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Interview: Coronamaßnahmen-Kritiker Pürner: "Ich habe meine eigene Welle erzeugt"

Interview

Coronamaßnahmen-Kritiker Pürner: "Ich habe meine eigene Welle erzeugt"

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    Friedrich Pürner erlangte als damaliger Leiter des Gesundheitsamtes Aichach-Friedberg zu Pandemie-Zeiten bundesweite Bekanntheit, als er sich gegen einige der Corona-Maßnahmen aussprach.
    Friedrich Pürner erlangte als damaliger Leiter des Gesundheitsamtes Aichach-Friedberg zu Pandemie-Zeiten bundesweite Bekanntheit, als er sich gegen einige der Corona-Maßnahmen aussprach. Foto: Dominik Durner

    Herr Pürner, Sie sind 2020 bundesweit bekannt geworden, als Sie sich als Leiter des Aichacher Gesundheitsamtes öffentlich gegen einige der Coronamaßnahmen aussprachen. Was Ihnen Kritiker vorwerfen, ist, dass Sie zwar fachliche Kritik geäußert haben, dafür aber auf einer Leugner-Welle geritten sind. Was entgegnen Sie?
    FRIEDRICH PÜRNER: Dass das einfach kompletter Blödsinn ist. Ich bin der Fachmann und ich habe zu keiner Zeit irgendetwas geleugnet. Weder Corona, noch die Erkrankung, noch die Schwere einer Erkrankung. Ich bin zur Coronazeit auch gegen bestimmte Einrichtungen vorgegangen und konnte nachweisen, dass die die Infektionsschutzmaßnahmen nicht so ernst genommen haben. Das zeigt schon, dass ich auf gar keinen Fall zu den Coronaleugnern gehören kann. Also nein, ich habe das nie geleugnet und auf deren Welle bin ich nie geritten, sondern ganz im Gegenteil. Ich habe die eigene erzeugt und die war rein fachlich.

    Vorgeworfen wird es Ihnen trotzdem.
    PÜRNER: Das ist in der ganzen Debatte ein ganz perfider Mechanismus: Jemand äußert fachliche und sachliche Kritik und ich hätte erwartet, dass man sich damit auseinandersetzt. Und was passiert? Man schiebt es in eine Ecke und sagt: 'Du machst dich gemein mit Coronaleugnern.' Das habe ich nie getan, aber man bringt mich automatisch in Zusammenhang, weil man dann sofort meine Fachlichkeit schwächen kann.

    Sie haben recht bald nach dem Pandemie-Ausbruch Maßnahmen auf Datenbasis verlangt. Dabei bezogen Sie sich unter anderem auf die Inzidenz-Grenzwerte 35 und 50, auf deren Basis damals Maßnahmen getroffen wurden. So früh in der Pandemie gab es aber doch nicht genug Daten, um andere Schwellenwerte zu formulieren?
    PÜRNER: Dann bedeutet das im Umkehrschluss: Auch wenn wir keine Daten haben, machen wir was. Das halte ich für ein absolut falsches Vorgehen, weil es grundrechtseinschneidende Maßnahmen waren. Und im Grundrecht braucht es die Verhältnismäßigkeit. Dafür benötigt man wissenschaftliche Daten, die wirklich belegen, dass eine Maßnahme Sinn ergibt. Die Inzidenzgrenzen sind aber frei erfunden worden vom damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn und vom ehemaligen Kanzleramtsminister Helge Braun. Dann hätten die Politiker die Bevölkerung informieren müssen. Sie hätten sagen müssen: "Leute, wir wissen nichts, wir schätzen, wir würfeln und ihr müsst es trotzdem mitmachen." Aber man hat den Eindruck vermittelt, die Entscheidungen seien fachlich und evidenzbasiert. Es war aber nicht so, und den Punkt kreide ich an. Ich möchte, dass man das ordentlicher differenziert.

    Friedrich Pürner, ehemaliger Leiter des Gesundheitsamtes im Kreis Aichach-Friedberg, bei einem Abstrich eines Coronatests zu Hochzeiten der Pandemie.
    Friedrich Pürner, ehemaliger Leiter des Gesundheitsamtes im Kreis Aichach-Friedberg, bei einem Abstrich eines Coronatests zu Hochzeiten der Pandemie. Foto: Stefan Puchner, dpa (Archivbild)

    Sie waren trotzdem einer der Ersten, die von einer Pandemie gesprochen haben.
    PÜRNER: Ja. Man kann Pandemien aber auf verschiedene Weisen begegnen. Die Begrifflichkeit allein hat mich nicht gestört, sondern, wie wenig man sich an bestimmte Dinge halten wollte, zum Beispiel die Pandemiepläne. Wir haben den großen Bundespandemieplan vom RKI, für die Bundesländer gibt es noch eigene. Den in Bayern habe ich mitgeschrieben, damals noch in meiner leitenden Funktion am Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), bevor ich an das Gesundheitsamt in Aichach gewechselt bin. Also wusste ich ja, was da drinsteht und was jetzt kommen sollte. Es kam aber nicht. Auch das Datenerheben: Nach sechs Wochen war mir vollkommen klar, welche Bevölkerungsgruppe eigentlich betroffen ist, nämlich die Älteren und die Vorerkrankten. Die anderen sind natürlich auch krank geworden, aber mussten nicht unbedingt Angst um ihr Leben haben. Das wollte ganz einfach keiner hören. Allem Anschein nach wussten es alle besser, obwohl sie gar nicht vom Fach waren.

    Dass Sie in der Folge Ihrer Maßnahmen-Kritik wieder an das LGL abgeordnet wurden, bezeichneten Sie als "Strafversetzung". Wie haben Sie die Situation, diese Zeit, wahrgenommen?
    PÜRNER: Man wird misstrauischer. Gelegentlich hat es dazu geführt, dass ich zu Hause gesessen bin und mir gedacht habe: "Hat sich das jetzt echt rentiert?" Hätte ich nicht wie viele andere Kollegen einfach meinen Mund halten, das ganze vorbeischwimmen lassen, vielleicht noch irgendwie eine Beförderung oder eine Belobigung einstreichen können, weil ich so brav mitgemacht habe, und alles wäre wieder gut? Die Fragen kamen mir öfter. Aber letztlich bin ich genau dafür Beamter geworden, um mich für die Bevölkerung einzusetzen und nicht dafür, dass ich Politikern oder irgendeiner Partei diene. Das war immer mein Anspruch: Prävention und für die Bürger da sein. Und auch wenn der Weg bis heute wirklich schwer war: Ich würde es tatsächlich genau wieder so machen, trotz aller Einschränkungen.

    Mittlerweile sind Sie in einer Partei, für das "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) sind Sie in das Europäische Parlament eingezogen. Eines Ihrer Steckenpferde dort soll neben gesundheitspolitischen Themen und der Pandemie-Aufarbeitung der Kampf für die Meinungsfreiheit sein. Wie passt es da zusammen, dass das BSW geschlossen den Saal verlässt, wenn der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Bundestag eine Rede hält?
    PÜRNER: Das war die Entscheidung der Gruppe im Bundestag und ich denke, da gibt es bestimmte Gründe, die man nachvollziehen kann. Sahra Wagenknecht hat sich auch erklärt, dass ihr klar war, dass es Standing Ovations geben werde. Und diesem Zustand habe sie sich auf gar keinen Fall aussetzen wollen. Jetzt kann man natürlich sagen: "Dann bleibt man sitzen." Das kann man tatsächlich diskutieren, aber ich kann keine Einschränkung der Meinungsfreiheit erkennen, wenn jemand aufsteht und den Saal verlässt. Ich kann aber sehr wohl eine Einschränkung der Meinungsfreiheit erkennen, wenn man jemandem den Job entzieht, weil er sich fachlich kritisch äußert.

    Zur Person

    Friedrich Pürner, 57, ist Aichacher, Mediziner und seit der diesjährigen Europawahl Abgeordneter für das neu gegründete links-konservative "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) im Europäischen Parlament. Bundesweite Bekanntheit erlangte er, als er 2020 als Leiter des Gesundheitsamtes am Landratsamt Aichach-Friedberg öffentlich Pandemie-Maßnahmen kritisierte. Im Anschluss wurde er an das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) zurückbeordert.

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