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Joachim Herrmann im Interview: „Auch auf dem Land müssen mehr Streifenwagen unterwegs sein“

Interview

Joachim Herrmann: „Auch auf dem Land müssen mehr Streifenwagen unterwegs sein“

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    Joachim Herrmann (CSU) ist seit 2007 Innenminister in Bayern.
    Joachim Herrmann (CSU) ist seit 2007 Innenminister in Bayern. Foto: Noah Wedel, dpa

    Herr Minister, Umfragen zeigen, dass den Menschen nach den Anschlägen von Magdeburg, Aschaffenburg und München mulmig wird, das Sicherheitsgefühl ist deutlich zurückgegangen. Wie lässt es sich wieder herstellen?
    JOACHIM HERRMANN: Diese schrecklichen Anschläge erschüttern die Menschen. Das wirkt sich natürlich auf das individuelle Sicherheitsgefühl aus. Darüber hinaus beeinflusst die allgemeine Kriminalität das Sicherheitsbild. Es geht nicht nur um die Taten einzelner islamistischer Terroristen, so schrecklich sie auch sind. Was auch eine Rolle spielt: Wie sieht es in den großen Städten aus? Kann ich nachts um ein Uhr ohne Angst mit der Straßenbahn fahren? Das sind emotionale Fragen, um die wir uns kümmern müssen, auch wenn die statistischen Zahlen sehr gut sind. Seit etlichen Jahren ist es so, dass München unter den 40 Städten Deutschlands mit mehr als 200.000 Einwohnern sicherste Stadt ist, gefolgt von Augsburg auf Platz zwei.

    Und was kann man jetzt konkret tun, um ein Gefühl zu ändern?
    HERRMANN: Das beginnt schon vor der eigentlichen Polizeiarbeit. Wir müssen dort, wo es Ansätze zur Verwahrlosung gibt, entschieden gegensteuern. Ein Beispiel dafür ist die Großbaustelle am Münchener Hauptbahnhof. Wenn es dort nirgends mehr ordentlich aussieht, beginnen die Menschen sich unwohl zu fühlen. Und dann entstehen automatisch diese Ängste. Deshalb muss es auch sichtbar sein, dass wir die Gewaltkriminalität im öffentlichen Raum von vornherein verhindern. Dazu ist Polizeipräsenz vor Ort wichtig. Wir arbeiten kontinuierlich daran, diese Präsenz auszubauen. In Augsburg zum Beispiel hat das Polizeipräsidium inzwischen 40 Prozent mehr Personal als 2008/2009. Die Polizei muss auf den Straßen zu sehen sein. Auch auf dem Land müssen mehr Streifenwagen unterwegs sein. Außerdem beraten wir mit den großen Städten über den Ausbau der Videoüberwachung. Für die Erneuerung und den punktuellen Ausbau der Videoüberwachung werden vom Bayerischen Landtag mit dem Haushaltsgesetz 2025 aller Voraussicht nach zusätzliche Mittel in Höhe von insgesamt 3,8 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden.

    Überwachungskameras werden nicht von jedem gerne gesehen...
    HERRMANN: Das muss genau abgewogen werden. Auch der Datenschutzbeauftragte hat darauf ein kritisches Auge. In der Bevölkerung gibt es eine große Zustimmung. Das zeigen Umfragen. Die große Mehrheit, auch der Fahrgäste in Bussen und Bahnen, hält es für richtig, dass Videokameras installiert werden. Videoüberwachung ist auch kein Allheilmittel. Ein völlig Betrunkener, der in der S-Bahn randaliert, wird durch eine Kamera nicht beeinflusst. Professionelle Taschendiebe hingegen achten sehr auf solche Maßnahmen. Die wollen schließlich nicht erwischt werden. Zusammengefasst: Es gibt eine Vielzahl von Bausteinen, mit denen wir das Sicherheitsgefühl stärken und Kriminellen das Handwerk legen wollen.

    Wenn man nur nach den Zahlen geht, ist das Leben in Deutschland und Bayern sicherer als vor 20 oder 30 Jahren. Es gibt weniger Straftaten pro Einwohner, im Straßenverkehr sterben deutlich weniger Menschen. In Bayern haben wir mit der Zahl von mehr als 45.500 Stellen für alle Beschäftigten der Bayerischen Polizei einen neuen Höchststand erreicht. Haben wir also grundlos mehr Angst als früher oder erzählen uns diese Zahlen nicht die ganze Wahrheit?
    HERRMANN: In einer Reihe von Bereichen war die Kriminalität früher höher. Wir waren in manchen Bereichen über die Jahre sehr erfolgreich. Wenn man etwa die Wohnungseinbrüche nimmt, die eine Zeit lang sehr angestiegen waren . . .

    und welche die Menschen sehr beunruhigt haben . . .
    HERRMANN: Genau. Wenn ich Opfer eines Taschendiebes auf dem Oktoberfest werde, ist das anders, als wenn bei mir jemand im Schlafzimmer herumwühlt. Gegen diese Einbrüche haben wir eine massive und erfolgreiche Kampagne gefahren, wir haben die Zahlen nach unten gedrückt. Geht man allerdings nach dem Mainstream der veröffentlichten Meinung, könnte man glauben, die Situation sei heute schlechter als früher. Das ist mitnichten der Fall. Was aber stimmt, ist, dass der Ausländeranteil an den Tatverdächtigen gestiegen ist. Das sorgt für viele zusätzliche Emotionen.

    Und wenn man es ganz nüchtern betrachtet?
    HERRMANN: Unter den Flüchtlingen sind sehr viele junge Männer zwischen 20 und 40 Jahren. Kriminologisch betrachtet ist es in der ganzen Welt so, dass diese Gruppe mehr Straftaten begeht. Bei der einheimischen Bevölkerung steigt dagegen der Anteil der über 70-jährigen Frauen. Die treten bei Straftaten nur selten in Erscheinung. Heißt im Ergebnis: Wenn aus Syrien und Afghanistan viele junge Männer kommen, macht sich das bemerkbar. Hinzu kommt, dass in den Gesellschaften dieser Länder Gewalt längst nicht so tabuisiert ist wie hier bei uns. Es kommen Menschen zu uns, die in einem anderen Umfeld aufgewachsen sind, und das stellt eine Herausforderung für uns dar. Es spricht nichts dagegen, dass wir qualifizierte Zuwanderer aus anderen Teilen der Welt bei uns integrieren. Aber wir spüren doch in den letzten Jahren, dass wir mit der Integration von Flüchtlingen überfordert waren, weil es einfach zu viele geworden sind. Deshalb muss die neue Bundesregierung da auch die Weichen anders stellen.

    Eine Studie des Bundeskriminalamtes besagt, dass sich in der eigenen Wohngegend nachts und ohne Begleitung nur knapp drei Viertel der Bevölkerung sicher fühlen, im öffentlichen Personennahverkehr ist es sogar weniger als die Hälfte. Was sagt Ihnen das?
    HERRMANN: Es sind mehr geworden, die Sorgen haben, aber es ist nicht die Mehrheit, schon gar nicht in Bayern. Wenn jemand ein halbes Jahr in Berlin oder New York gelebt hat, verändert sich die Wahrnehmung der Zustände in Augsburg oder München erheblich. Wenn Sie offizielle Zahlen der Vereinten Nationen anschauen, dann haben wir in Deutschland jedes Jahr etwa acht Tötungsdelikte pro eine Million Einwohner. In den USA ist dieser Wert bei 62 auf eine Million Einwohner. In Russland sind es fast 70.

    Also alles eine Frage der Wahrnehmung?
    HERRMANN: Ein bisschen schon. Ich bin ein großer Fan von Krimis und lasse kaum einen Tatort aus. In der Summe muss man aber sehen, dass dem Fernsehkonsumenten im Laufe einer Woche mehr Morde gezeigt werden, als in Deutschland tatsächlich in einem ganzen Jahr passieren.

    Nochmals diese BKA-Studie: Am meisten Angst vor Straftaten haben die Deutschen im Internet. In Bayern wachsen die Schadensummen durch Internetkriminalität. Die Täter sitzen oft im Ausland. Stoßen Polizei und Justiz da an ihre Grenzen?
    HERRMANN: Das hängt auch stark von den Opfern ab. Vor zehn Jahren waren die Chancen, einen Internet-Kriminellen zu überführen, noch gering. Inzwischen sind wir auch hier bei Aufklärungsquoten von fast 60 Prozent. Was ich damit sagen will: Eine Anzeige bei der Polizei bedeutet meist die einzige Chance, dass die Täter erwischt werden und Opfer so vielleicht ihr Geld zurückbekommen. Und auch wenn das mit der Rückforderung nicht klappt: Zumindest gibt es einen Betrüger-Laden weniger, der Menschen schädigen kann. Gerade mit der türkischen Polizei haben wir inzwischen eine sehr gute Zusammenarbeit, um gegen Call-Center vorzugehen, mit denen bei uns die Menschen abgezockt werden.

    Sie sind jetzt seit 2007 Innenminister und damit der Dienstälteste unter den Innenministern. Wenn Sie so zurückschauen - was waren die größten Herausforderungen?
    HERRMANN: Rückblickend würde ich sagen, dass die Jahre 2012, 2013 und 2014 die erfolgreichsten waren. Nicht ohne Grund sind die damaligen Wahlen auch besonders positiv ausgegangen. Wir hatten wirtschaftliche Dynamik und Wachstum. Und dann kamen 2015 mit der Entscheidung der Bundeskanzlerin die rapide wachsenden Flüchtlingszahlen. Da hatte man schon ein Riesenproblem. Das Jahr darauf gingen dann bei uns die islamistischen Anschläge los. Im Juli 2016 war der erste islamistische Anschlag in Würzburg durch Beilhiebe in einem Nahverkehrszug. Dann der Amokschütze im Olympiaeinkaufzentrum in München am darauffolgenden Freitag, der rassistische Motive hatte. Dann noch mal zwei Tage später, am Sonntag, wieder ein islamistischer Anschlag auf das Musikfestival in Ansbach. Diese acht Tage waren in der Aneinanderreihung die schlimmste Woche meiner Amtszeit. Und seitdem sind wird nicht mehr recht zur Ruhe gekommen.

    Nicht mal während der Corona-Zeit?
    HERRMANN: Da gab es zwar weniger Verbrechen, aber da sind wir an andere Grenzen gestoßen. Im Nachhinein kann man über vieles diskutieren, aber eines steht fest: Alle Einschränkungen und Beschränkungen der Freiheit sind zurückgenommen worden. Und Bayern ist jedenfalls weiterhin das sicherste aller 16 Bundesländer.

    Zur Person

    Joachim Herrmann (68) ist seit Herbst 2007 bayrischer Innenminister. Der Jurist aus Erlangen wurde 1994 erstmals in den Landtag gewählt.

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