Jens Spahn hatte schon so eine Ahnung. Im Mai 2020, gut zwei Monate nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie, tippt der damalige Bundesgesundheitsminister eine SMS. „Viele der Geschehnisse dieser Tage werden noch Untersuchungsausschüsse beschäftigen und daher wird es meinerseits keine politische Einflussnahme geben. Schützt Dich und mich. Lg Jens“, schreibt er in einer privaten Nachricht an die CSU-Politikerin Monika Hohlmeier, die unserer Redaktion vorliegt. Es geht um den Kauf von Atemschutzmasken in großem Stil. In diesen Tagen nimmt eine Geschichte ihren Anfang, die mit einem kleinen Gefallen beginnt, zu einem gigantischen Geschäft für zwei Schweizer Jungunternehmer wird und auch fünf Jahre später noch unangenehme Fragen aufwirft.
Dass der Masken-Deal gerade jetzt das politische Berlin erschüttert, hängt mit dem Bericht von Sonderermittlerin Margaretha Sudhof zusammen. Im Auftrag des Gesundheitsministeriums hatte die SPD-Politikerin Spahns Arbeit in jenen turbulenten Monaten unter die Lupe genommen, als Masken selbst in Krankenhäusern und Arztpraxen Mangelware waren und die Deutschen in ihrer Not schon anfingen, sich selbst welche zu nähen, um sich halbwegs vor dem unbekannten Virus zu schützen.
Strauß und Tandler: Die Töchter berühmter bayerischer Politiker sind im Spiel
Etwas verkürzt lässt sich sagen: Der damalige Minister Spahn (CDU) kauft, bestellt und nimmt, was er kriegen kann. Zu Preisen, die zumindest aus heutiger Sicht unfassbar klingen. Und hier kommt die Schweizer Firma Emix ins Spiel, hinter der zwei junge Männer stecken, die versprechen, schnell Millionen Masken organisieren und liefern zu können. Als Türöffner soll die Tochter einer einstigen CSU-Größe dienen: Andrea Tandler. Deren Vater Gerold war in den 80er Jahren Minister in Bayern, Generalsekretär der CSU – und ein enger Vertrauter von Franz Josef Strauß. In dieser Zeit lernte Andrea Tandler auch die Strauß-Tochter Monika Hohlmeier kennen. Eine alte Verbindung, die sich nun millionenfach auszahlen soll.
Hohlmeier hat in den Fußstapfen des Vaters selbst Karriere gemacht und verfügt über beste politische Kontakte – genau das also, was Tandler jetzt braucht, um im Auftrag von Emix Masken-Geschäfte mit dem deutschen Staat und verschiedenen Bundesländern anzubahnen. Tatsächlich stellt die CSU-Politikerin den Kontakt zu ihrem Unions-Parteifreund Spahn her und bleibt auch mit ihm in Kontakt, als nicht alles glattläuft, weil längst nicht alle gelieferten Masken den Qualitätsstandards entsprechen und die Schweizer Unternehmer um ihr lukratives Geschäft bangen. In diese Zeit fällt jene SMS von Hohlmeier an Spahn, die er freundlich, aber bestimmt abmoderiert.
Die Strauß-Tochter hat stets betont, es sei ihr nur darum gegangen, in einer absoluten Notlage jede Möglichkeit auszuloten, um an Corona-Masken zu kommen. Tatsächlich gibt es keinen Hinweis darauf, dass Hohlmeier an dem großen Deal mitverdient hat. Im Gegensatz zu Andrea Tandler, die atemberaubende 48 Millionen Euro Provision kassiert. Weil sie das Geld allerdings nicht ordnungsgemäß versteuert hat, wurde sie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Der Bundesgerichtshof (BGH) verkündete just am Freitag, dass er die Strafe für Tandler um 17 Monate auf drei Jahre reduziert hat, bestätigte aber die Verurteilung wegen Gewerbesteuerhinterziehung. Die Politiker-Tochter wird damit wohl wieder ins Gefängnis einrücken müssen. Sie saß vor dem Prozess in München bereits ein knappes Jahr in Untersuchungshaft, war aber bis zur Entscheidung des BGH auf freien Fuß gekommen.
Die Abgeordneten Sauter und Nüßlein kassierten Provisionen für Maskendeals
Auch Monika Hohlmeiers CSU-Parteifreunde Alfred Sauter und Georg Nüßlein haben von der Corona-Pandemie profitiert. Die beiden schwäbischen Abgeordneten kassierten Millionenprovisionen für Maskengeschäfte. Daher ermittelte die Generalstaatsanwaltschaft München wegen des Verdachts der Bestechlichkeit gegen sie. Der Bundesgerichtshof entschied aber, dass dieser Straftatbestand nicht erfüllt sei. Der Fall wurde zum Auslöser für eine Verschärfung der Vorschrift zur Abgeordnetenkorruption. Die politischen Karrieren von Sauter und Nüßlein zerbrechen im Zuge der Maskenaffäre.

Dass Jens Spahn sich strafbar gemacht hat, dafür gibt es bislang keine Hinweise. Für ihn könnte der Fall Emix aber vor allem deshalb ein Nachspiel haben, weil er die Maskenbeschaffung auf eigene Faust durchzog und eine Garantie abgab, dass der Staat bis zu einem gewissen Stichtag sämtliche gelieferten Masken für einen Stückpreis von 4,50 Euro abnehmen wird. Damit habe er – so der Vorwurf – ohne Not eine regelrechte Lawine ausgelöst, die den Steuerzahler teuer zu stehen kam. Allein bei Emix orderte der Gesundheitsminister 100 Millionen Masken, obwohl diese mit 5,40 Euro sogar noch über dem ohnehin schon hohen, garantierten Preis lagen. Insgesamt sollen die Schweizer, die nicht nur den Bund, sondern auch Bayern und Nordrhein-Westfalen belieferten, rund 750 Millionen Euro kassiert haben. Ihren unverhofften Reichtum stellten die beiden jungen Unternehmer öffentlich zu Schau, indem sie sich gleich mal mehrere Luxusautos zulegten. Zwar ist Unverfrorenheit nicht strafbar, doch es bleibt bis heute die Frage im Raum, ob Emix bewusst gegenüber anderen Anbietern bevorzugt wurde. Und wenn das so wäre, ergäbe sich gleich eine Folgefrage: warum?
Gibt es einen Untersuchungsausschuss zum Fall Spahn?
Dasselbe gilt für einen Auftrag zur Lagerung und Verteilung der Unmengen an bestellten Masken, der ausgerechnet an eine Firma ging, die nicht nur in Spahns Nachbarwahlkreis im Münsterland sitzt, sondern deren Chef auch noch im CDU-Wirtschaftsrat saß. Auch hier soll der Minister mehr oder weniger im Alleingang gehandelt haben. Leute, die es gut mit dem heutigen Unions-Fraktionschef im Bundestag meinen, sagen, für eine solche akute Notlage habe es eben keine Blaupause gegeben. Seine Kritiker unterstellen hingegen, er habe sich damals im wahrsten Sinne um jeden Preis als hemdsärmeliger Krisenmanager inszenieren wollen. Auf Kosten des Staates.
Ob sich die dunkle Ahnung des damaligen Gesundheitsministers, dass sich eines Tages Untersuchungsausschüsse mit all dem befassen werden, bewahrheitet? Eher unwahrscheinlich. Zwar fordert die Opposition genau das. Doch die Union hat keinerlei Interesse, noch mehr alten Staub aufzuwirbeln, wo ihr die Maskenaffäre um Sauter und Nüßlein doch schon massiv geschadet hat. Und in der SPD mag es durchaus Leute geben, die Spahn nicht so leicht davonkommen lassen wollen. Allerdings werden die Sozialdemokraten dafür kaum einen Koalitionskrach mit CDU und CSU riskieren.
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