschaften:

    Ryanair, Wizz Air, Pobeda, Flyniki und die türkische Gesellschaft Corendon bieten Linienflüge an. Der Allgäu-Airport rechnet in diesem Jahr mit über 1,1 Millionen Passagieren - das wäre neuer Rekord. Garanten für diese Entwicklung sind die Billigfluglinien Ryanair und Wizz Air. Ryanair wird im September eine Maschine am Airport stationieren.

    Einzugsbereich:

    Im Einzugsbereich des Flughafens leben nach Airport-Angaben elf Millionen Menschen. Die Passagiere kommen vor allem aus Süddeutschland, Vorarlberg, Tirol und der Schweiz.

    Anfahrt:

    Auf der A 96 bis zur Ausfahrt Memmingen-Ost und dann weiter zum Flughafen. Der Allgäu-Airport befindet sich zwar auf dem Gebiet der Gemeinde Memmingerberg, heißt aber offiziell Flughafen Memmingen.

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