Da staunen die wartenden Passagiere im Terminal des Allgäu Airports in Memmingerberg: Wo normalerweise Ferien- und Billigflieger abheben, donnert mit ohrenbetäubendem Lärm ein Kampfjet im Tiefflug über die Start- und Landebahn. Kurz darauf dasselbe Schauspiel: Der Eurofighter macht einen zweiten "Low Approach" (=Tiefanflug), ehe er am Flughafen Memmingen landet.
Manchen kommen Bilder und Sound vertraut vor: Ehe im Jahr 2003 das Luftwaffengeschwader 34 aufgelöst wurde, donnerten ständig Bundeswehrjets über Memmingen und das Unterallgäu. Damals waren es Tornados. Jetzt ist es das Mehrzweckkampfflugzeug Eurofighter, das Erinnerungen an früher weckt. Denn der ehemalige Fliegerhorst, der seit 2007 als Passagierflughafen genutzt wird, erfüllt noch immer eine Aufgabe für die Bundeswehr – als Ausweichflugplatz für die so genannte QRA.
Das ist die QRA der Bundeswehr
Die Quick Reaction Alert ist die Luftpolizei der Bundesrepublik - eine Alarmrotte, die 365 Tage im Jahr rund um die Uhr bereitsteht. Gibt es in unserem Luftraum einen Zwischenfall – verliert ein Flugzeug etwa den Funkkontakt - müssen zwei "scharfe", also aufmunitionierte Eurofighter als Abfangjäger innerhalb von 15 Minuten in der Luft sein. Sie nehmen Sichtkontakt zu den Piloten der betroffenen Maschine auf, begleiten sie im besten Fall sicher zu Boden. Ein Szenario wie in Hollywoodfilmen ist in Deutschland dabei undenkbar: Zwar können die Abfangjäger die Maschine unter Umständen zu einer Kurskorrektur bringen. Das Abschießen eines Flugzeugs, das in die Hände von Terroristen gefallen ist, ist aber nicht erlaubt. Das Quantifizierungsverbot gestattet es nicht, menschliches Leben gegeneinander aufzurechnen. Das Leben von 100 Passagieren an Bord ist demnach genau so viel wert, wie das Tausender, die bei einem drohenden Anschlag in Gefahr wären.
Für den süddeutschen Raum ist die QRA im Luftwaffengeschwader in Neuburg an der Donau bei Ingolstadt stationiert. Dort sind Maschinen und Piloten 24/7 einsatzbereit, um schnellstmöglich in die Luft zu gehen. Sollte eine Landung in Neuburg nicht mehr möglich sein, etwa weil das Wetter zu schlecht ist oder – im schlimmsten Fall – Maschine und Pilot in Schwierigkeiten sind, kommt der Allgäu Airport als Ausweichflugplatz ins Spiel.
Zweimal jährliche Schulungen am Flughafen Memmingen
Zweimal jährlich muss das Memminger Bodenpersonal deshalb für den Ernstfall geschult werden. Aus Neuburg kommen eine Maschine samt Flugsicherheitsoffizier und zwei Fluggerätemechaniker, die den zivilen Allgäuer Kollegen alles erklären. Man kann sich vorstellen: Für Flughafenfeuerwehr, Tankdienst und die Flugdienstleiter ist es ein Riesenunterschied, ob sie es mit einem Ferienflieger zu tun haben – oder mit einem "scharfen" Kampfjet mit Raketen und einem womöglich verletzten oder bewusstlosen Piloten auf einem gefährlichen Schleudersitz.

In Memmingerberg organisiert "Airside Duty Manager" Uwe Grünwald in Abstimmung mit den Neuburger Soldaten die halbjährlichen Schulungen. Der großgewachsene Mann mit dem markanten Schnäuzer ist ansonsten für die Geschäftsflieger am Allgäu Airport zuständig, koordiniert alles, was mit ihnen auf dem Vorfeld passiert. "Ich mache die Flächenchecks, nehme die Maschinen nach der Landung in Empfang, geleite sie zu ihrem Stellplatz", erklärt er. Kommt kein Business- oder Privatflieger, sondern der Neuburger Eurofighter, verfährt er mit seinem Team nach einer exakt festgelegten Prozedur, bei der jeder Handgriff sitzen muss.
Grünwald kommt zugute, dass er früher als Gefechtsstandmeister der 1. Fliegenden Staffel in Memmingerberg für Bundeswehrjets verantwortlich war. "Sobald die Maschine gelandet ist, führen wir sie an einen Platz im Gefährdungsbereich im südlichen Teil. Es ist genau vorgeschrieben, wo und wie das Flugzeug zu stehen hat, damit nichts passiert, falls eine Rakete rausgeht", erklärt er.
Vorsicht, Rakete! Sicherheit ist oberstes Gebot am Allgäu Airport
Nicht auszudenken, wenn eine der Missiles versehentlich in Richtung Airport-Terminal, oder gar gen Memmingen gehen würde. Sobald die Triebwerke des Eurofighters aus sind, ist es für die Bodencrew wichtig, das Gefährlichste zu "entschärfen". Mit Sicherungsstiften werden die Waffen und das Fahrwerk gesichert. Dann geht es um die Bergung des Piloten aus dem über drei Meter hohen Cockpit.
Grünwald, die beiden fliegenden Offiziere sowie die Flugzeugwarte, die an diesem Tag aus Neuburg gekommen sind, erklären alles ganz genau: Aus welcher Richtung werden die Stifte gesteckt? Wo sind die Tanks? Was sind die gefährlichen Bereiche rund ums Flugzeug? "Ist die Maschine an, sollte man vorne und hinten 15 Meter Abstand lassen. Die Triebwerke saugen einen sonst wie ein Staubsauger an, das braucht kein Mensch", sagt der Flugsicherheitsoffizier.
Ganz nah ran: ein Blick ins Eurofighter-Cockpit
Die über 30 Mann starke Truppe der Flughafenfeuerwehr lauscht gebannt. Doch das große Highlight folgt noch: Nach dem Theorieteil geht es raus zum Jet. Die Männer dürfen selbst Hand anlegen oder sogar einen Blick ins Cockpit werfen. Die Memminger Kameraden Bruno, Manuel und Wolfgang sind begeistert: "Wann kommt man schon mal so nahe an einen Eurofighter ran?! Die Bundeswehr ist da immer total offen, das ist echt was Besonderes im Alltag", schwärmen sie.
Über drei Stunden dauern Theorie und Praxis, dann müssen Piloten und Maschine zurück nach Neuburg. Doch vorher wird getankt. Über sechs Tonnen Benzin gehen in den Eurofighter, dazu hat er in der Regel noch zwei äußere Zusatztanks für je 1.000 Liter. Etwas über 2.000 Liter Flugbenzin fließen für die Rückkehr nach Oberbayern. Dann zückt der zuständige Soldat die Kreditkarte des Bundesamts für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr. Kein Scherz: An jedem Flughafen der Welt wird die Betankung wie an der normalen Auto-Tankstelle nebenan mit Karte bezahlt – für Kampfjets gilt das ebenso wie für Geschäftsflieger.
Cleared for take-off! Mit atemberaubender Geschwindigkeit hebt der Eurofighter über der Memminger Startbahn ab und geht sofort in einen extremen Steilflug. Noch ein bisschen Show für die staunenden Passagiere im Terminal.