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Gibt es heute Hitzefrei? So reagieren Schulen in Bayern auf die Hitzewelle

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Hitzefrei oder nicht? So gehen Schulen in Bayern mit der Hitzewelle um

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    Im Freistaat hängt es an den Schulleitungen und ihren Abwägungen, ob der Unterricht an heißen Tagen vorzeitig beendet wird.
    Im Freistaat hängt es an den Schulleitungen und ihren Abwägungen, ob der Unterricht an heißen Tagen vorzeitig beendet wird. Foto: Sebastian Kahnert, dpa

    An diesem Dienstag sind es, laut Wetter-Apps, um 11 Uhr vormittags 29 Grad Celsius in Neu-Ulm. In Augsburg 30. Wie in ganz Bayern schwitzen Schülerinnen und Schüler in ihren Klassenzimmern. Der Deutsche Wetterdienst hatte für weite Teile des Freistaats Temperaturen von 32 bis 37 Grad vorhergesagt und vor einer starken Wärmebelastung im gesamten Bundesgebiet gewarnt. Ein klarer Fall für ein Hitzefrei? Keineswegs.

    Denn Hitzefrei gibt es in Bayern nicht – zumindest nicht in der Form, dass ab einer bestimmten Temperatur der Unterricht ausfallen muss. Das Kultusministerium erklärt: „Eine gesetzliche oder sonstige rechtsverbindliche Regelung, wonach den Schülerinnen und Schülern ab einer bestimmten Temperatur oder unter sonstigen bestimmten Voraussetzungen ,hitzefrei‘ zu gewähren ist oder gewährt werden kann, existiert nicht.“ Was nicht heißt, dass es nicht existiert. Schulleitungen hätten, so das Ministerium weiter, grundsätzlich die Möglichkeit, an Tagen mit besonders heißen Temperaturen den Unterricht „ausnahmsweise vorzeitig zu beenden“. Dies ermögliche es, „auf die unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten nicht nur flexibel, sondern vor allem der konkreten Situation entsprechend angemessen zu reagieren“.

    Den Bayerischen Elternverband erreichen immer wieder Klagen von Eltern über aufgeheizte Klassenzimmer

    Es hängt also an den Schulleitungen und ihren Abwägungen. Für ihre Entscheidung müssen sie einiges berücksichtigen, auch, wie ihre Schülerinnen und Schüler nach Hause kommen. In Baden-Württemberg ist es ähnlich. Allerdings gibt das dortige Kultusministerium Schulleitungen überaus konkrete Empfehlungen. Demnach ist ein Kriterium für Hitzefrei, wenn die Außentemperatur „um 11 Uhr mindestens 25 Grad Celsius im Schatten“ beträgt. Kann heißen: Während im bayerischen Neu-Ulm Kinder in der Schule schwitzen, können Kinder im benachbarten Ulm bereits im Schwimmbad planschen.

    Sollten Schülerinnen und Schüler an Hitzetagen heim geschickt werden? Darüber wird angesichts alljährlich neuer Rekordtemperaturen verstärkt diskutiert. Was auf den ersten Blick wie ein einfaches Thema klingt, entpuppt sich schnell als ein kompliziertes.

    Für Martin Löwe, Landesvorsitzender des Bayerischen Elternverbands (BEV), stellt ein Hitzefrei eine Notlösung dar. Das Problem sei, dass sich viele – alte und renovierungsbedürftige – Schulgebäude zu sehr aufheizten. Seinen Verband erreichten hierzu immer wieder Klagen von Eltern. Es brauche, sagt er, nachhaltige Lösungen, zum Beispiel Fassadenbegrünungen. Der Bedarf sei immens.

    In Rheinland-Pfalz hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft gerade eine Offensive für hitzetaugliche Schulen gefordert. Im Freistaat dringt unter anderem der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) auf eine bauliche Ertüchtigung maroder Gebäude. Der schlechte Zustand „fällt uns in solchen Situationen doppelt und dreifach auf die Füße“, kritisiert der unterfränkische BLLV-Bezirksvorsitzende Helmut Schmid. Er sagt: Die Anschaffung von Klimaanlagen stehe auf der Prioritätenliste nicht ganz oben, wenn die Toiletten nicht funktionieren oder „der Putz von den Wänden bröckelt“. Ein Politikum: Am Montag hatte Grünen-Landtagsfraktionschefin Katharina Schulze mit Blick auf die zunehmenden Hitzewellen Klimaanlagen für Schulen, Kitas, Kliniken und Altenheime verlangt. Besonders vulnerable Gruppen müssten in öffentlichen Gebäuden besser geschützt werden.

    „Wenn Hitzefrei bedeutet, dass man Schülerinnen und Schülern einfach schulfrei gibt, bin ich klar dagegen“, sagt der Professor

    Derartige Maßnahmen kosten Geld und Zeit. Wenn jedoch das Thermometer, wie in diesen Tagen, auf 30 Grad und mehr steigt und Schüler wie Lehrkräfte unter der Hitze leiden? Elternvertreter Löwe kann sich statt Hitzefrei etwas vorstellen, das bereits in der Corona-Zeit funktioniert habe: hybrider Unterricht sowohl im Klassenzimmer als daheim, je nachdem, wie die Eltern entschieden. Dies sei kurzfristig zu organisieren. Die Vorteile laut Löwe: Berufstätige Eltern wüssten ihre Kinder betreut, und für alle komme es zu weniger Unterrichtsausfall. Im Kultusministerium winkt man ab: Präsenzunterricht sei normalerweise auch an Hitzetagen möglich.

    Nach Ansicht eines Eichstätter Experten sollte der Unterricht an Hitzetagen an den Schulen stattfinden – allerdings komplett anders.
    Nach Ansicht eines Eichstätter Experten sollte der Unterricht an Hitzetagen an den Schulen stattfinden – allerdings komplett anders. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

    Professor Heiner Böttger von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt sagt: „Wenn Hitzefrei bedeutet, dass man Schülerinnen und Schülern einfach schulfrei gibt, bin ich klar dagegen. Denn das führt zu einer Vielzahl neuer Probleme: Können Eltern ihre Kinder betreuen? Ist es zu Hause nicht vielleicht noch wärmer? Wie und wann lässt sich der entfallene Unterrichtsstoff wieder aufholen – wo Lehrpläne ohnehin überfrachtet sind und Lehrkräfte unter großem Druck stehen?“ Böttger verweist zudem auf den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter, der vom 1. August 2026 an stufenweise bundesweit eingeführt wird.

    Seiner Ansicht nach sollte der Unterricht an Hitzetagen an den Schulen stattfinden – allerdings komplett anders. Weil bei steigenden Temperaturen Leistungs- oder Konzentrationsfähigkeit sinken, könne er nach draußen, an schattige Plätze oder sogar in den Wald verlagert werden. Ein herkömmlicher Unterricht mit 45-Minuten-Stunden müsste dann von fächerübergreifender Projektarbeit abgelöst werden – selbstverständlich ohne Prüfungen. „Das hat nichts mit Bäume-Umarmen zu tun“, betont Böttger. Der Experte für Didaktik der englischen Sprache und Literatur befasst sich mit neuen Lernorten und -konzepten und war Mitinitiator des „Outdoor Campus“ an seiner Uni, der Lernen und Lehren im Freien ermöglicht.

    Zur Hitzefrei-Regelung in Bayern halten sich hartnäckig Gerüchte

    „Wir müssen anerkennen, dass die Sommer immer wärmer werden und uns dieser neuen Realität stellen“, sagt Böttger. Mit ein bisschen Fassadenbegrünung oder Ventilatoren und Handfächern, die Schüler aktuell in überhitzten Klassenzimmern benutzten, sei es nicht getan. Böttger schlägt einen Runden Tisch vor, an dem bayerisches Kultusministerium, Wissenschaft und Schulen ein pädagogisches Gesamtkonzept für Hitzetage erstellen.

    An wie vielen Tagen es an wie vielen Schulen im Freistaat in jüngerer Vergangenheit ein Hitzefrei gab, ist dem Ministerium übrigens nicht bekannt. Eine Statistik dazu werde nicht geführt, heißt es. Und: Es bedürfe aufwendiger Nachforschungen, um herauszufinden, wie die ältere Regelung einst genau lautete. Im Internet findet sich häufig der Satz: Die Regel, dass es ab einer bestimmten Außentemperatur – oft werden 27 Grad im Schatten genannt – Hitzefrei geben müsse, sei in Bayern seit 2009 gestrichen. Korrekt ist, dass in der bayerischen Volksschulordnung zu lesen war: „Über vorzeitige Unterrichtsbeendigung an besonders heißen Tagen entscheidet der Schulleiter, gegebenenfalls in Absprache mit benachbarten Schulen.“ In der Neufassung vom September 2008 fand sich dieser Satz nicht mehr. Schon in der älteren Version waren weder die Worte „Hitzefrei“ noch „Temperatur“ aufgetaucht. Doch schon damals, 2008, musste eine Sprecherin des Kultusministeriums Radioberichte dementieren, denen zufolge das Hitzefrei komplett abgeschafft würde.

    Dienstag, 12.54 Uhr. Noch sechs Minuten bis zum vorzeitigen Schulschluss am Gymnasium bei St. Anna in Augsburg. Schulleiter Alois Mayr hatte am Morgen entschieden, den Nachmittagsunterricht ausfallen zu lassen. Über ein digitales Elternportal wurden die Eltern informiert, die „offene Ganztagsschule“ könne bei Bedarf trotz des Hitzefrei normal in Anspruch genommen werden. Er habe bislang keine Klagen gehört. Mayr sagt: „Ich bin froh um die bayerische Regelung. Denn jede Schule ist anders – und kann individuell handeln.“ Ungleich schwieriger sei es, ergänzt er, kurzfristig am Vormittag den Unterricht ausfallen zu lassen: Die 5. und 6. Klassen müssten dennoch beaufsichtigt werden, und es sei noch kein Notenschluss, es müssten noch Schulaufgaben geschrieben werden. An diesem Mittwoch, dem voraussichtlich heißesten Tag der Woche, werden seine Schülerinnen und Schüler erneut keinen Nachmittagsunterricht haben. Nicht wegen der Hitze, es finde ohnehin nichts statt, erklärt Mayr.

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