Am zweiten Tag im Prozess um mutmaßliche Misshandlungen und eine Vergewaltigung in einer Behindertenwerkstätte im Landkreis Neu-Ulm hat der Angeklagte versucht, sein Verhalten zu erklären. "Es war der größte Fehler meines Lebens", sagte der Mann, Anfang 50, und entschuldigte sich bei den Opfern. Bestünde die Möglichkeit, so würde er alles rückgängig machen. Dass seine Distanz zu den Menschen, die ihm als Arbeitserzieher zugeteilt waren, mehr und mehr verloren ging. Dass er Übergriffe auf mehrere Klientinnen und Klienten mit Beeinträchtigung begangen hat.
Am schwersten wiegt, wie berichtet, der Vorwurf der Vergewaltigung. Der Anleiter hatte laut Anklage mit einer Klientin gegen deren Willen Geschlechtsverkehr. Den Ehemann der Frau hatte er zuvor zum Brotzeitholen geschickt. "Ich bin selbst vor mir erschrocken", sagte der Angeklagte vor dem Landgericht Memmingen und legte ein Geständnis ab. Als ihm sein Verhalten bewusst geworden sei, habe er den Geschlechtsverkehr abgebrochen und sei zur Toilette, um sich zu übergeben. Die Frau forderte er dazu auf, niemandem etwas zu erzählen – wohl wissend, welche Konsequenzen andernfalls drohen.
Angeklagter: "Vieles ist aus Jux und Tollerei passiert"
Auch weitere Taten, die ihm zur Last gelegt werden, räumte der Angeklagte ein. So hatte er Klientinnen und Klienten mehrfach im Intimbereich berührt, außerdem einen Mann mit Klebeband und Kabelbinder an einen Stuhl gefesselt. Warum das Ganze? "Vieles ist aus Jux und Tollerei passiert", sagte der Angeklagte. Auch er selbst sei hin und wieder im Scherz von Klienten an den Genitalien berührt worden. Das Fesseln begründete er in einer Art Kräftemessen: Der Klient habe zeigen wollen, dass es ihm wie seinem Anleiter gelinge, sich zu befreien. "Ich glaube, sie wollten vielleicht so stark sein wie ich." Dass es Personen in der Gruppe gab, die Angst vor ihm hatten, wie ihm nun im Nachgang zugetragen wurde, will er nicht bemerkt haben.
Inzwischen sei ihm klar geworden, dass er als Anleiter zu wenig Distanz zu den Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen gewahrt habe, sagte der Angeklagte, der immer wieder innehielt und tief durchatmete. Er sprach von Überforderung bei der Arbeit, die er seit 2018 in der Einrichtung im Landkreis Neu-Ulm ausübte.
Prozess: Den Angeklagten erwarten mehrere Jahre Freiheitsstrafe
Vor der Befragung des Angeklagten fand hinter verschlossenen Türen ein Rechtsgespräch zwischen Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Nebenklägervertretung statt. Einzelne Punkte der Anklage, die nicht gewichtig für das Strafmaß sind, wurden fallen gelassen. Auch, weil es sich um Zeuginnen und Zeugen handelt, die sich nach den Worten des Richters "unter Umständen schwertun, vor Gericht eine Aussage zu machen".
Das Gericht und die Verfahrensbeteiligten einigten sich auf eine sogenannte Verständigung. In diesem Zuge nannte der Richter eine Unter- und Obergrenze der zu erwartenden Strafe – für den Fall eines vollumfänglichen Geständnisses, welches dann auch folgte. Dem Angeklagten droht eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen vier Jahren und sechs Monaten und fünf Jahren und drei Monaten. Außerdem verpflichtete sich der Angeklagte im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs, der Klientin 10.000 Euro zu bezahlen.
Am nächsten Verfahrenstag Mitte Mai sollen Opfer im Zeugenstand verhört werden.