Grün geht gar nicht, sagt Markus Söder. Rot kommt nicht Frage, auch gelb fällt weg. Und schwarz ist ihm zu düster. Er tippt auf die blaue Farbtube - königsblau. Ein kurzes Raunen ist unter den Mitreisenden zu hören, bevor er schnell hinterherschickt: „Meine Lieblingsfarbe.“ Außerdem sei es die Farbe des bayerischen Himmels, was könnte also besser zu ihm passen.
Er drückt seine rechte Hand, dick eingekleistert mit Farbe, an die Wall of Fame. An der Wand direkt vor dem Klassenzimmer haben die freiwilligen Helfer aus aller Welt in bunten Farben ihre Handabdrücke hinterlassen. Sie alle waren da, um den Mädchen und Buben des Viertels eine bessere Basis für ihr Leben zu ermöglichen: dreimal am Tag Essen, Schulbildung, medizinische Versorgung, kurz: eine glückliche Kindheit. Christina und Yvonne haben neben ihrem Handabdruck unterschrieben, Leonie, Peter, Hülya. Und neuerdings auch ein Markus S.

Der bayerische Ministerpräsident besucht an dem Morgen, bevor er seine Indien-Reise wegen eines Magen-Darm-Infekts abrupt abbrechen muss, das Sozial-Projekt „Sunshine“ (zu Deutsch: „Sonnenschein“) in einem der Armenviertel Neu-Delhis. Die Straßen und Wege sind voller Löcher, an den Straßenrändern türmen sich Berge von Plastik, Müll, Exkrementen. Die Stromleitungen sind wild von Balkon zu Balkon gespannt, bevor sie an den Straßenecken in dicken Knäueln enden.

In China streichelte Markus Söder noch Pandas
Wer hier aufwächst, hat wenig Chancen. In Indiens Verfassung ist zwar für Kinder bis 14 Jahre das Grundrecht auf Bildung festgeschrieben. In der Praxis aber können sich die meisten Eltern in den Slums das Schulgeld nicht leisten und schicken ihre Kinder lieber zum Betteln oder zum Arbeiten als in die Schule. Um diese Spirale der Armut zu durchbrechen, hat Priti Arora vor 23 Jahren „Sunshine“ gegründet. In einer Garage und mit damals 17 Kindern. Heute gehen hier 232 Mädchen und Buben kostenlos zur Schule. Finanziert wird das bunte Haus durch Spenden, der Freistaat Bayern unterstützt mit 10.000 Euro.
Kishan Soni, 25, ist ein ehemaliges „Sunshine“-Kind, das seine Chance genutzt hat. Er begrüßt Markus Söder in perfektem Deutsch und erzählt, dass er einen gut bezahlten Job als Übersetzer bei Amazon hat. „Da merkt man erst wieder“, sagt Söder, „wie viel Glück man selbst im Leben damit hatte, wo man geboren wurde. Und wer so viel Glück hat, hat auch die Aufgabe, anderen zu helfen.“ Die Kinder seien ihm ein Herzensanliegen, sagt der 58-Jährige und verrät, dass er privat seit über zehn Jahren vier Mädchen in Indien unterstützt, zwei davon studieren inzwischen.
Der CSU-Chef ist im heißen Indien als Staatsmann unterwegs, der nicht nur die Interessen des Freistaats vertritt, sondern Teil der künftigen Bundesregierung ist. Ganz so, wie er es vor vier Jahren mit Sätzen wie „Sie werden von mir hören“ angekündigt hat, nachdem er im Machtkampf um die Kanzlerkandidatur gegen den damaligen CDU-Chef Armin Laschet einlenken musste. Söder ist zurück in einer neuen, einer gewichtigen Rolle, die er sichtlich genießt. Da ist kein Platz mehr für die spaßigen Fotos von Bayerns wohl bekanntestem Foodblogger, der unter #söderisst bei früheren Reisen gerne sein Essen postete. Oder zu Abbas „Dancing Queen“ in Schweden Karaoke sang. Und Pandas streichelte wie im vergangenen Jahr auf seiner China-Reise.

Wie immer sind die Bilder und Botschaften, die er nach Hause sendet, perfekt inszeniert. Wenn Söder vor dem Humayun-Mausoleum posiert zum Beispiel, einem imposanten Grabbau in Neu-Delhi, dem Vorbild für das Taj Mahal. Dann ist der Blick gedankenschwer in die Ferne gerichtet, die Hände stecken lässig in den Taschen der Jeans. Oder in der Armenküche des Sikh-Tempels, wo er mit Turban und barfuß mit einem riesigen Schöpflöffel in den dampfenden Bottichen rührt, in denen das indische Nationalgericht Dal kocht. Bei einem Zwischenstopp vor dem India Gate, dem Triumphbogen, der an die gefallenen Soldaten aus Britisch-Indien erinnert, ist er dann wieder ganz der alte Söder, der in jede Handy-Kamera lächelt. Die deutsche Touristin, die ein Selfie mit ihm ergattert hat, hüpft freudig davon.
Vor Jahren gab Markus Söder noch den „Franken-Gandhi“ in Veitshöchheim
An der Gedenkstätte für den indischen Freiheitskämpfer und Friedensnobelpreisträger Mahatma Gandhi gibt Söder den Staatsmann – zehn Jahre, nachdem er sich beim Fasching in Veitshöchheim als „Franken-Gandhi“ verkleidet hatte, wie er damals sagte. In Socken läuft er über den grünen Kunstrasen, so will es das Ritual, bis zu einer schwarzen Steinplatte, neben der das ewige Feuer brennt. Sie bedeckt die Stelle, an der der Volksheld 1948 eingeäschert worden ist. Söder hat einen Kranz aus weißen Chrysanthemen und Orchideen mitgebracht und zupft die weiß-blaue Schleife mit dem Schriftzug „Der bayerische Ministerpräsident“ zurecht. Dann senkt er den Kopf, faltet die Hände, hält kurz inne und wirft mit beiden Händen rote Rosenblätter auf den Stein. Einmal, zweimal und noch einmal für die Fotografen.
„Ehrfürchtig gedenke ich des Lebens und des Vermächtnisses von Mahatma Gandi“, schreibt Söder später ins Gästebuch. „Von seinem unermüdlichen und visionären Einsatz für Frieden und Verständigung kann die Welt bis heute lernen.“ Beim Hinausgehen bleibt er kurz vor einer Tafel stehen, auf der Gandhi vor den „sieben sozialen Süden“ warnt. Ganz oben steht: „Politics without principles“, Politik ohne Prinzipien. Das werde man in der deutschen Politik befolgen, sagt Söder dem Leiter der Gedenkstätte.

Die deutsche Politik wird in Indien aufmerksam verfolgt in Zeiten, in denen sich die Machtverhältnisse verschieben und die ganze Welt sich plötzlich für den Subkontinent interessiert – als demokratische Alternative zu China oder Russland. Indien wird weltweit hofiert, heißt es aus hochrangigen Diplomatenkreisen. Aus gutem Grund: Die Volkswirtschaft wächst nicht nur regelmäßig um gut sechs Prozent, sie explodiert förmlich. Inzwischen ist Indien die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt.
Dazu tragen Unternehmer wie Vivek Chaand Sehgal bei, der zum Abendessen mit Markus Söder extra mit dem Privatflieger aus Dubai eingeflogen ist. Der Selfmade-Milliardär, der zu den reichsten Indern gehört, hat sich mit Centprodukten wie kleinen Plastiksteckern für die Kabelbäume in Autos ein Imperium aufgebaut. Vor 50 Jahren gründete er zusammen mit seiner Mutter und nur 40 Dollar Startkapital die Firma Motherson, erzählt der 68-Jährige. Der Autozulieferer ist heute einer der größten mit 26 Milliarden Euro Jahresumsatz und 200.000 Mitarbeitern an 400 Standorten weltweit. 36.000 verschiedene Produkte stellt das Unternehmen her. Auch die bayerischen Autobauer, die in Indien einen Zukunftsmarkt sehen, gehören zu den Kunden. In Bayern hat die Motherson Group neun Standorte und etwa 6500 Mitarbeiter, vor allem in Franken. „Wir hoffen, dass noch viele dazukommen“, sagt Sehgal. Und Söder nimmt Sehgal junior, der ihn durch die blitzsauberen, modernen Fabrikhallen führt, das Versprechen ab, dass Motherson weiter im Freistaat investiert.
Markus Söder will Bayerns Auslandsaktivitäten neu aufstellen
Technologie, Rüstung, Wirtschaft, Wissenschaft, Fachkräfte, vor allem für die Pflege: Das sind die Kernthemen, in denen Markus Söder ganz viel Potenzial sieht in einer engeren Kooperation mit Indien. Indisch-bayerische Joint-Ventures, derzeit gibt es etwas mehr als 300, sollen ausgebaut werden. Dazu wird der Freistaat ein 100.000 Euro schweres Stipendien-Programm aufsetzen. Für deutsche Studenten, die nach Indien gehen wollen. Und für Inder, die in Deutschland studieren möchten. Auch Bayerns Auslandsaktivitäten will Söder neu aufstellen, „hier ist vieles in die Jahre gekommen“.
Deutschland hat einen guten Ruf in Indien: die Ingenieurskunst, die deutschen Tugenden und als Zugabe die bayerischen Traditionen. Söder nennt den Freistaat „den kulturellen Türöffner“ für die Bundesrepublik. Das zeigt sich auch daran, dass der bayerische Ministerpräsident „sehr ungewöhnlich empfangen wird“, heißt es aus Diplomatenkreisen. So trifft er nicht nur hochrangige Minister zu politischen Gesprächen im kleinen Kreis. Außenminister Subrahmanyam Jaishankar richtet zu Ehren des hohen Besuchs aus Bayern auch ein Mittagessen aus. Nicht nirgendwo, sondern im schicken Hyderabad House, dem offiziellen Gästehaus des indischen Premierministers.
Doch trotz des Aufwärtsstrebens in die Weltwirtschaft ist der krasse Gegensatz zwischen Hightech und extremer Armut in der Hauptstadt Delhi an vielen Ecken zu sehen. In den schmalen Gassen des kleinen Marktviertels Nizamuddin, in dem viele Muslime leben, ist es eng und heiß. Menschen und Mopeds kämpfen um die paar Zentimeter Platz zwischen den Verkaufsständen, an denen es bunte Schals oder Rosenblätter als Opfergaben für den Tempel gibt. Babys spielen auf dem Boden im Dreck, magere Ziegen drücken sich an ihnen vorbei. Fliegen umschwirren das Fleisch, das beim Metzger an dicken Haken von der Decke hängt. Dürre Hähnchen in engen Käfigen werden für 190 Rupien (keine zwei Euro) angeboten, das Beil liegt auf einem blutigen Baumstumpf bereit. An den Essenständen köchelt in rußigen Töpfen Gemüse mit Linsen vor sich hin, an langen Spießen brät Hühnerfleisch über dem offenen Feuer.
Dann streckt ein Magen-Darm-Virus Markus Söder nieder
Auch das ist Indien, die andere Seite dieses faszinierenden Landes, wie Söder es nennt. Wo Firmen wie Motherson immer weiter expandieren, die gelb-grünen Tuktuks inzwischen per Uber-App gerufen werden und am Flughafen Plastikflaschen und -tüten aus Umweltschutzgründen einkassiert werden.
Während die Söder-Reise von Delhi aus in die bayerische Partnerprovinz Karnataka weitergeht, bleibt Markus Söder in Delhi zurück. Ein heftiger Magen-Darm-Virus hat ihn niedergestreckt. Staatskanzleichef Florian Herrmann übernimmt, schlüpft als Bayerns Botschafter in die bunte indische Tracht, die für Söder vorgesehen war, unterzeichnet weitere Kooperationsabkommen.
Eine Nacht später meldet sich Söder zurück. Wieder ganz der alte, wieder per Foodblog und einem Foto, das eine Tasse Schwarztee zeigt und eine Scheibe Toast: „#söderisst heute nur Toast und trinkt Tee. Denn gestern hat es mich ziemlich erwischt. Zum Glück geht es heute schon wieder besser und ich fliege von Indien wieder nach Hause.“
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