Seitlich hinstellen, rechtes Bein nach vorn, Wurfarm auf Schulterhöhe nach hinten durchstrecken, dann mit Kraft nach vorne ziehen, ausstrecken – und die Scheibe im richtigen Moment loslassen. In Gedanken wiederhole ich die Bewegungsabläufe wie ein Mantra, versuche sie zu verinnerlichen.
Ich stehe auf 1.100 Metern Höhe auf dem Discgolf-Parcours in Ofterschwang (Oberallgäu), kneife die Augen zusammen und fixiere mein Ziel: Einen 86 Meter entfernten Metallkorb. Noch scheint er mir unerreichbar. „Denk gar nicht so sehr darüber nach, hab’ einfach Spaß“, sagt Paul Davies, rückt seine Basecap zurecht und zeigt mir nach einem ersten passablen Versuch, wie ich mein Handgelenk richtig einsetze. Der nächste Wurf klappt schon besser, mich packt der Ehrgeiz.
Frisbee habe ich natürlich schon oft gespielt: Im Schwimmbad mit Freunden oder meinem Bruder im elterlichen Garten. Mit lockerem Hin- und Herwerfen hat Discgolf, das ich zum ersten Mal ausprobiere, aber nicht viel gemein. Es ist eher mit Golf vergleichbar. Ziel des Spiels ist es, einen festgelegten Kurs bestehend aus mehreren Bahnen – in Ofterschwang sind es 15 – mit möglichst wenigen Würfen zu meistern.
Weniger Frisbee, mehr Golf
Je schwieriger die Bahn, desto mehr Würfe (Par) sind dafür vorgesehen. Üblich sind drei und vier Par. Auf dem Oberallgäuer Kurs, der an einem Hang mit Blick auf die Allgäuer Alpen liegt, gibt es Kurse für Anfänger und Profis. Spieler legen dort Distanzen von bis zu 120 Metern zurück – und etliche Höhenmeter.

Die Discgolfer starten von einem festgelegten Abwurfpunkt (Tee) und werfen in Richtung des Fangkorbs. Alle weiteren Würfe erfolgen von dem Punkt aus, an dem die Frisbee-Scheibe liegen bleibt. Wird sie im Korb (Tray) versenkt, ist die Bahn zu Ende gespielt. Für meine erste Bahn brauche ich vier Würfe. Nur eine Scheibe habe ich im Gebüsch versenkt. Fürs erste Mal nicht schlecht, finde ich.
Discgolf - das musst Du wissen:
>> Vorbereitung:
Eine Runde Discgolf am Ofterschwanger Horn (15 Bahnen) dauert für Neueinsteiger zwei bis zweieinhalb Stunden. Wichtig sind vor allem festes Schuhwerk und ausreichende Wasserreserven. Tipp: Immer ein Handtuch mitnehmen, da die Scheiben schon mal im Dreck landen können.
>> Tücken:
Die Frisbees fliegen beim Discgolf nicht immer so, wie man das möchte. Gerade bei Anfängern landen die Scheiben oft im Gebüsch und sind dann nicht mehr so leicht zu finden. Deshalb sollte man beim Werfen immer darauf achten, wo die Frisbee landet. Bei mehreren Mitspielern kann einer als "Spotter" agieren, der in Richtung Korb geht und beobachtet, wo die Scheibe landet.
>> Verhalten:
Laut offiziellem Regelwerk ist Höflichkeit beim Discgolfen das A und O. Neben Ruhe beim Abwurf ist es beispielsweise selbstverständlich, dass man anderen Spielern bei der Suche nach einer verlorenen Scheibe hilft.
>> Scheiben:
Gewicht, Dicke und Material - Discgolf-Scheiben gibt es in unterschiedlichsten Ausführungen. Grundsätzlich gibt es jedoch nur drei Modelle: Der Putter ist eine dickere und schwere Scheibe. Wie beim Golf wird er für kurze Distanzen genutzt. Mittlere Entfernungen können mit einem Midrange-Driver gemeistert werden. Praktisch das Gegenteil vom Putter ist der Driver - dünn, leicht und schnittig. Je nach Parcours haben Profispieler schon mal über 20 Frisbees mit dabei. Die Scheiben kosten zwischen zehn und 15 Euro. In Ofterschwang kann man sich die Frisbees auch vor Ort leihen.
>> Flugeigenschaften:
Die verschiedenen Frisbee-Modelle haben auch unterschiedliche Flugeigenschaften. Es gibt stabile, instabile und überstabile Scheiben. Gemeint ist damit der Drall, den eine Frisbee beim Flug entwickelt. So können auch Kurven geworfen werden. Beispiel: Eine Scheibe mit der Stabilität "0" fliegt gerade. Bei "-3" fliegt sie instabil und nach Rechts. Bei Linkshändern wirkt sich der Drall umgekehrt aus.
„Discgolf oder auch Frisbee-Golf wurde in den 1970er Jahren in den USA entwickelt“, erklärt mir Paul Davies – grau-blonde Haare, Basecap, lässiges T-Shirt. Der 53-jährige Oberstdorfer betreibt die Anlage am Ofterschwanger Horn seit 2009. Damals war es die erste im Allgäu. Davies ist zudem Inhaber einer Eventagentur. „Ich war 2008 auf der europäischen Discgolf-Meisterschaft als Helfer dabei. Dort habe ich viele nette Menschen und Profis getroffen und mich hat die Begeisterung gepackt.“ Die Idee für einen eigenen Parcours war geboren.
Anspruchsvolle Anlage, sensationeller Ausblick
In den USA hat Discgolf Profi-Niveau erreicht, Spiele werden sogar im Fernsehen übertragen. Obwohl der Sport in Deutschland noch recht unbekannt ist, hat sich auch hier in den vergangenen Jahren einiges getan. „2009 gab es in Deutschland 25 Anlagen. Mittlerweile sind es um die 100.“ Auf dem Parcours in Ofterschwang finden jährlich zwei bis drei Turniere statt – sowohl für Anfänger als auch für Profis aus ganz Europa. „Die schätzen die anspruchsvolle Anlage – und den sensationellen Ausblick“, sagt Davies und blickt lächelnd ins Tal.
Das schöne an Discgolf ist ja, dass es ein lockerer Sport ist, den Familien mit Kindern, Profis aber auch ältere Leute probieren können.Paul Davies
Ich stehe mittlerweile auf einer Weidefläche, die dicht mit Gras und Kräutern bewachsen ist, und suche meine zuletzt geworfene Frisbee-Scheibe. Die Anlage ist naturbelassen und wird nicht gemäht. Nur zweimal im Jahr grasen hier Rinder für jeweils zehn Tage. Davies ist der respektvolle Umgang mit der Natur wichtig. Müll habe hier nichts verloren. „Das muss man manchen Spielern aber erst klarmachen“, sagt der gebürtige Engländer.
Ein Sonthofer gehört zu den besten Spielern in Deutschland
Währenddessen stelle ich mich an den nächsten Abwurfpunkt. Jetzt wird es knifflig: Der Korb befindet sich in einem kleinen Waldstück. Von meiner Position aus kann ich ihn nicht sehen. Meine erste Scheibe landet in der sogenannten Strafzone. Sprich: im Dickicht. Dafür bekomme ich einen Strafpunkt. Emanuel Kroll drückt mir einen Midrange-Driver in die Hand. „Damit kannst du mittlere Distanzen werfen“, erklärt mir der 28-jährige Sonthofer, der 2017 den dritten Platz bei der deutschen Discgolf-Meisterschaft belegt hat. Er gehört zu den besten Spielern Deutschlands. Begonnen hat er seine Karriere auf der Anlage in Ofterschwang. Hier habe ihn die Sucht gepackt, sagt er und lacht.
Der Parcours ist jetzt schon international bekannt, weil er wegen seiner Lage so einzigartig ist.Paul Davies
„Versuch’ eher nach links zu werfen, weil diese Frisbee nach rechts abdreht“, rät mir Kroll. Und tatsächlich kann ich meine Scheibe immerhin zwischen die Bäume platzieren. Ich juble leise. Auch Davies und Kroll scheinen zufrieden mit mir zu sein. „Für eine Anfängerin ist das schon ganz gut“, sagt der Bahnbetreiber und zwinkert mir zu. Nach drei weiteren Würfen versenke ich meine Scheibe im Korb. Mit jedem weiteren kleinen Erfolgserlebnis packt auch mich immer mehr das Discgolf-Fieber.
„Wichtig ist, Spaß zu haben“, sagt Paul Davies. Diesen Satz höre ich von ihm immer wieder. „Das schöne an Discgolf ist ja, dass es ein lockerer Sport ist, den Familien mit Kindern, Profis aber auch ältere Leute probieren können.“ Außerdem spielt man nicht gegen die Uhr, es gibt keinen direkten Konkurrenzkampf oder einen Schiedsrichter. Jeder notiert seine Punkte für sich selbst auf einer Karte. Davies: „Discgolfen ist eher ein Miteinander als ein Gegeneinander. Das genießen viele Leute, die hierherkommen.“ An guten Tagen können das schon mal 100 Spieler sein.
Nachdem ich die letzte Scheibe mit viel Mühe im Korb versenkt habe und wir schnaufend zurück bergauf laufen, erzählt mir Paul Davies, dass er davon träumt, einmal eine Weltmeisterschaft in Ofterschwang veranstalten zu können. „Der Parcours ist jetzt schon international bekannt, weil er wegen seiner Lage so einzigartig ist.“ Momentan ist er auf der Suche nach einer Fläche in der Nähe, auf der er eine Partneranlage aufbauen kann.
Er selbst habe keine Ambitionen, Profispieler zu werden, sagt der 53-Jährige. Er möchte Leute für den Sport begeistern. „Vielleicht überlege ich mir das aber noch einmal, wenn ich in Rente bin.“