Jedes Jahr vor dem Start ins neue Schuljahr werden Probleme öffentlich diskutiert. Heuer war dies insbesondere die zunehmende Verrohung der Sprache vieler Jugendlicher. Der neue Direktor des Kemptener Hildegardis-Gymnasiums, Markus Wenninger, und die Mittelschul-Lehrerin Verena Häußler nähern sich aus zwei sehr unterschiedlichen Richtungen dieser Entwicklung, sie waren sich in ihren Ansichten aber ziemlich einig.
Wenn Lehrer Vorbilder sind und klare Grenzen ziehen, stehen die Chancen gut, dass sich die Schwierigkeiten nicht zu gesellschaftlichen Problemen auswachsen, sondern mit dem Ende der Pubertät auflösen.
Trügt der Eindruck oder werden die Jugendlichen rotziger?

Häußler: Ältere Kollegen sagen mir immer wieder, dass sie ein solch rücksichtsloses Schülerverhalten von früher nicht kennen. Mir sind die Kinder manchmal fremd. Die erleben eine ganz andere Jugend als ich sie erlebt habe. Durch die Medien verändert sich extrem viel. Der Rapper auf Facebook beleidigt ja aus Prinzip.
Gehen Schüler mit unterschiedlichem sozialen Hintergrund unterschiedlich damit um?
Wenninger: Vor zehn Jahren ging es los, dass Gewaltvideos auf Handys auftauchten. Vornehmlich an Mittelschulen. Bei Gymnasiasten kommt das vermutlich nicht weniger oft vor, doch die wissen eher um gesellschaftliche Regeln und machen das gegebenenfalls heimlicher.
Und bei der Sprachverrohung?
Wenninger: Einen lockeren Umgang mit Beleidigungen gibt es leider auch bei Gymnasiasten.
Häußler: Für manche ist es völlig normal, diskriminierende Schimpfwörter zu verwenden oder jemanden ohne Skrupel zu beleidigen. Die Kinder wissen oft gar nicht, was sie da eigentlich von sich geben.
Wenninger: Oder was es in unserem Bereich gibt: Du Opfer. Da wird sarkastisch damit umgegangen, dass es ja das schlimmste wäre, wenn jemand im Klassenverband tatsächlich ein Opfer wäre.
Haben Lehrer überhaupt eine Chance, da gegenzuhalten?
Häußler: Das einfachste wäre, einen Verweis zu geben. Aber damit ist niemandem geholfen. Wir müssen den Dialog suchen und fragen: Ist Dir bewusst, was du sagst? Schüler realisieren oft gar nicht, was sie mit einem Begriff wie Hurensohn von sich geben. Auf jedes Schimpfwort müsste man regulierend reagieren, aber das ist im normalen Unterrichtsablauf nicht leistbar.
Wenninger: Das alles kommt doch daher, dass in bestimmten Medien der am meisten beklatscht wird, der andere am stärksten beleidigt. Als Schule haben wir den Auftrag, einzuschreiten und zu verdeutlichen: So verletzend und diskriminierend reden wir nicht miteinander.
Bekommen Lehrer allein dieses Problem in den Griff?

Häußler: Nein, ich bin froh, dass ich an einer Schule mit einer toll funktionierenden Schulsozialarbeit arbeite.
Wo führt das alles hin?
Häußler: Das macht Angst, daher muss man eingreifen.
Wenninger: Es gibt einen Satz, der besagt: Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.
Häußler: Hauptschule ist ja zur Zeit die erste Anlaufstelle für die Integration von Flüchtlingskindern. Ich stelle fest, dass viele dieser Kinder den fürchterlichen Wortschatz übernehmen, und sie wissen schon zweimal nicht, was sie da sagen. Sie lernen das wie die Wörter Apfel und Banane. Letztlich grenzen sie sich sofort selbst aus, weil andere sagen, mit Dir will ich nichts zu tun haben, wenn Du mich beleidigst.
Sprache ist Ausdruck innerer Haltung. Ist es nicht bedenklich, wenn sich auch Gymnasiasten so ausdrücken?
Wenninger: Die Sprachverwahrlosung in der Gesellschaft ist ein allgemeines Phänomen, das nicht zwingend mit Intellekt zu tun hat.
Wie viel hat die Sprachverrohung mit Gruppendynamik zu tun, nach dem Motto: Dabei bin ich nur, wenn ich mit den Wölfen heule?
Häußler: In der Hauptschule ist für manche die Klasse der Familienersatz. So hart es klingt, zuhause ist da oft niemand, der für die Kinder da ist. Bei Familien mit Migrationshintergrund kommt dazu, dass häufig nicht deutsch gesprochen wird, obwohl die Eltern seit Jahrzehnten in Deutschland leben. Das begrenzt den Wortschatz zusätzlich. In der Schule, in der ich unterrichte, liegt der Migrationsanteil bei 60 Prozent.
Wenninger: Kinder testen oft etwas aus mit so etwas. Jugendliche tun sich in unserer fun-ortierten Welt manchmal hart, sich abzugrenzen und da äußert sich der Wunsch, sich cool zu geben, eben so.
Verändert das alles langfristig die Wertevorstellungen in unserer Gesellschaft? Die Kinder von heute sind die Erwachsenen von morgen.
Häußler: Um das zu verhindern, muss ich als Lehrerin Vorbild sein. Ich kann nicht in Jogginghose vor die Klasse treten, ich kann nicht Kaugummi kauen, ich muss pünktlich sein. Ich muss vorleben, was ich von den Kindern erwarte.
Wenninger: Teilweise ist das Verhalten der Kinder einfach eine Provokation. Die testen aus, was zugelassen wird.
Hängt das auch damit zusammen, das Kindern inzwischen daheim gesagt wird: Lass´ Dir nichts gefallen, außer uns Eltern hat Dir niemand etwas zu sagen ...
Wenninger: Tatsächlich dreht sich in vielen Familien alles um die Kinder und es werden zu wenig Grenzen gesetzt. Aber insgesamt habe ich das Gefühl, dass die selben Kinder, die sich in einem Augenblick rücksichtslos ausdrücken oder handeln im nächsten hilfsbereit sind, wenn man sie um etwas bittet.
Dann wäre das Ganze eher nur ein pubertäres Problem.
Wenninger: Möglicherweise, denn unsere Jugend gibt sich ja nach außen in der Regel sehr angepasst, wenn man zum Beispiel an die Kleidung denkt.
Häußler: Die Kinder entwickeln sich spürbar. Wenn es auf Abschlussprüfungen zugeht, machen sie einen enormen Fortschritt, auch im Benehmen. Manche Jugendliche haben schon erste Bewerbungsgespräche hinter sich und merken: Mit rüpelhaftem Auftreten komme ich nicht weit.