Guten Morgen aus Bayern! Der Hahn hat um 5.00 Uhr gekräht, um 6.00 Uhr folgte das Geläut der Dorfkirche. Und jetzt bimmeln die Kuhglocken. Klischee? Nun ja. Glocken um den Hals haben eigentlich nur die Kühe, die im Alpen- und Voralpenraum draußen weiden, damit sie leichter gefunden werden können. Die meisten bayerischen Rindviecher stehen im Stall und fressen Silage. Ein typischeres Landgeräusch für ganz Bayern wäre statt Kuhglocken-Gebimmel also eher das Surren des Mähwerks oder des Feldhäckslers.
Ob die Freien Wähler das auch für einen typisch bayerischen Sinneseindruck halten?
Denn die Landtagsfraktion der Partei will das besonders schützen, was man auf dem Land hören und riechen kann: "Kirchenglocken, Kuhglocken oder Hahnenkrähen", wie es in dem Antrag heißt, den die Fraktion kürzlich eingebracht hat. Frankreich habe es vorgemacht. Im Bundesimmissionsschutzgesetz sollen die für das Landleben typischen und identitätsstiftenden Gerüche und Geräusche unter besonderen Schutz gestellt werden, um juristischen Streit darüber zu verhindern. Damit gemeint sei auch der Duft beim Brotbacken und Bierbrauen.
(Lesen Sie auch: Im Allgäu gibt es mehr als 100 Bäckereien: Das ist die Übersicht)
Weiter heißt es: In den vergangenen Jahren habe es "vermehrt Konflikte zwischen vornehmlich traditionellen Handwerks- und Landwirtschaftsbetrieben, die seit jeher ortstypische Gerüche und Geräusche produzieren und sich daran störenden neu zugereisten Anwohnern" gegeben.
Das Paradebeispiel hierfür ist freilich die Gülle. Ihr Geruch stand lange Jahre für die Unliebsamkeiten des Landlebens. Was nützt das schönste Wochenendhaus, wenn der Großbauer am Samstag seine Güllegrube leert? Wobei auch hier die moderne Technik und die Gülleverordnung Abhilfe leisten: Früher sei die Gülle mit Schleuderfässern regelrecht durch die Luft gewirbelt worden, erläutert Michael Mederle vom Kuratorium der Bayerischen Maschinen- und Betriebshilfsringe: Die Gülle sei über Prallteller verteilt worden, Ammoniak sei verstäubt und durch den Wind davongetragen worden. Durch die Novellierung der Düngeverordnung sei dies nun auf Ackerland deutlich eingeschränkt – abgesehen von Übergangs- und Ausnahmeregelungen für beispielsweise sehr kleine Betriebe.
(Lesen Sie auch: Bis zu 50.000 Euro Bußgeld für Rasenmähen am Sonntag: So greift die Polizei im Allgäu bei Lärmbelästigungen durch)
Gülle werde heutzutage überwiegend streifenförmig und bodennah ausgebracht und gelangt somit kaum mehr an die Luft. Zudem müsse sie auf unbestelltem Ackerland innerhalb von vier Stunden nach dem Aufbringen eingearbeitet werden.
Und fairerweise muss man auch sagen: Nicht immer sind es die Zugereisten, die klagen, wenn zum Beispiel ein neuer Stall gebaut werden soll. Auch Einheimische haben oft längst keine direkte Beziehung mehr zur Landwirtschaft und lehnen Tierhaltung in der Nachbarschaft ab. Beim Bayerischen Bauernverband heißt es: "Klagen gegen Stallbauprojekte nehmen immer mehr zu. Insbesondere gehen Nachbarn oder Umweltschutzverbände mit Klagen gegen Genehmigungen für neue Ställe vor."
Aus der Ferne betrachtet, haben vor allem Streitereien um Kuhglocken einigen Unterhaltungswert: Hier die alteingesessenen oberbayerischen Bauern und ihre Weidetiere, die schon seit Jahr und Tag Glocken tragen. Da die Zugereisten, die sich für oft viel Geld ein Domizil vor Bergkulisse gekauft und weder an Gebimmel, Mist und Mücken gedacht haben.
(Lesen Sie auch: "Unfassbar": Streit um Kirchenglocken eskaliert - Früherer Memminger Dekan als Schlichter gefordert)
Für die direkt Beteiligten gerät der Konflikt aber nicht selten zur Nervenprobe. In Holzkirchen zum Beispiel hatte sich ein Streit jahrelang durch die Instanzen gezogen. Schließlich einigten sich das klagende Ehepaar und die betroffene Bäuerin 2020 vor dem Oberlandesgericht München auf einen Vergleich: Nur ein Teil der Herde darf eine Glocke tragen - und die dürfen nur auf einem bestimmten Teil der Weide grasen. Die OLG-Richter kamen sogar zur Weide, um selbst nachzuhören.
Eine entsprechende gesetzliche Regelung würde in vielen Fällen Klarheit schaffen und man könne sich Gerichtsverfahren sparen, sagt Rudolf Neumaier, Geschäftsführer des Landesvereins für Heimatpflege. Wenn ähnlich wie in Frankreich gesetzlich geregelt sei, "dass Kirchengeläut und Kuhglocken dazugehören", erledige sich manch bizarrer Rechtsstreit.
Allerdings sieht er durchaus Schwierigkeiten, zu definieren, welche Geräusche und Gerüche ortsüblich und traditionell sind - und wo die Belästigung anfängt: "Da muss man differenzieren." Die Heimatpflegerinnen und -pfleger, die auf Kreis- und Bezirksebene arbeiten, könnten sicher gut einschätzen, was schützenswert ist und was nicht.
Zum Beispiel sei nicht alles, was die Landwirtschaft heutzutage auf ihren Wiesen und Feldern ausbringe, typisch bayerisch oder fränkisch, sagt Neumaier - Biogas-Abfälle oder andere Abfallprodukte etwa.
Beim Bauernverband findet man die Initiative der Freien Wähler gut, wie eine Sprecherin betont. Bereits vor zwei Jahren hatte Präsident Walter Heidl in einem Interview den Franzosen zu diesem Gesetz gratuliert. So eine Regelung würde bei den bayerischen Bäuerinnen und Bauern großen Zuspruch finden. Sie sei ein Zeichen, dass man den ländlichen Raum ernst nehme.
Der Tag ist nun vorüber im schönen Freistaat. Von irgendwoher bellt ein einsamer Hofhund. Ein Schuss ertönt. Der Jagdpächter hat wohl ein Wildschwein erlegt. Und nun: Stille. Gute Nacht, Bayern!