Das Vereinsmotto hat über Nacht eine neue Bedeutung bekommen. „Bereit für politische Bildung“, fragt der Kinder- und Jugendverband „Frischluft e.V.“ auf seiner Internetseite. Im Kuratorium sitzt Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer, und der kann bald von einer ganz besonderen Erfahrung aus seinem Politikerleben berichten. Wenn er dazu überhaupt kommt: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat wegen des Verdachts der Falschaussage im Pkw-Maut-Untersuchungsausschuss Anklage gegen den CSU-Politiker erhoben. Scheuer droht eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Auch der frühere Staatssekretär Gerhard Schulz, Spitzname „Mister Maut“, muss sich verantworten.
Die Angelegenheit war fast in Vergessenheit geraten. Im Frühjahr 2022 leitete die Berliner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts der uneidlichen Falschaussage ein. Scheuer und andere Beteiligte, so der Vorwurf damals, sollen im Untersuchungsausschuss des Bundestages - der die Vorgänge rund um die Vorbereitung und Einführung der Infrastrukturabgabe (Pkw-Maut) aufklären sollte - „bewusst wahrheitswidrig“ ausgesagt haben.
Andreas Scheuer bog schnell ein paar Mal falsch ab
„Der Andi“, wie ihn seine Parteifreunde in Berlin nannten, zog 2018 ins Verkehrsministerium ein, das ihm nicht ganz unbekannt war. Von 2009 bis 2013 diente er dort als parlamentarischer Staatssekretär unter Peter Ramsauer. Als Minister übernahm er ein Ressort, das als schwierig galt. Die Amtsführung der früheren Minister Wolfgang Tiefensee (SPD) und Ramsauer (CSU) hatte Spuren hinterlassen. Scheuers Vorgänger und Parteifreund Alexander Dobrindt (dazwischen übte Christian Schmidt den Job kommissarisch für ein paar Wochen aus) brachte wieder mehr Transparenz und Leben ins Haus, hatte aber seine Mühen mit den eingefahrenen Strukturen.
Scheuer bog schnell ein paar Mal falsch ab. Die Einführung eines Tempolimits sei „gegen jeden Menschenverstand“ gerichtet, wetterte der gebürtige Passauer und machte sich die Minderheitenmeinung einiger Lungenärzte zu eigen, wonach die geltenden Grenzwerte für dreckige Luft viel zu streng seien. Zur Deutschen Bahn berief der heute 50-Jährige ein Krisentreffen nach dem anderen ein, das Ergebnis ist bekannt. Bei der Versorgung mit Mobilfunk und Internet herrschte Funkstille, nicht nur an jeder Milchkanne. Im Juni 2019 konnte er sich über 6,6 Milliarden Euro durch die Versteigerung von 5G-Frequenzen freuen, im letzten Jahr kam dann die Klatsche. Die Vergaberegeln waren rechtswidrig, wie das Verwaltungsgericht Köln urteilte. Schlimmer noch: Es warf Scheuer „Einflussnahme“ und „Befangenheit“ sowie die Ausübung von „massivem Druck“ bei der Lizenzvergabe vor.
Scheuer kann sich nicht erinnern
Die Anklage gegen Scheuer markiert einen weiteren Tiefpunkt für den CSU-Politiker. Hintergrund ist eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, der die Pkw-Maut nach einer Klage Österreichs 2019 als unrechtmäßig einkassierte. Scheuer kündigte der Anklageschrift zufolge noch am selben Tag Verträge mit den Firmen CTS Eventim und Kapsch TrafficCom mit einem Gesamtvolumen von etwa zwei Milliarden Euro, die bereits im Jahr zuvor abgeschlossen worden waren. Die Betreiber wollten Schadenersatz, am Ende musste der Bund 243 Millionen Euro zahlen.
Der Maut-Untersuchungsausschuss ging anschließend der Frage nach, ob dies alles hätte vermieden werden können, wenn Scheuer vor der Vertragsunterzeichnung die Entscheidung des EuGH abgewartet hätte. Konkret sollen die Betreiber bei einem Treffen am 29. November 2018 sogar angeboten haben, genau das tun zu wollen. Scheuer und sein damaliger Staatssekretär Schulz, der Anfang 2019 Chef bei Toll Collect wurde, sollen „entgegen ihrer tatsächlichen Erinnerung angegeben haben, sich an ein solches Verschiebungsangebot nicht erinnern zu können“, heißt es bei der Staatsanwaltschaft.
Andreas Scheuer ist selbst für die CSU besonders
Im rund 700 Seiten langen Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses kam die damalige Koalition aus Union und SPD zu dem Schluss, dass Scheuer keine Rechtsverstöße nachzuweisen seien. FDP, Linke und Grüne formulierten jedoch ein gemeinsames Sondervotum, in dem sie ihm „Ignoranz, Verantwortungslosigkeit, Bedenkenlosigkeit und Rechtsbruch“ vorwarfen und konstatierten: „Die Umsetzung der Pkw-Maut stellt auch in der skandalreichen Geschichte der CSU eine Besonderheit dar.“
Die beiden Verdächtigen bestreiten den Tatvorwurf. Scheuer, der bis 2021 Verkehrsminister war und im April 2024 aus dem Bundestag ausschied, sagte der Bild: „Die Entscheidung, nun Anklage zu erheben, ist für mich nicht nachvollziehbar und macht mich betroffen.“ Die Motive und der Zeitpunkt für die Anklage seien unverständlich und offenbar politisch motiviert.
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