Ein Jahr nach der weitgehenden Legalisierung von Cannabis zieht die bayerische Staatsregierung eine ernüchternde Bilanz und fordert eine Kehrtwende: „Wir wollen den Fehler der Ampel rückgängig machen und Cannabis wieder verbieten“, sagte Innenminister Joachim Herrmann unserer Redaktion. Die Hoffnung, die kriminelle Szene durch die Freigabe zu schwächen, bezeichnete der CSU-Politiker als „total trügerisch“. Das Gegenteil sei der Fall. „Wir erleben in Europa, wie die Drogenbosse nun mit noch härteren Mitteln ihre Geschäfte betreiben“, sagte Herrmann, der selbst an den Koalitionsverhandlungen mit der SPD in Berlin beteiligt war.
Joachim Herrmann zu Cannabis: „Innenminister sind sich parteiübergreifend einig“
Ob die Sozialdemokraten den Kurswechsel mitmachen, ist offen. Herrmann beruft sich darauf, dass sich zumindest die Innenminister der Länder in diesem Punkt parteiübergreifend einig seien. Und auch Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach erhöht den Druck auf Union und SPD, die Liberalisierung des Drogenrechts vollständig zurückzunehmen. „Mit der Ampel-Koalition ist auch ihr gefährlicher Cannabis-Irrweg abgewählt worden“, sagte Gerlach unserer Redaktion. „Der Regierungswechsel bietet die Chance, die Verharmlosung dieser gefährlichen Droge zu beenden und wieder für mehr Gesundheitsschutz, insbesondere für Kinder und Jugendliche, zu sorgen“, sagte die CSU-Politikerin.
Bayern bisher ohne Genehmigung für legalen Anbauverein
Gerlach kündigte an, Bayern werde so oder so seinen restriktiven Kurs fortsetzen. Dies gelte auch für das Erlaubnisverfahren zum Anbau von Cannabis in sogenannten Anbauvereinigungen. „Bislang ist noch keine einzige Erlaubnis erteilt worden“, betonte sie. Damit ist der Freistaat neben dem Saarland das einzige Bundesland ohne legalen Cannabis-Anbau außerhalb von Privatwohnungen. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der damaligen Linken-Abgeordnetengruppe Ende Januar erteilten die Behörden im vergangenen Jahr in 83 Fällen Erlaubnisse zur Gründung einer Vereinigung zum gemeinschaftlichen privaten Eigenanbau. Mit 25 genehmigten Anträgen lag Nordrhein-Westfalen bundesweit vorn.
In den Koalitionsverhandlungen ist das Thema Cannabis strittig
Die Liberalisierung des Cannabiskonsums trat vor genau einem Jahr per Gesetzänderung in Kraft. In den aktuellen Koalitionsverhandlungen gehört das Projekt, das vor allem die Handschrift des bisherigen Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) trägt, zu den ungelösten Fragen. Verhandelt wurde es von den Innenpolitikern. In deren 20 Seiten langem Arbeitspapier kommt es aber nur mit einem Satz vor: „Wir machen die Teillegalisierung von Cannabis rückgängig“, heißt es da – in blauer Schrift. Die Farbe bedeutet, dass der Punkt von der Union eingespeist wurde, man sich aber nicht einigen konnte. Rote Passagen kommen von der SPD, nur das, was im wahrsten Sinne schwarz auf weiß in den Papieren steht, gilt als ausverhandelt.
Nach Informationen unserer Redaktion zeigte die SPD wenig Begeisterung, das Fass noch einmal aufzumachen. Doch es gibt noch eine Hintertür: Die bisherige Bundesregierung hatte geplant, die Auswirkungen der Legalisierung regelmäßig zu überprüfen, der erste Bericht soll Anfang Oktober vorliegen. Denkbar ist also, dass sich Union und SPD vertagen und das Ergebnis abwarten.
Der bayerische Innenminister hat seine Evaluation bereits abgeschlossen und verweist auf einen weiteren Effekt. Zwar sei die Zahl der Drogendelikte im Freistaat zurückgegangen, weil manches nicht mehr strafbar sei. „Auf der anderen Seite stellen wir fest, dass im Straßenverkehr die Delikte im Zusammenhang mit Drogenkonsum zunehmen.“ Das sei eine erhebliche Gefahr, auch für Unbeteiligte.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden