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Allgäuer Hauptkamm: Der Gipfel als Zipfel

Ehemalige Schmugglerpfade

Allgäuer Hauptkamm: Der Gipfel als Zipfel

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    Der südlichste Punkt der Bundesrepublik Deutschland befindet sich am "Haldenwanger Eck" in den Allgäuer Alpen.
    Der südlichste Punkt der Bundesrepublik Deutschland befindet sich am "Haldenwanger Eck" in den Allgäuer Alpen. Foto: Ralf Lienert (Archiv)

    Dieser Zipfel ist der Gipfel. Der südlichste Gipfel der Republik noch dazu. Ein belangloser Grasbuckel mit dem noch belangloseren Namen Haldenwanger Eck (1.931 Meter). Der mächtige Biberkopf (2.599 Meter) 110 Meter weiter im Norden hätte diesen Superlativ viel eher verdient. Doch eine schlichte graue Steinsäule lässt keinen Zweifel aufkommen: Exakt an dieser Stelle des Haldenwanger Ecks dringt Deutschland mit einem zipfelförmigen Auswuchs am weitesten in österreichisches Hoheitsgebiet vor.

    Atemberaubend: Der Blick vom "Haldenwanger Eck" auf den mächtigen Biberkopf
    Atemberaubend: Der Blick vom "Haldenwanger Eck" auf den mächtigen Biberkopf Foto: Ralf Lienert

    Deshalb gehört Oberstdorf auch zu den vier Zipfelgemeinden der Republik (siehe Infokasten). Mehr Zipfelglück als Gipfelglück also zu Beginn der Wanderung entlang eines spannenden Grenzverlaufs. Das „Haldenwanger Eck“ führt ein einsames Dasein. Selbst der Alpmeister Fritz Berktold von der nur zehn Minuten entfernten Jungvieh-Alpe war nur einmal oben auf dem vermeintlichen Gipfel, den kaum einer kennt.

    „Damals, als Edmund Stoiber da war“, erinnert er sich. Von dieser südlichsten Erhebung Deutschlands aus schlängelt sich die deutsch-österreichische Grenze Richtung Ost/Nord-Ost, schleicht an den Bergen entlang, um diese herum und überschreitet deren Gipfel. Atemberaubend schön ist der Blick auf diesen einzigartigen Grenzverlauf, mit Bergen wie dem Biberkopf (2.599 Meter), der Mädelegabel (2.645 Meter) und der Trettach (2.595 Meter). Hier oben zeigt sich die wilde Pracht der Allgäuer Gebirgslandschaft, geprägt von Bergen, die kaum unterschiedlicher sein könnten: schroffe Felsdome, liebliche Blumenberge und extrem steile Grasflanken, für die das Allgäu berühmt ist.

    Heimatkundler Eugen Thomma hütete als junger Bursche auf der Oberen Biberalpe Vieh.
    Heimatkundler Eugen Thomma hütete als junger Bursche auf der Oberen Biberalpe Vieh. Foto: Charly Höpfl

    Vor über 100 Jahren haben Visionäre des Alpenvereins und heimische Bergführer entlang dieser Grenze ein gut ausgebautes Netz von Höhenwegen und Schutzhütten für Wanderer gebaut. In sechs Tagen können Bergsteiger heute den gesamten Allgäuer Hauptkamm durchwandern, ohne ein einziges Mal ins Tal abzusteigen. Dabei überschreiten sie Dutzende Male die Grenze. Verlassene Zollhäuschen, alte Grenzschilder und Marterl erinnern daran, dass das noch vor einigen Jahren keinesfalls so einfach gewesen war. Die Grenzlinie zieht sich gen Westen über den Schrofenpass, wo eine Handvoll Mountainbiker neben ihren Rädern im Gras hocken.

    Der Allgäuer Hauptkamm

    60 Kilometer zusammenhängende Höhenwege verbinden die Gipfel des Allgäuer Hauptkammes. Dazu gehören sieben DAV-Schutzhütten, die während des Bergsommers bewirtschaftet sind und Übernachtungsmöglichkeit und Verpflegung bieten. Die Allgäu-Durchquerung ist beliebig kombinierbar und kann verkürzt oder verlängert werden. Mehr Infos gibts unter:

    oberstdorf.de

    Wie Tausende andere Transalp-Fahrer haben sie sich auf ihrem Weg zum Gardasee über diese Passhöhe gequält, ihre Räder auf den Schultern. Erschöpft genießen sie jetzt die mitgebrachte Brotzeit. Immerhin auf historischem Boden. Hier, auf dem wichtigsten Übergang zwischen dem Lechtal und dem Allgäu, pausierten schon Generationen von Wilderern und Schmugglern. Vielleicht auch der Wilderer Moosbrugger, bevor er, von einem bayerischen Revierjäger durch einen Schuss getroffen, 1909 verblutete, wie es auf einem alten, angenagten Bildstock nur wenige Meter unterhalb der Passhöhe zu lesen ist. Ein offenbar grausames Drama.

    Strenge Zollbestimmungen

    Die Landesgrenze zieht hinüber zum Salzbücheljoch (1.781 Meter) und führt auf den Höhenweg zur Oberen Biberalpe, auf der Heimatkundler Eugen Thomma (84) aus Oberstdorf als junger Bursch das Vieh der Talbauern hütete. Auch hier wilderten und schmuggelten die Bauern einst, was das Zeug hielt, erzählt er. Nicht nur beim Warenverkehr umgingen Österreicher wie Deutsche die strengen Zollbestimmungen. So brachten die Tiroler Bergbauern heimlich den Stier von Eugen Thomma auf die Alpe, statt ins heimatliche Tal, um Zeit und Geld zu sparen. Für einen Stiersprung verlangte Thomma zehn Päckchen Tabak.

    Die Rappenseehütte ist der größte Stützpunkt des Deutschen Alpenvereins in den Allgäuer Alpen.
    Die Rappenseehütte ist der größte Stützpunkt des Deutschen Alpenvereins in den Allgäuer Alpen. Foto: Ralf Lienert

    „I glaub, mei Siegfried hot sich scho gefreit, dass i a starker Raucher war“, sagt der Ruheständler und grinst. Die Grenzlinie lässt den Kleinen Rappenkopf (2.276 Meter) rechts liegen und schlängelt sich zur Rappenseehütte (2.091 Meter) hoch, wo in diesem Moment die Sonne hinter einem der schönsten Bergseen des Allgäus versinkt. Man muss kein Romantiker sein, um die Faszination dieses Augenblicks zu spüren. Des Wanderers Nachtlied ist noch zu hören, und während über allen Gipfeln Ruhe einkehrt, herrscht auf der Terrasse der Bergsteigerunterkunft gute Stimmung.

    Die Kemptner Hütte (1.846 Meter) ist beliebter Anlaufpunkt für viele Wanderer.
    Die Kemptner Hütte (1.846 Meter) ist beliebter Anlaufpunkt für viele Wanderer. Foto: Ralf Lienert

    Dann aber ordnet Hüttenwirt Andi Greiner auch hier Nachtruhe an. 300 Wanderer schlüpfen brav in ihre Hüttenschlafsäcke unter die grauen Filzdecken des größten DAV-Stützpunkts der Allgäuer Alpen. Viele träumen vom Heilbronner Weg, den sie am nächsten Tag begehen wollen. Der gut gesicherte, hochalpine Höhenweg ist mit 10.000 Kraxlern im Jahr der beliebteste seiner Art in den Nordalpen.

    Mittlerer Staatsakt

    Mindestens vier Mal werden die Wanderer auf diesem Klettersteig Deutschland verlassen. Was heute selbstverständlich ist, stellte vor 60 Jahren einen mittleren Staatsakt dar. Auf der Rappensee-Hütte waren bis Ende der 30er Jahre sogar Zollbeamte stationiert, denn ohne Visum durfte keiner auf den Steig. Und keiner durfte über zehn Reichsmark dabei haben. So wurden auf den Alpenvereinshütten Geld-Depots eingerichtet. Gegen eine Quittung bekam man auf der Kemptner Hütte die Summe wieder, die man zuvor auf der Rappenseehütte hinterlassen hatte. Alte Zeiten: Heute bringen die „Grenzgänger“ wieder Bargeld statt einer Quittung mit auf die Kemptner Hütte (1.846 Meter). Was die Hüttenwirte Gabi und Martin Braxmaier natürlich freut.

    Gepflegte Gastronomie

    Die viergipflige Höfats wurde schon 1896 im Alpenvereinsjahrbuch erwähnt.
    Die viergipflige Höfats wurde schon 1896 im Alpenvereinsjahrbuch erwähnt. Foto: Ralf Lienert

    Gabi Braxmaier beginnt morgens ihr Tagwerk in der Küche. Denn sowohl die Weitwanderer aus Oberstdorf auf ihrer ersten E5-Etappe (von Oberstdorf nach Meran), als auch die Bezwinger des Heilbronner Wegs rücken unaufhaltsam an. Die Hüttenwirtin, die schon mal 290 Bergwanderer an einem Tag bekocht (im Schnitt sind es im August 140 bis 170 Leute täglich), legt größten Wert auf gepflegte Gastronomie. Ihr Rinderbraten ist exzellent und ein streng gehütetes Familienrezept.

    Nach unruhiger Nacht im Hüttenlager macht der Blick aus dem Fenster der Kemptner Hütte an diesem Morgen wenig Lust auf mehr. Dicke Nebelsuppe, die Regentropfen klopfen leise gegen die Scheiben. Wasserdicht verpackt, macht sich der Grenzgänger dennoch auf den Weg. Im Laufe des Tages will er Österreich endgültig den Rücken kehren und ins Allgäu zurück – in die wohl schönste Ecke der Allgäuer Alpen.

    Am Gipfelkreuz der Mädelegabel (2.645 Meter) finden auch immer wieder Bergmessen statt.
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    Zipfel-Gemeinde Oberstdorf

    Seit 1999 gehört die Marktgemeinde Oberstdorf zu den vier Zipfel-Gemeinden der Republik – neben Selfkant (im Westen), Görlitz an der Neiße (im Osten) und Sylt (im Norden). Beim Abschluss des

    Zipfelpakts versprachen sich die vier Gemeinden, den Austausch auf Verwaltungsebene ebenso zu pflegen, wie gemeinsame Aktivitäten zu organisieren. Im Jahr 2000 wurde der Zipfelpass angefertigt. Wer als Wanderer alle vier deutschen Zipfel besucht und dies durch Rathausstempel dokumentiert, bekommt als Lohn ein Zipfelpaket mit regionalen Spezialitäten. Zu Zipfelpass-Inhabern gehören beispielsweise die Politiker Johannes Rau, Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Edmund Stoiber.

    Zunächst ist die Landschaft noch trist. Grau ist die pflanzenarme Welt des Hauptdolomits aus vielen zertrümmerten Felsstücken und Geröll. Bei diesem Wetter geradezu trostlos. Wenig später, auf den letzten Metern des Grenzwegs, auf dem Grat zwischen Kreuzeck (2.376 Meter) und Rauheck (2.384 Meter), bläst in das triste Grau auch noch ein kalter Sturm. Doch so schnell wie er kam, legt sich der Sturm auch wieder.

    Der Himmel reißt auf und die Wolken geben den Blick frei auf eine Landschaft, die aus dem Märklin-Katalog zu stammen scheint. Keine schroffen Felsen mehr, sondern Gras ist nun das dominierende Element. Die viergipflige Höfats mit ihren 900 Meter hohen und scharfen Grasflanken scheint jetzt zum Greifen nahe. Schon im Alpenvereinsjahrbuch 1896 wurde dieser prächtige Berg erwähnt, in einem Atemzug mit dem Matterhorn und den drei Zinnen. Eine wunderbare Laune der Natur, schön und gefährlich. Kein anderer Berg in den Allgäuer Alpen forderte so viele Todesopfer.

    Schließlich wandert der Grenzgänger hinauf in eine himmlische Region, zum Himmelecksattel (2.007 Meter). Hier muss man einfach pausieren, staunen und genießen. Die Seele baumeln lassen. Der Panoramaweg zieht sich jetzt weiter hoch über dem Oytal in Richtung Nebelhorngipfel. Zahlreiche Wanderer voll himmlischer Sehnsucht kommen einem entgegen. Denn die Nebelhornbahn in Oberstdorf ermöglicht die schnelle Himmelfahrt in wenigen Minuten. Noch einmal verliert sich der Blick in diesem schier endlosen Meer aus Gipfeln. Und einem Zipfel.

    Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin "Griaß di' Allgäu", Ausgabe Sommer 2016. Alle Informationen zur aktuellen Ausgabe findest Du auf www.griassdi-allgaeu.de

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