Sie waren gut vorbereitet und ließen sich von den Politikern nicht mit Pauschalaussagen abspeisen: Zehn unserer Leser diskutierten im Allgäuer Medienzentrum in Kempten mit den neun Direktkandidaten des Wahlkreises 256 (Kempten, Oberallgäu, Lindau). Überwiegend ging es sachlich zu, doch beim Thema Familie und Soziales wurde es emotional.
Bei einem Verdienst von 2.300 Euro im Monat müsse ihre Mitarbeiterin 45 Jahre lang arbeiten – ohne Kinderunterbrechung – und erhalte dann eine Rente von 1.000 Euro, rechnete Martina Gebhard den Politikern vor: „Warum werden aus dem Rententopf noch Betreuungsgeld und Umschulungsmaßnahmen finanziert, anstatt mehr Rente auszuzahlen?“
Matthias Brack, Raphael Weppner und Felix Hanisch ziehen ein Fazit:
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Die Rentenversicherung „auf alle Beitragszahler auszudehnen“, forderte Michael Jäger, um seiner Schwester, die sechs Kinder groß gezogen hat, mehr als die 700 Euro Rente zu geben. Viele Paare müssten sich gar überlegen, ob sie sich Kinder leisten könnten, weil es keinen bezahlbaren Wohnraum gibt, kritisierte Paul Selig. Und dann koste auch noch der Kindergarten Geld – „warum überhaupt?“, fragte Margret Hauber. Für einen Paradigmenwechsel plädierte Ingeborg Pärsch, um den Kindern die Angst vor der Zukunft zu nehmen.
Diese Leser nahmen teil:
Zehn Leser erhielten die Möglichkeit, mit den Direktkandidaten zur Bundestagswahl im Wahlkreis 256 (Stadt Kempten und Landkreise Oberallgäu und Lindau) zu diskutieren. Sie sollten einen Querschnitt der Bevölkerung darstellen und aus dem ganzen Wahlkreis kommen.
- Matthias Brack (39) Altusried, Handwerks-Unternehmer, wünscht sich mehr Handwerker im Deutschen Bundestag.
- Martina Gebhard (51) Rettenberg, selbstständige Physiotherapeutin, fordert eine höhere Rente für Beschäftigte, wenn sie ein Leben lang arbeiten.
- Felix Hanisch (18) Immenstadt, Student, plädiert als Juso-Vorsitzender für ein Wahlrecht ab 16 Jahren.
- Margret Hauber (55) Heimenkirch, Erzieherin, glaubt, dass sich Jugendliche politisch engagieren würden, wenn man sie ernst nimmt.
- Dr. Gernot von Hinüber (76) Kempten, Arzt im Ruhestand, ist für mehr direkte Bürgerbeteiligung.
- Michael Jäger (54) Röthenbach, Maurermeister, fordert, dass alle – auch Selbstständige und Beamte – in die Rentenkasse einzahlen.
- Wolfgang Meyer (76) Scheidegg, Rentner, wünscht sich, dass die Politiker den Bürgern auf Augenhöhe begegnen.
- Ingeborg Pärsch (69) Wiggensbach, Rentnerin, will einen Paradigmenwechsel in der Politik.
- Paul Selig (65) Kempten, Teilzeit-Rentner, beklagt die abnehmende Zahl an Sozialwohnungen.
- Raphael Weppner (25) Kempten, Polizeibeamter, fordert von Politikern, sich auf Facebook zu engagieren, um die Jugend zu erreichen.
Dagegen zählte Minister Dr. Gerd Müller die Erfolge der Regierungen in Berlin und München auf: Betreuungsgeld für junge Eltern, Mütterrente, höheres Kindergeld und Förderung des Wohnungsbaus durch finanzielle Anreize für Kommunen oder für Familien durch das Baukindergeld. Doch dafür erhielt er schnell Contra.
„Ärmere Familien können sich Kinder nicht mehr leisten“, schimpfte Franz Xaver Merk, „angesichts ihrer prekären Arbeitsverhältnisse.“ Deshalb forderte Lucia Fischer zwölf Euro Mindestlohn. Die 150 Euro Betreuungsgeld bezeichneten Katharina Schrader als „Affront gegenüber der Arbeit von Müttern“ und Erna-Kathrein Groll als „Taschengeld für die, die es sich eh leisten können, zuhause zu bleiben“. Die anderen seien gezwungen, möglichst schnell wieder zu arbeiten. Bessere Betreuungsleistungen forderte Hugo Wirthensohn und Stephan Thomae kostenlose Kindergärten. Dr. Josef Kirchmann würde Bau-Spekulationen beschränken und Peter Felser zur Entlastung der Familien beim Familiensplitting jedes Kind abrechnen und die Mehrwertsteuer senken.
Keine Lust auf Politik – was tun?
Moniert wurde von der Mehrzahl der Leser, dass sich Politik von den Menschen entfernt, der Bundestag nicht die Gesellschaft abbildet. Was tun?
Stephan Thomae (FDP): „Komplexe Themen müssen verständlich erklärt werden, sodass jeder versteht: Das ist wichtig für mich.“ Zudem müsse der Politikstil signalisieren: Politik ist nichts Schlimmes.
Lucia Fischer (ÖDP) erhalte „die besten Impulse“ in Gesprächen mit Bürgern. Diese gebe sie weiter: „Damit holt man die Menschen ab.“
Dr. Gerd Müller (CSU): „Schulen müssen sich stärker mit Demokratie beschäftigen – das wurde seit Jahrzehnten vernachlässigt.“ Das Interesse sei da, die Politik müsse neue Wege gehen – etwa online.
Dr. Josef Kirchmann (Bayernpartei) sieht in der Schule „das A und O“ der politischen Bildung. Menschen würden jedoch berufliche Nachteile durch Parteimitgliedschaft fürchten.
Peter Felser (AfD) fordert eine direkte Bürgerbeteiligung. Dem stimmte Leser Dr. Gernot von Hinüber zu: „Alles andere als alternativlos zu bezeichnen, ist demokratieschädlich.“
Erna-Kathrein Groll (Grüne) verwies auf einen Beirat aus Bürgern, der in Kempten die Stadt zum Thema Verkehr berät. „So können Bürger ihre Interessen einbringen.“
Hugo Wirthensohn (FW): „Ein Handwerksmeister kann nicht einfach Bundestagsmitglied werden und dafür seinen Betrieb schließen.“ Das sei „ein Systemfehler“.
Katharina Schrader (SPD): „Bürger in Entscheidungen einzubeziehen, fördert das Verständnis.“ Sie verstehe, wenn sich Menschen nicht als Kandidat aufstellen lassen wollen: „Auch ich habe kein Recht auf Rückkehr in meinen Beruf.“
Franz Xaver Merk (Linke) sieht die Politik verantwortlich für die Zusammensetzung des Bundestages: „Wer ins Parlament kommt, entscheiden die Parteien mit ihren Listen.“ Er plädiert für mehr Bürgerbeteiligung.