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Diese Familie aus Türkheim rettete drei Frauen aus dem KZ

Türkheim

Eine Gedenkstätte für Maria und Willi Seitz: Sie retteten drei Frauen das Leben

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    Die Mindelheimer Zeitung berichtete im Jahr 1989 über das Ehepaar Seitz, auch mit diesem Foto. Die damalige Bildunterschrift war: Dicke Freunde sind Minia Silberberg, Mania Balzam (von links) und die Mutter von Minia Silberberg mit Willi Seitz (Dritter von links) geworden. Als 1975 die Tochter Minias heiratete, wurde der Türkheimer eingeladen. Rechts die Mutter von Minia Silberberg, die ebenso wie Minia und Mania von Willi Seitz nach der Flucht aus dem Türkheimer Lager gerettet wurden.
    Die Mindelheimer Zeitung berichtete im Jahr 1989 über das Ehepaar Seitz, auch mit diesem Foto. Die damalige Bildunterschrift war: Dicke Freunde sind Minia Silberberg, Mania Balzam (von links) und die Mutter von Minia Silberberg mit Willi Seitz (Dritter von links) geworden. Als 1975 die Tochter Minias heiratete, wurde der Türkheimer eingeladen. Rechts die Mutter von Minia Silberberg, die ebenso wie Minia und Mania von Willi Seitz nach der Flucht aus dem Türkheimer Lager gerettet wurden. Foto: privat

    Am 17. März 1989 berichtete die Mindelheimer Zeitung über eine nicht alltägliche Auszeichnung. Die hatten der damals 81-jährige Türkheimer Willi Seitz und posthum seine 1984 verstorbene Ehefrau Maria bekommen. Das Ehepaar war weder in hohen politischen Ämtern noch in einer anderen Form in der Öffentlichkeit tätig. Dennoch verlieh der Staat Israel den beiden seine höchste Auszeichnung: „Gerechte unter den Völkern.“ So dürfen sich nur Nicht-Juden nennen, die einem Menschen jüdischen Glaubens im Holocaust das Leben gerettet haben. Willi und Maria Seitz sind dafür verantwortlich, dass in den letzten Wochen des 2. Weltkrieges drei Jüdinnen überlebt haben.

    Dieses Bild zeigt rechts das Ehepaar Seitz, links ihren Ziehsohn Peter Müller mit dessen Mutter und Großmutter.
    Dieses Bild zeigt rechts das Ehepaar Seitz, links ihren Ziehsohn Peter Müller mit dessen Mutter und Großmutter. Foto: Sammlung Müller

    Rosa und Mina Silberfaden sowie Mania Balzam, drei Frauen aus Polen, waren nach einer Odyssee durch die Konzentrationslager der Nazis im Frühjahr 1945 nach Türkheim gekommen. Beim Bahnhof etwa 2,5 Kilometer außerhalb des Ortes, hatten die Nazis im Herbst 1944 ein Konzentrationslager errichtet. Das gehörte zum Dachauer Außenlagerkomplex Kaufering. Die Nazis wollten in der Umgebung von Landsberg am Lech ein geheimes Rüstungsprojekt betreiben, um dem eigentlich schon verlorenen Krieg noch eine Wende geben zu können. In Türkheim-Bahnhof sollen Arbeiterwohnungen entstehen; dafür braucht das Regime KZ-Häftlinge. Außerdem sollen die Häftlinge bei Bauern im Ort arbeiten. Einige tun das, aber Mina, die ihrer Tochter und ihrer Enkelin 2002 in einem Videointerview ihre Erlebnisse während des Krieges schilderte, beschrieb das Lager kurz und bündig: „Endstation. Es gab dort kein Essen, keine Arbeit, nichts.“

    Willi und Maria Seitz aus Türkheim retten drei Jüdinnen vor dem Holocaust in letzter Minute

    Irgendwann im März oder Anfang April 1945 beschliesst Mina, aus dem Lager zu fliehen. Dort ist Typhus ausgebrochen, die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal. Ihre Mutter Rosa, damals 40 Jahre alt, ist auf wenig mehr als 20 Kilo abgemagert. Auch Mania will weglaufen. Zwischen Ramminger und Tussenhauser Straße in Türkheim, nördlich des Bahnhofs Türkheim-Markt, steht damals ein Lagerhaus. Die Frauen schaffen es, dorthin zu gelangen. Wohin sie wollen, wo sie sich verstecken können – das ist unklar. Sie haben nichts mehr zu verlieren.

    Dieses Bild zeigt unseren Gastautor Achim Schregle im Alter von etwa vier Jahren im Garten seiner Großeltern in der Ramminger Straße in Türkheim. Ganz links am Bildrand unter dem Baum ist das Lagerhaus zu erkennen, an dem die drei Frauen Willi Seitz angesprochen haben.
    Dieses Bild zeigt unseren Gastautor Achim Schregle im Alter von etwa vier Jahren im Garten seiner Großeltern in der Ramminger Straße in Türkheim. Ganz links am Bildrand unter dem Baum ist das Lagerhaus zu erkennen, an dem die drei Frauen Willi Seitz angesprochen haben. Foto: Sammlung Achim Schregle

    Willi Seitz, damals 37 Jahre alt und kinderlos verheiratet, ist Maurer. Trotz eines Fußleidens hatte er in den Krieg ziehen müssen. Er lebt mit seiner Frau Maria in einem kleinen Häuschen direkt am Gleis der Staudenbahn. Eine Begebenheit beim Lagerhaus im Frühjahr 1945 schildert er 1989 folgendermaßen: „Ich war mit dem Fahrrad unterwegs. Da sah ich am Lagerhaus zwischen der Ramminger Straße und der Tussenhausener Straße drei Frauen stehen. Ich habe gleich gemerkt, dass das jüdische Mädchen sind. Sie haben mir gesagt, dass sie aus dem Lager Türkheim geflohen sind und baten mich, sie doch im Stall bei den Hühnern übernachten zu lassen. Einen Stall hatte ich nicht, jedoch eine Hütte. Ich habe den Frauen geraten, sich bis zum Einbruch der Dunkelheit im Wald zu verstecken und Ihnen versprechen, ich würde sie holen. Das habe ich dann auch getan.“

    Maria Seitz bereitet Essen und Waschgelegenheiten für die Frauen vor; die schwer kranke Rosa legt sie in ihr eigenes Bett und pflegt sie dort. Willi versteckt Mina und Mania in der dem Haus angebauten Hütte. Das Essen bringt er ihnen in Eimern, damit niemand Verdacht schöpfen kann. Würde die SS die Frauen im Haus der Seitz‘ entdecken, würden auch Willi und Maria umgebracht werden.

    Im Umfeld des Türkheimer Gasthauses Krone hatte sich jüdisches Leben etabliert

    Erst als die Amerikaner Türkheim am 27. April 1945 befreien, wissen die Frauen: Ihr Martyrium ist vorbei. Neben Maria kann sich nun auch der Dorfarzt Dr. Hans Lotze um Rosa kümmern. Sie und Mina bleiben noch ein Jahr in Türkheim, wo sich im Umfeld des damaligen Gasthauses Krone in der Maximilian-Philipp-Straße jüdisches Leben etabliert. Mina, deren erster Mann im Holocaust umgebracht worden war, heiratet am 18. Mai 1946. Sie bekommt einen Sohn und geht mit ihrer Familie und ihrer Mutter nach Palästina, wo sie noch eine Tochter zur Welt bringt. Mania, die ein Kind in einem Lager verloren hatte, findet in Landsberg/Lech ihren Mann wieder; die beiden bekommen ebenfalls eine Tochter. 1947 wandern sie in die USA aus und später nach Israel. Nach Deutschland kommt keine der drei Frauen je wieder zurück; der Kontakt zu Willi und Maria Seitz bleibt jedoch bestehen. Als Minas Tochter 1974 heiratet, ist Willi Seitz Ehrengast. Insgesamt haben die Familien der geretteten Frauen 30 Nachkommen. 30 Menschen, die ihre Existenz der Tatsache zu verdanken haben, dass Willi und Maria Seitz ihr eigenes Leben für die drei Frauen riskiert haben.

    Achim Schregle
    Achim Schregle Foto: Bernd Feil (Archivbild)

    Zur Person

    Achim Schregle, Jahrgang 1970, in Mindelheim geboren und in Türkheim aufgewachsen, lebt heute in München. Von 1989 bis 1996 war er als Freier Mitarbeiter bei der Mindelheimer Zeitung tätig und absolvierte danach seine Ausbildung an der Burda-Journalistenschule. Nach mehreren Redakteurstätigkeiten bei FocusTV und der ProSiebenSat1-Gruppe ist er seit 2009 als Freier Journalist und freiberuflicher TV-Autor tätig. Ein Film über das Türkheimer Ehepaar Seitz soll ab 12. März in der ARD-Mediathek bzw. im Youtube-Kanal von BR24 zu sehen sein. Er läuft in der Reihe „Vor Ort“.

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