Die Sonne ist längst noch nicht aufgegangen über dem Tonbachtal. Aber im Fünf-Sterne-Grand-Hotel Traube brennt schon das Licht, während eifrige Menschen ein Frühstücksbuffet von geradezu verschwenderischer Vielfalt für die Gäste aufbauen. Oder die Handtücher im Spa- und Pool-Bereich auf Kante falten. Oder das Obst am Tresen auffüllen, um jene anderen Menschen später zu verwöhnen, die sich jetzt gerade noch einmal in ihren warmen Betten umdrehen. Wenn man zu dieser fast noch nachtschlafenden Zeit genau hinhorcht, bemerkt man ein sachtes Brummen, das sich ähnlich anhört wie der Blutfluss in den eigenen Schläfen. Tatsächlich ist so ein Hotelbetrieb vergleichbar mit einem komplexen Organismus, der atmet und manchmal auch stottert und hustet.
Doch das, was im Januar 2020 in der Traube Tonbach geschehen ist, war viel mehr als nur ein Schnupfen. Das sogenannte Stammhaus, die Keimzelle der Gastronomie im Tonbachtal, deren Wurzeln bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen, ist damals kurz nach Silvester komplett abgebrannt. Und mit ihr das Drei-Sterne-Restaurant „Schwarzwaldstube“, das inzwischen seit mehr als 40 Jahren die höchsten gastronomischen Weihen trägt. Feinschmecker huldigen Chefkoch Torsten Michel, dessen Restaurant international mit ein paar weiteren erlesenen Adressen auf Platz eins von „La Liste“, einer Zusammenstellung der weltbesten Restaurants, steht. Diese bildet ihre Note aus einem Querschnitt unterschiedlicher Quellen wie Michelin-Sternen oder Gault-Millau-Hauben. Nach deren Maßstäben darf sich die Schwarzwaldstube mit als bestes Restaurant der Welt betrachten.
„Wir strahlen ein Gefühl aus und verkaufen dieses Gefühl, sich in der Kulinarik etwas Besonderes zu gönnen“
Aber das legendäre Lokal, das die Familie Finkbeiner in nur zwei Jahren Bauzeit 2022 wieder neu erstehen ließ, ist lediglich ein Element des gastronomischen Organismus, wobei Sebastian Finkbeiner, Vertreter der achten Generation in der Reihe der Hoteliers-Familie, die Schwarzwaldstube durchaus als Herzkammer betrachtet. „Die Schwarzwaldstube ist der essenzielle Teil der Traube. Wir strahlen ein Gefühl aus und verkaufen dieses Gefühl, sich in der Kulinarik etwas Besonderes zu gönnen.“ Das sei vergleichbar mit dem Kauf einer Luxus-Handtasche und der Emotion dabei, sich selbst beschenkt und etwas Gutes getan zu haben, sagt er. Sich in der Schwarzwaldstube selbst zu beschenken, ist allerdings durchaus etwas, wozu es das nötige Kleingeld braucht bei Menüpreisen um die 300 Euro. Ohne Weinbegleitung oder Trinkgeld. Die deutsche Luxus-Gastronomie ist damit im internationalen Vergleich dennoch günstig bemessen.
Im Gespräch mit Sebastian Finkbeiner wird schnell deutlich, dass das prestigeträchtige Haus im Schwarzwaldort Baiersbronn von manchen Nöten der restlichen Gastronomie weniger betroffen zu sein scheint. Zum Beispiel in puncto Personal: Während die unsichere Corona-Zeit auch den Luxusdampfer Traube Tonbach ins Schlingern brachte, freut sich Finkbeiner heute, bei einer wichtigen Kennzahl wieder den Stand von vor der Pandemie erreicht zu haben. „Wir sind jetzt wieder bei jährlich 30 Auszubildenden angelangt, die wir ohne die Hilfe von irgendwelchen Auslands-Agenturen gewinnen können“, erklärt er. Offenbar wirkt der Ruf von Baiersbronn nicht bloß bei den Gästen, sondern ebenfalls bei potenziellen Mitarbeitern. Im Augenblick arbeiten insgesamt 312 Menschen in der Traube-Gastronomie des Hotels.
Warum aber ist ausgerechnet Baiersbronn, eine Kleinstadt mit knapp 15.000 Einwohnern, das Ziel für Gourmets aus aller Welt, abseitig gelegen in einem Tal, etwas mühsam über kurvenreiche Straßen erreichbar? Eine Antwort darauf hat Vater Heiner Finkbeiner einmal formuliert: Harald Wohlfahrt. „Er hat 1977 hier angefangen“, erinnerte sich der Hotelier. Ausgestattet mit Ehrgeiz, Fleiß und großem Talent übernahm der Schwarzwälder rasch das Zepter in der Küche. „1993 kam der dritte Michelin-Stern“, so Heiner Finkbeiner, „der seitdem ununterbrochen unsere Schwarzwaldstube auszeichnet.“ Also auch nach dem Wechsel zum jetzigen Küchenchef Torsten Michel, der den kulinarischen Ruf des Hauses sogar noch ausgebaut hat. Durch die Schule von Wohlfahrt sind ungezählte Köche gegangen – die in Summe später fast 100 eigene Sterne erkochen konnten. Womit sich ohne Übertreibung sagen lässt, dass das, was in der Schwarzwaldstube am Herd entstanden ist, die (Gourmet-)Küche des Landes und darüber hinaus geprägt hat – und prägt.

Und weil also aus der näheren und weiteren Umgebung viele Köche bei Wohlfahrt gelernt haben, der die Schwarzwaldstube 2017 nach einem Konflikt mit der Hoteliersfamilie verließ, ist es kein Wunder, dass es in Baiersbronn noch mehr Sterne gibt – etwa im Hotel Bareiss, wo Claus-Peter Lumpp auf Drei-Sterne-Niveau kocht. und im Restaurant Schlossberg, in dessen Küche Jörg und Nico Sackmann lange Zeit zwei Sterne und nun einen verteidigen. „Wir verstehen uns untereinander nicht als Konkurrenten“, meint Finkbeiner senior. Vielmehr sei es für einen Ort wie Baiersbronn sehr befruchtend, wenn viele gute Leute nahe beieinander seien. „Das sorgt dafür, dass sich jeder einzelne bemüht, der Beste zu sein. Denn Sie wissen ja: ,Das Bessere ist der Feind des Guten’.“
Zum Reigen dieser Guten hat längst auch Florian Stolte aufgeschlossen, der in der Traube im Restaurant „1789“ seinen eigenen Stern hat aufgehen lassen. Wenn man sich durch eines seiner Menüs probiert, die spürbare asiatische Einflüsse zeigen und speziell mit Fisch und Meeresfrüchten außergewöhnlich klar, modern und voller Kraft umgehen, ist es bestens vorstellbar, dass es nicht bei dem einen Stern bleiben muss.
Den Druck der stetigen Erneuerung spürt man auch im Schwarzwald
Apropos bleiben: In der Gastronomie ist es meistens keine besonders gute Idee, die Dinge so bleiben zu lassen, wie sie immer waren. Das gilt umso mehr für Fünf-Sterne-Herbergen, deren Luxus erst Patina ansetzt – und dann den Ansprüchen der verwöhnten Gäste nicht mehr genügt. Diesen Druck der stetigen Erneuerung spürt man auch im Schwarzwald, und es ist nicht leicht, die richtige Balance zwischen Tradition, Nostalgie und Moderne zu finden. Was im Hotel Traube umso schwieriger ist, weil dort zum Teil Familien in dritter oder vierter Generation Ferien machen. Jede einzelne dieser Generationen muss sich in so einem großen Haus wiedererkennen können.

„Wir haben die Baugenehmigung vor ein paar Wochen beantragt und wollen dann jetzt im Sommer die Gewerke ausschreiben“, sagt Sebastian Finkbeiner. Die anstehende Sanierung habe nichts mit Kosmetik zu tun. „So ein Haus ist energetisch sehr intensiv“, beschreibt es der Junior-Chef. Der erste Abschnitt mit 36 Zimmern werde im Januar angepackt. Balkone, Fenster, Fassaden, Dächer, Innendesign, Bäder – so ziemlich alles wird einer Neuerung unterzogen. „Deshalb bekommt die Traube nach außen hin auch ein neues Bild.“ Nach Bauabschnitt eins geht es weiter. Bis alles komplett ist, wird es Jahre dauern. Und wenn man bei einem solchen Haus bei laufendem Betrieb hinten fertig sei, könne man im Prinzip vorne schon wieder anfangen. Was das alles kosten wird – darüber schweigt sich der Hotelier, für den Diskretion ein Teil des Geschäfts ist, wortreich aus.
Die Schwarzwaldstube, die doch sehr geprägt war von dunklen und zum Teil schwarzen, dicken Balken, ist heute schon viel lichter, leichter und luftiger. Statt des teils düsteren Fachwerks bestimmen Schindeln die Außenhaut des Gebäudes. Das Restaurant selbst lässt durch Glasfronten den namensgebenden Schwarzwald herein. Und zeigt ein Stück Himmel, der durch den verglasten Dachgiebel greifbar erscheint. Dunkles Holz ist zwar immer noch vorhanden, aber es dominiert nicht mehr so stark. Vielleicht ist die Art, wie die neue Schwarzwaldstube alte Traditionen zart anklingen lässt, das Muster für die einschneidenden Umbau-Maßnahmen im Hotel? Doch auch dazu: keine Auskunft.
Der Mann an der Tür dürfte sich als besten Koch des Planeten bezeichnen, tut er aber nicht
Eins wenigstens scheint gewiss: Familie Finkbeiner will offenbar an ihre lange Ahnenkette anknüpfen. Sie reicht zurück ins Jahr 1789, als ein Tobias Finkbeiner im Tonbachtal eine Bauernstube eröffnete, um hungrige und vor allem durstige Forstarbeiter mit Speis und Trank zu versorgen.
Jetzt, da die Sonne fast untergegangen ist, sind die Spuren des Frühstücksbuffets freilich längst verschwunden. Im Spa- und Poolbereich werden die gebrauchten Badetücher eingesammelt und zur Wäscherei verfrachtet, das Obst wird abgeräumt. Und in den Zimmern decken Mitarbeiter die Betten auf. Am Fuße des Hotels, am Eingang der Schwarzwaldstube, steht ein freundlicher Mann und begrüßt jeden, der durch die offene Tür aus der frischen Abendluft ins Innere tritt. Der Herr in seiner strahlend weißen Montur dürfte sich, wenn er es darauf anlegen würde, nicht ohne Berechtigung als besten Koch des Planeten bezeichnen. Das tut Torsten Michel aber nicht. Im Schwarzwald ist man schließlich bescheiden. Und diskret.
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