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Allgäuer Künstler entwarf Mahnmahl

Für Germanwings-Absturzort

Allgäuer Künstler entwarf Mahnmahl

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    Die Sonnenkugel des Memminger Künstlers Jürgen Batscheider. Sie hat einen Durchmesser von fünf Metern und ist mit 10.000 Goldblättern von Hand veredelt. Von einer Plattform nahe der Absturzstelle kann sie künftig betrachtet werden.
    Die Sonnenkugel des Memminger Künstlers Jürgen Batscheider. Sie hat einen Durchmesser von fünf Metern und ist mit 10.000 Goldblättern von Hand veredelt. Von einer Plattform nahe der Absturzstelle kann sie künftig betrachtet werden. Foto: Oliver Roesler/Lufthansa

    Beinahe hätte der Memminger Künstler Jürgen Batscheider die Mail einer Agentur einfach gelöscht, mit der er dazu eingeladen worden war, sich am internationalen Wettbewerb um eine Gedenkskulptur für die Absturzopfer der Germanwings-Flugs 4U9525 zu beteiligen. Dann hätte es seine goldene „Sonnenkugel“ nie gegeben, die künftig an der Unglücksstelle bei Le Vernet in den französischen Alpen an die 149 Menschen erinnert, die dort vor zwei Jahren ums Leben kamen, weil Co-Pilot Andreas Lubitz die Maschine an einem Berg zerschellen ließ. Und Batscheider hätte den mit Abstand gewichtigsten Auftrag seiner Künstlerbiografie nicht ausgeführt, der ihm nun weltweit Beachtung einbringt.

    Der Memminger Jürgen Batscheider entwarf das Gedenkmonument an der Absturzstelle des Germanwingsfluges 4U9525, bei dem am 24. März 2015 149 Menschen in den französischen Bergen ihr Leben ließen.
    Der Memminger Jürgen Batscheider entwarf das Gedenkmonument an der Absturzstelle des Germanwingsfluges 4U9525, bei dem am 24. März 2015 149 Menschen in den französischen Bergen ihr Leben ließen. Foto: Veranstalter Bildhauersymposium Davos

    Aber darauf war es dem 54-jährigen Wettbewerbssieger gar nicht angekommen, als er im November den Vertrag mit der Germanwings-Muttergesellschaft Lufthansa unterzeichnete, wonach seine Skulptur bis zum zweiten Jahrestag des Absturzes am 24. März fertig sein sollte. Batscheider war vielmehr getrieben von der Idee, eine „organische Brücke“ zu schaffen für die „zerschmetterten Seelen“, ihnen hinüberzuhelfen in eine andere Welt, „auf die sie noch nicht vorbereitet waren“. Einen Ort der Kraft, an dem die Angehörigen Trost finden - und der vielleicht auch anderen Trauernden hilft.

    Organische Brücke für die Opfer

    In einem ersten Entwurf wollte Batscheider seine „Brücke“ als Klangobjekt mit „heilenden“ Tönen in tiefen Frequenzen realisieren. Da die Skulptur aber nur aus einer gewissen Distanz von einer im vergangenen Jahr errichteten Plattform aus betrachtet werden kann - die Absturzstelle, auf der sie stehen wird, ist streng abgeriegeltes Sperrgebiet -, wären die Töne ungehört in der Bergwelt verklungen. Eingereicht hat er deshalb bei der zwölfköpfigen Jury unter dem Vorsitz von Peter Cachola Schmal, dem Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt, die „Sonnenkugel“ - ein weithin sichtbares Objekt ohne ziselierte Details. Sie setzte sich gegen die Modelle von 23 Künstlern durch; über eine Vorauswahl von drei Entwürfen haben die Hinterbliebenen der Opfer abgestimmt.

    Bildhauer Jürgen Batscheider:

    Jürgen Batscheider, 1962 in Memmingen geboren, ist Absolvent der Staatlichen Fachschule für Bildhauerei in Berchtesgaden. Er lebt und arbeitet in Memmingen und Port Grimaud/Frankreich.

    Er realisierte bereits einige Arbeiten im öffentlichen Raum in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Frankreich. Aktuelles Projekt ist die Skulptur „Flößer 1“ für Wolfratshausen. 2000 und 2003 war Batscheider Teilnehmer an der „Internationalen Graphiktriennale“ (Weltausstellung der Graphik) als einer von acht deutschen Künstlern.

    Die Opfer selbst hat Batscheider übrigens direkt in sein Werk mit einbezogen - mittels einem von außen unsichtbaren, kristallförmigen Zylinder, in den für jedes Opfer eine Holzkugel eingeschlossen ist. Ausgesucht hat Batscheider die Hölzer nach dem keltischen Baumkalender, der jedem Geburtsdatum einen bestimmten Baum zuordnet, dessen Eigenschaften wie Biegsamkeit oder Härte sich auf den jeweiligen Menschen übertragen sollen. Einige Angehörige haben diese Kugeln mit persönlichen Erinnerungsstücken befüllt. Die Hölzer sind nun so etwas wie ein warmes, geschütztes Innenleben in der kalten Außenhülle.

    Für jeden Toten eine Holzkugel

    Diese Kugel mit einem Durchmesser von fünf Metern besteht aus 149 Einzelteilen; jedes davon hat seine eigene Form. In manchen erkennt man etwas, in andern nicht - „wie bei Wolken“, so Batscheider. Die Aluminiumelemente, die auf ein komplexes, unsichtbares Tragwerk montiert sind, sind auf ihrer sichtbaren Seite mit insgesamt 10.000 Goldblättern von Hand veredelt. Dieses kostbare Material hat der Künstler nicht gewählt, um zu protzen, sondern weil es in der Natur so nicht vorkommt - und seine „Sonnenkugel“ somit das ganz Jahr über in der kargen Bergwelt auf 1.500 Meter Höhe alles überstrahlt. Schwebend, wie von magischer Hand zusammengehalten, wirken die Platten aus der Distanz. Nun wünscht sich der Künstler, dass sein Werk dort „für eine kleine Ewigkeit“ Hoffnung weitergibt.

    Es hätte keine Entschuldigung auch nur für die kleinste Schlamperei gegeben.Jürgen Batscheider

    Dazu gehört auch ein „Sonnenportal“, das auf der Plattform nahe der Absturzstelle stehen bleibt. Durch diesen fünf Meter hohen „Türstock“ aus Metall und rostigem Stahl soll der Blick des Betrachters fokussiert werden auf die Kugel; er soll die Umgebung ausblenden wie auf einem Bildschirm. Beides wird, sobald das Wetter es zulässt, in den nächsten Wochen miteinander aufgebaut.

    Strenge Geheimhaltung

    Schaffen musste Batscheider beides unter restriktiver Geheimhaltung. Die Lufthansa wollte keinerlei Öffentlichkeit, ehe Vorstandsvorsitzender Carsten Spohr die „Sonnenkugel“ am zweiten Jahrestag vor etwa 500 Angehörigen aus aller Welt in Nähe der Unglücksstelle in Le Vernet enthüllt hatte. Batscheider darf auch jetzt nur mit Lufthansa-Genehmigung mit der Presse reden - und nur ein einziges Foto ist bislang zur Veröffentlichung freigegeben.

    Doch diesen Preis war Batscheider bereit zu zahlen für dieses außergewöhnliche Projekt, an dem er vier Monate lang mit Hochdruck, Herzblut und unter größter Konzentration gearbeitet hat. „Ich wollte mein Maximum geben“, sagt er. „Es hätte keine Entschuldigung auch nur für die kleinste Schlamperei gegeben.“ 500.000 Euro ist der Lufthansa die Gedenkskulptur wert. „Aber das reduziert sich schnell bei so viel Material und den etwa 20 Menschen, die an der Realisierung beteiligt waren“, erklärt der Künstler.

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