Eine Reihe von Verkehrsproblemen drückt das Allgäu. Jüngstes Beispiel: Die Länderbahn Alex hat angekündigt, dass zwischen Immenstadt und Oberstdorf erneut keine Züge fahren, sondern durch Busse ersetzt werden. Dies gilt "zunächst bis Ende Oktober". Als Gast unserer Redaktion hat Bayerns Verkehrsminister Hans Reichhart (CSU) die Länderbahn scharf kritisiert. Im Zusammenhang mit dem maroden Kemptener Bahnhof äußerte er auch Unverständnis über die Deutsche Bahn: Manchmal könne man nicht nachvollziehen, welche Schwerpunkte das bundeseigene Unternehmen setzt. Der Minister nahm zudem Stellung zum Streit um Fahrverbote mit Tirol. Es sei nicht gut, wenn ein Land Maßnahmen ergreife, "die zulasten anderer gehen".
Die Stadt Kempten strebt den Bau einer Seilbahn an, der Freistaat unterstützt eine entsprechende Studie mit 50 000 Euro. Welche Verkehrsprobleme soll eine Seilbahn lösen?
Reichhart: In die Höhe zu gehen, ist ein Weg, um die Straße zu entlasten. Kempten hat eine tolle Altstadt, ist aber räumlich beengt. Seilbahn-Projekte sind relativ günstig, man muss nicht in den Untergrund und braucht keine Schienen zu bauen. Eine Seilbahn soll andere Verkehrsmittel nicht ersetzen, sondern ergänzen. In Kempten muss letztlich der Stadtrat entscheiden, ob er ein solches Projekt realisieren will.
Auch in Füssen gibt es Pläne für eine Seilbahn. Sie soll vom Festspielhaus über den Forggensee bis zu den Königsschlössern führen. Diese Gondeln, so die Kalkulation, könnten 600 000 bis 800 000 Fahrgäste pro Jahr bewegen und damit zum wirkungsvollen Instrument gegen den Dauerstau werden. Was halten Sie davon?
Reichhart: Auch das ist eine spannende Idee. Wer ausgetretene Pfade verlässt, den unterstützen wir. Allerdings müssen alle Betroffenen zustimmen. Es bringt nichts, etwas durchzudrücken. Im Füssener Fall ist ja die Nachbargemeinde Schwangau noch skeptisch.

In Kempten wird nicht nur über eine Seilbahn, sondern auch über den Bahnhof diskutiert. Der wird heuer 50 Jahre, aber es wäre peinlich, dieses Jubiläum zu feiern. Gebäude und Areal sind marode und unansehnlich. Kann die Politik nicht die Zügel anziehen und verhindern, dass die Deutsche Bahn Vermögen des Staates so herunterwirtschaftet?
Reichhart: Die Bahn setzt manchmal Schwerpunkte, die man nicht nachvollziehen kann. Sie darf sich nicht nur um national bedeutende Strecken kümmern, sondern hat die Riesenverpflichtung, auch jenseits der großen Achsen etwas zu machen. Es ist schlecht, wenn wie im Kemptener Fall der erste Eindruck nicht passt. Und wenn man mit Kinderwagen oder Rollstuhl die Gleise nicht erreichen kann, schließt die Bahn viele Menschen aus und verliert an Attraktivität. In den Kemptener Bahnhof investiert der Freistaat freiwillig 21 Millionen Euro bis 2023. Wobei man sich schon die Frage stellen kann, warum das Land Geld geben muss, damit die Bahn ihr Eigentum in Ordnung hält.
Auch bei den Antriebstechniken hinkt das Allgäu hinterher. Müssen wir, von der Strecke München-Lindau abgesehen, das Thema Elektrifizierung abhaken?
Reichhart: Es stimmt, das Allgäu ist eines der größten Diesel-Löcher in ganz Bayern. Doch der Freistaat drängt auf die Elektrifizierung. Der Bund hat sich verpflichtet, diese Technik möglichst flächendeckend einzuführen.
Wäre es nicht erfolgversprechender, auf Wasserstoff-Züge zu setzen?
Reichhart: Diese Antriebstechnik ist erst einmal für den Nahverkehr gedacht. Wir brauchen aber auch Lösungen für den Fernverkehr. Elektrifizierung und Wasserstoff-Antrieb müssen sich ergänzen.
Ministerpräsident Söder hat vergangenes Jahr zugesagt, dass der Freistaat die Planung einer Elektrifizierung zwischen Kempten und Oberstdorf finanziert, falls der Bund das Projekt innerhalb von drei Jahren nicht angeht. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Reichhart: Da braucht es immer zwei Partner. Zuständig für die Planung ist die Bahn. Sie ist eine Aktiengesellschaft im Eigentum des Bundes. Als Freistaat versuchen wir, mit unseren Möglichkeiten Einfluss zu nehmen. Ein bisschen muss man die Bahn allerdings auch in Schutz nehmen. Sie hat viele Projekte am Laufen und arbeitet in manchen Bereichen am Limit.
Im Allgäu gibt es auch die Idee, eine Regionalbahn zwischen der Kemptener Innenstadt und Oberstdorf fahren zu lassen. Was halten Sie davon?
Reichhart: Man muss sehen, welcher Bedarf besteht und was machbar ist. Ich will nicht, dass am Ende leere Züge durch die Gegend fahren.

Gar keine Züge schickt die Länderbahn Alex mal wieder zwischen Immenstadt und Oberstdorf ins Rennen. Kann man das Unternehmen nicht dazu bringen, einen ordentlichen Job zu machen?
Reichhart: Dieser Zustand ist nicht hinnehmbar. Was dort läuft, geht nicht. Die Länderbahn sagt, dass sie keine Lokführer habe. Dieses Problem kann aber auch der Freistaat nicht lösen. Mit der Länderbahn gibt es einen Vertrag bis 2020. Wir könnten ihn aufkündigen, aber dann bräuchten wir einen Nachfolger. Das wird aber schwierig, bei der kurzen Übergangsphase bis 2020.
Auf dem Weg in Richtung südliches Allgäu gibt es auch Probleme auf der Straße. Seit Langem wird über den Bau eines Tunnels bei Fischen diskutiert. Geht es hier vorwärts?
Reichhart: Die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie werden noch in diesem Jahr vorgestellt. Wir müssen sehen, dass wir Staus vermeiden. Sie sind aus ökologischer Sicht schlecht und tragen nicht dazu bei, eine Region attraktiv zu machen.
Ein weiteres Nadelöhr in Richtung Oberstdorf, wo im Jahr 2021 die Nordische Skiweltmeisterschaft stattfindet, ist die sanierungsbedürftige Brücke bei Sigishofen. Warum ist bei deren Neubau eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) notwendig?
Reichhart: Die Brücke wird etwas anders gestaltet. Bisher gibt es in der Mitte einen Pfeiler, das wird künftig nicht mehr so sein. Durch die andere Bauart wird möglicherweise eine UVP nötig. Das würde aber im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens laufen, der Bau wird dadurch nicht länger dauern.
Viele Brücken sind in einem schlechten Zustand. Warum steckt das Land nicht mehr Geld in die öffentliche Infrastruktur?
Reichhart: Zwei Drittel des Geldes, das der Freistaat für den Straßenbau ausgibt, fließen in Sanierung und Erhaltung. Wir teilen den Zustand von Brücken in vier Kategorien ein. In der schlechtesten Gruppe sind im Allgäu nur gut vier Prozent der Brücken. Wir haben in den letzten Jahren durch Erhaltungsmaßnahmen viel erreicht. Bei Bedarf intensivieren wir auch die Überwachung des Bauwerks. Somit ist die Verkehrssicherheit zu jeder Zeit sichergestellt.
Das Memminger Autobahnkreuz ist chronisch überlastet. Wie lange müssen die Autofahrer noch warten, bis der Abschnitt der A 7 nach Hittistetten sechsspurig ausgebaut wird?
Reichhart: Der Abschnitt Hittistetten bis Illertissen hat im Bundesverkehrswegeplan die höchste Priorität. Der Vorentwurf soll hierfür bis Ende 2020 vorliegen. Für die weiteren Abschnitte bis Memmingen haben wir Planungsrecht. Die Planungen laufen in großen Teilen, realistisch betrachtet wird es aber noch einige Zeit dauern, bis wir dann mit dem Bauen starten können.
Mit den Nachbarn in Tirol gibt es Unstimmigkeiten. Sie haben die Entscheidung der Österreicher kritisiert, Straßen entlang der Autobahnen zeitweise zu sperren, um die Bewohner dieser Dörfer vor zuviel Verkehrsbelastung zu schützen. Warum streitet die bayerische Politik mit den Tiroler Kollegen, statt die eigenen Bürger zu schützen?
Reichhart: Auch wir wollen die Gemeinden entlasten, die entlang der Autobahn liegen. Aber es kann nicht jeder für sich handeln. Es bringt nichts, wenn ein Land Maßnahmen ergreift, die zulasten anderer gehen. Wenn die Österreicher beispielsweise eine Blockabfertigung machen, führt das zu Staus bei uns. Sowas verstehe ich nicht unter guter Nachbarschaft.
Aber sind diese Fahrverbote nicht ein Hilferuf Tirols, der die bayerische Seite zum Handeln zwingen soll?
Reichhart: Es gab schon Überlegungen für gemeinsame Maßnahmen, aber das hat Tirol platzen lassen. Auch wir wollen die Menschen in den Dörfern und Städten vom Verkehrslärm entlasten. Darum bauen wir Umgehungsstraßen und vergrößern Autobahnen. Über solche Schritte muss auch Tirol nachdenken.
Lassen Sie uns noch zum Fliegen kommen. Was halten Sie vom Vorstoß des CSU-Landesgruppenchefs Alexander Dobrindt, Billig-Flugtickets zu besteuern?
Reichhart: Ich bin nicht dafür, Verkehrsmittel gegeneinander auszuspielen. Mir ist es wichtig, die Bahn attraktiver zu machen. Zudem möchten wir ein 365 Euro teures Jahresticket für den Nahverkehr flächendeckend in ganz Bayern einführen, beginnend in den Verkehrsverbünden mit den Schülerinnen und Schülern sowie Auszubildenden.
Welchen Einfluss wird der Freistaat beim Memminger Flughafen nehmen, wenn er an der dortigen Gesellschaft beteiligt ist?
Reichhart: Wir sind schon jetzt Partner des Airports, der eine wesentliche Bedeutung für Bayerisch-Schwaben hat. Der Freistaat unterstützt den Ausbau mit einer Förderung von über 14 Millionen Euro. Vonseiten des Flughafens verspüren wir derzeit aber nicht das große Verlangen, dass wir als Gesellschafter einsteigen. So oder so geht es uns darum, den Flughafen zu stärken.