Startseite
Icon Pfeil nach unten
Berge
Icon Pfeil nach unten

Leben wie Heidi

Allgäuer Hüttenwirte

Leben wie Heidi

    • |
    • |
    Fensterläden auf, Blumen raus: Auf der Otto-Mayr-Hütte in den Tannheimer Bergen startet das Wirtsehepaar Petra Wagner und Gerhard Soyer-Wagner in die Hüttensommer-Saison.
    Fensterläden auf, Blumen raus: Auf der Otto-Mayr-Hütte in den Tannheimer Bergen startet das Wirtsehepaar Petra Wagner und Gerhard Soyer-Wagner in die Hüttensommer-Saison. Foto: Ralf Lienert

    Als Gerhard Soyer-Wagner zum ersten Mal in diesem Jahr auf der Otto-Mayr-Hütte das Wasser anstellt, spritzt es in jedem Geschoss irgendwo aus der Leitung. Wasserrohrbruch. Auf 1.530 Metern Höhe. Statt die Satellitenanlage auf dem Dach anzubringen, das Blockheizkraftwerk zu starten und das Geländer an der Terrasse anzubringen, sucht er mit seinen Freunden das Leck in der Leitung. Statt die Sitzkissen zu beziehen, die großen Dosen mit den Gewürzen in die Küchenregale zu räumen und die Blumen – kistenweise Elfenspiegel und Hornveilchen – aus den Autos zu holen, wischen die Frauen die Wasserpfützen auf. Das fängt ja gut an.

    Hüttenchefin Petra Wagner kennt das Geschäft von Kindesbeinen an. Im Sommer ist es ein 24/7-Fulltime-Job.
    Hüttenchefin Petra Wagner kennt das Geschäft von Kindesbeinen an. Im Sommer ist es ein 24/7-Fulltime-Job. Foto: Ralf Lienert

    Sie haben nur noch 24 Stunden Zeit, bis die Holländer kommen – und noch so viel zu tun. Petra Wagner, Chefin auf der Hütte und Gerhards Ehefrau, legt die Stirn in Falten, werkelt aber weiter in der Küche. Hilft ja nichts. Sieben Monate waren Türen und Fensterläden verrammelt und die Wagners mit ihren beiden Töchtern fest in ihr Winterleben in Durach bei Kempten eingebunden. Petra als Vollzeit-Mutter der neunjährigen Mattli und der zwölfjährigen Vreni, Gerhard als Altholzschreiner. Nun beginnt ihr Hüttensommer in den Tannheimer Bergen. Mit 15 Helfern wird die Otto-Mayr-Hütte in Musau aus dem Winterschlaf erweckt und auf die fünfmonatige Saison vorbereitet. Die gleichen Freunde, die im Oktober geholfen haben, das Haus winterfest zu machen, sind jetzt wieder dabei. Ein aufregender Tag.

    Auf österreichischem Boden

    Den Hüttensommer kennt Petra Wagner, seit sie ein kleines Mädchen war. Bis zum Jahr 2000 haben ihre Eltern, Elvi und Ernst, die Kemptner Hütte bei Oberstdorf betrieben. Dann übernahm Schwester Gabi mit ihrer Familie. Jetzt im Frühling beginnt überall in den Alpen wieder die Saison. Die Otto-Mayr-Hütte ist nur eine von 323 Schutzhütten, die zum Deutschen Alpenverein gehören. Eigentümer ist die Sektion Augsburg. DAV-Sprecher Thomas Bucher erzählt, dass der österreichische und Deutsche Alpenverein zwischen 1873 und 1945 zusammengehörten. Viele Häuser sind 100 Jahre und älter und liegen auf österreichischem Boden – auch das der Wagners.

    Eine Stunde, bevor das Wasser in der Küche, im Keller und im Obergeschoss aus den Leitungen spritzt, hat Gerhard Soyer-Wagner den voll beladenen Geländewagen die schmale Schotterpiste hinaufmanövriert. „Ich geh im Winter nicht hoch“, hat Petra Wagner vom Beifahrersitz aus erzählt. „Ohne Blumen und wenn alle Fenster zu sind, sieht die Hütte so traurig aus.“ Ihr Mann schaut im Winter immer wieder nach dem Rechten. Doch was der Frost angerichtet hat, merken die Pächter immer erst, wenn der Schaden schon da ist.

    Die Otto-Mayr-Hütte auf 1.530 m in den Bergen bei Musau erwacht aus dem Winterschlaf.
    Die Otto-Mayr-Hütte auf 1.530 m in den Bergen bei Musau erwacht aus dem Winterschlaf. Foto: Ralf Lienert

    Gerhard hat am Vortag den Weg, so gut es ging, mit dem Traktor freigeräumt. Der Wagen ist trotzdem auf dem Schnee geschlingert. „Es ist wie ein Umzug, und das zweimal im Jahr“, sagt Petra Wagner. Gleich für den ersten Tag der Saison hat sich eine Gruppe angemeldet. 36 Holländer wollen eine Nacht auf dem Berg verbringen. „Es sind Stammgäste“, sagt die Chefin und lächelt.

    Bis Mitte August ausgebucht

    Die Wirte der Schutzhütten leben fast ausschließlich von der Gastronomie. Zwar kann man dort in Betten- oder Matratzenlagern auch schlafen, das Geld für die Übernachtungen geht aber an den Alpenverein. Der Pächter erhält nur eine kleine Aufwandsentschädigung. Wer im Winter von den Gewinnen des Sommers leben will, muss also in der Küche und hinter der Theke ordentlich schuften. Um zu verhindern, dass Gäste ein Bett auf mehreren Hütten reservieren und dann spontan entscheiden, wo sie übernachten, verlangen die Wagners eine Anzahlung. Anders geht es nicht. Trotzdem sind schon jetzt bis Mitte August an allen Samstagen die 75 Schlafplätze ausgebucht.

    „Hütten, die an Fernwanderwegen liegen, sind sehr gut besucht“, sagt Thomas Bucher vom Alpenverein. Dort wechseln die Pächter eher selten, oft ist die Pacht schon seit Generationen in der Hand einer Familie. Auf den Hütten wiederum, die abseits gelegen sind, müssten die Wirte besonders kreativ sein, um Bergsportler anzulocken. Dort wechseln auch die Pächter häufiger, für viele steht die harte Arbeit in keinem Verhältnis zum Gewinn.

    Sieben Monate lang liegt die Hütte im Winterschlaf, doch ab sofort wird dieser Raum wieder von hungrigen und durstigen Gästen (vorzugsweise aus Holland und Baden-Württemberg) belagert.
    Sieben Monate lang liegt die Hütte im Winterschlaf, doch ab sofort wird dieser Raum wieder von hungrigen und durstigen Gästen (vorzugsweise aus Holland und Baden-Württemberg) belagert. Foto: Ralf Lienert

    Fünf Monate lang arbeiten Petra und Gerhard sieben Tage die Woche. Sie verzichten auf Privatsphäre und Freizeit und lassen ihre Kinder von montags bis freitags in der Obhut von Tante und Großeltern. Wer nach einer Wanderung mit einem kühlen Bier auf der Sonnenterrasse sitzt, das Bergpanorama bewundert und seufzt, wie schön es doch sein muss, hier zu arbeiten, ringt den Wagners nur ein müdes Lächeln ab.

    Es ist ein Knochenjob.Petra Wagner

    „Es ist ein Knochenjob, es startet ja nicht mit der Saison“, hat Petra Wagner schon kurz nach Ostern am Esstisch der Familie in Durach erzählt, als sie noch das Winterleben lebten. Laptop und Telefon neben sich, den Kalender mit den Buchungen vor sich, die Lesebrille ins brünette Haar geschoben. Ab Februar kommen die Reservierungen per Mail und Telefon. Die Anzahlungen müssen verwaltet werden. Und die ganzen Listen, die die Wagners den Sommer über geschrieben haben, werden abgearbeitet.

    Petra Wagner kennt das Geschäft von Kindesbeinen an. „Eine Hütte kannst du nur betreiben, wenn die ganze Familie hinter dir steht“, sagt sie. Da ist die Tante, die während der Saison ins Duracher Haus zieht und Vreni und Mattli betreut. Der Opa, der spontan Einkäufe hochfahren kann, wenn etwas ausgeht. Die Freunde, die sich freinehmen, um beim Umzug zu helfen. Jedes Jahr aufs Neue.

    Petra Wagners Reich ist die Küche: Von hier aus bekocht und bewirtet die Hüttenchefin ihre Gäste. Die Wirte der Schutzhütten leben fast ausschließlich von der Gastronomie.
    Petra Wagners Reich ist die Küche: Von hier aus bekocht und bewirtet die Hüttenchefin ihre Gäste. Die Wirte der Schutzhütten leben fast ausschließlich von der Gastronomie. Foto: Ralf Lienert

    Die ganze Familie muss zusammenstehen

    Es ist ein anstrengendes Leben. Viele Mitarbeiter geben nach einer Saison auf der Hütte auf. Die Wagners, beide 47 Jahre alt, machen weiter. „Ich kenne es nicht anders“, sagt Petra Wagner. Sie kann anpacken, das zeigen ihre starken Arme. Und sie möchte die Kontrolle behalten, ob in ihrer Küche oder über die Buchungen. Sie braucht immer was zu tun. Trotzdem, sagt der Ehemann, habe man auf der Hütte keinen Alltagsstress. „Du hast keine Termine, kein Handynetz, du bist abgeschnitten von der Außenwelt.“

    Du hast keine Termine, kein Handynetz, du bist abgeschnitten von der Außenwelt.Gerhard Soyer-Wagner

    Seine Frau kocht, er ist für die Bedienung und die Theke zuständig. „Wir verkaufen ja auch Persönlichkeit“, sagt Petra Wagner. Da ist es wichtig, dass der Chef sich selbst um die Gäste kümmert. Vor allem aber macht es Spaß, denn die meisten Besucher sind in Urlaubsstimmung, gut gelaunt und gesprächig.

    Zwei Wochen später ist es dann so weit. Der Traktor mit Anhänger und die Geländewagen haben den Anstieg zur Hütte geschafft und säumen den Weg zum vorderen Eingang. Endlich sperrt Gerhard Soyer-Wagner die Tür auf. Bis in den Herbst bleibt sie für Ausflügler, Wanderer und Bergsteiger geöffnet. Zeit, um den Moment auszukosten, bleibt keine. Wie auch, drinnen ist es dunkel und eiskalt.

    Jeder weiß, was zu tun ist

    Zum zweiten Zuhause wird die Hütte erst, wenn sie mit Leben gefüllt ist. Die Frauen tragen die Kisten mit Geschirrtüchern und Lappen in die dunkle Stube. Das Surren eines Akkuschraubers verrät, dass einer der Männer sich daran gemacht hat, die verschraubten Fensterläden von außen zu öffnen. Die Clique der Wagners braucht keine Anweisungen. Kaum angekommen, weiß jeder, was zu tun ist.

    Mit 15 Helfern wird die Otto-Mayr-Hütte auf die fünfmonatige Saison vorbereitet.
    Mit 15 Helfern wird die Otto-Mayr-Hütte auf die fünfmonatige Saison vorbereitet. Foto: Ralf Lienert

    Petra Wagner marschiert in die Küche, die blank polierten Edelstahlflächen sind alle unter Frischhaltefolie verpackt, als wären sie gerade erst geliefert worden. Die Küche ist ihr Reich, hier ist sie die nächsten Monate für die Maultaschen mit Bergkäse oder die Schlutzkrapfen, eine Tiroler Nudel-Spezialität, zuständig. Von der wohligen Wärme einer Küche ist aber noch nichts zu spüren, keine verführerischen Düfte hängen in der Luft. In den vergangenen Monaten ist das Haus komplett ausgekühlt. „Das dauert, bis es warm wird“, sagt Petra Wagner und fängt an, die Folien abzuziehen.

    Von nun an fährt Gerhard Soyer-Wagner immer freitags zum Einkaufen. Dann kann er auch gleich Vreni und Mattli in Durach abholen. Andere Hütten haben eine Materialseilbahn, mit der Vorräte oder Werkzeug hochgeschafft werden können. Die etwas kleinere Tannheimer Hütte, die die Wagners vor einigen Jahren bewirtschaftet haben, hatte weder eine Bahn noch eine Zufahrt – für den großen Umzug im Frühling und im Herbst mussten sie einen Hubschrauber mieten. Jetzt kann der Papa die Kinder einfach ins Auto packen und sonntags zurück ins Allgäu fahren.

    Früher wurde mehr gesungen und getrunken

    Vater Ernst Wagner ist ein Allgäuer Hüttenwirt durch und durch mit markantem Bart. 1966 wurde der heute 73-Jährige ausgezeichnet für den schönsten Bart im ganzen Allgäu.
    Vater Ernst Wagner ist ein Allgäuer Hüttenwirt durch und durch mit markantem Bart. 1966 wurde der heute 73-Jährige ausgezeichnet für den schönsten Bart im ganzen Allgäu. Foto: Ralf Lienert

    Denn auch für die Mädchen ziehen die Wagners jeden Sommer auf die Hütte. Wenn die Saison losgeht, fließen zwar schon mal die Abschiedstränen. Aber wenn Mattli und Vreni an den Wochenenden und in den Ferien bei den Eltern auf der Hütte sind, leben sie fast wie Heidi. Umringt von den Gipfeln der Roten Flüh, der Schlicke und des Schartschrofen, von Murmeltieren in den Wiesen und Gämsen an den Hängen. „Langweilig wird ihnen nie“, erzählt ihre Mutter, die während der Schulzeit jeden Abend mit ihnen telefoniert und sich von Schule und Freunden berichten lässt.

    Das vorgekochte Gulasch köchelt schon auf dem Herd, als Petra Wagners Vater Ernst dazustößt. Ein Allgäuer Hüttenwirt durch und durch. Mit einem markanten Bart. Der ist zwar mittlerweile weiß und nicht mehr pechschwarz, aber genauso dicht wie 1966, als sein Träger Bartkönig wurde – gekürt für den schönsten Bart im ganzen Allgäu. Und schon ist der 73-Jährige mittendrin im Geschichtenerzählen. „Gerade die Württemberger“, plaudert er über seine Gäste, „haben immer gesungen.“ Aus beiden Stuben der Kemptner Hütte habe es abends geschallt – und mehr getrunken hätten sie auch, ergänzt die Tochter. Heute stimme kaum noch eine Wandergruppe ein Lied an.

    Der alte Wagner stellt die Brotkörbe auf die lange Tafel in der Gaststube. Er genießt es, noch dazuzugehören, aber nicht mehr die ganze Verantwortung tragen zu müssen. Für die Helfer gibt es erst mal eine wohlverdiente Mittagspause. Zwei große dampfende Töpfe stehen auf dem Tisch, der würzige Geruch des Gulaschs erfüllt den Raum. Als jeder eine volle Schüssel vor sich stehen hat, ist außer dem Klappern der Löffel nichts mehr zu hören. Am Abend wird noch ein Handwerker aus dem Tal anrücken. Tags darauf ist der Leitungsschaden schließlich behoben. Die Hütte kann wie geplant öffnen.

    Petra und Gerhard Wagner sind wieder angekommen, hier oben in ihrem Sommerleben.

    Welche Hütten wann öffnen und was Wanderer beachten sollten:

    Öffnungszeiten:

    Die vorgesehenen Hütten-Öffnungszeiten in den bayerischen Alpen können sich je nach Wetter verschieben. Das sind die geplanten Termine der wichtigsten Hütten in den Allgäuer Alpen (alle Angaben ohne Gewähr):

    - Schwarzwasserhütte: 12. Mai

    - Otto-Mayr-Hütte: 13. Mai - Enzianhütte: 25. Mai

    - Mindelheimer Hütte, Widdersteinhütte, Hermann-von-Barth-Hütte, Edmund-Probst-Haus, Landsberger Hütte: 3. Juni - Rappenseehütte, Prinz-Luitpold-Haus: 9. Juni

    - Kemptner Hütte: 10. Juni

    Bereits geöffnet sind die Schwarzenberghütte, das Staufner Haus, das Gimpelhaus, die Bad Kissinger Hütte sowie von donnerstags bis sonntags die Ostlerhütte (täglich ab 25. Mai).

    Neubau:

    Komplett abgerissen und neu gebaut wurde das Waltenbergerhaus in den Oberstdorfer Bergen. Die neue Hütte in moderner Architektur öffnet am 15. Juni.

    Reservierung:

    Alpenverein und Hüttenwirte empfehlen dringend, Schlafplätze vorher zu reservieren. Das gilt vor allem für Wochenenden, in den Ferien und für Gruppen.

    Verhältnisse:

    Besonders in den Hochlagen der bayerischen Alpen - beispielsweise im Zugspitzgebiet und in den Oberstdorfer Bergen - liegt noch sehr viel Schnee. Dort herrschen fast winterliche Verhältnisse. Südseitige Anstiege sind vor allem an weniger hoch gelegenen Bergen schon gut möglich.

    Altschneefelder Im Frühsommer zu Beginn der Wandersaison gelten Altschneefelder als Unfallursache Nummer eins. Vor allem beim Überqueren steiler Schneefelder kommt es immer wieder zu Unfällen durch Abrutschen. Experten empfehlen feste, knöchelhohe Schuhe mit guter Profilsohle. Teleskopstöcke helfen, das Gleichgewicht zu halten. Bei anspruchsvolleren Touren können Pickel und Steigeisen vor allem morgens nach frostigen Nächten empfehlenswert sein. (mun)

    Informationen:

    Alles Wissenswerte über Touren in den Oberstdorfer Bergen gibt es bei der dortigen Alpininformation im Internet:

    oberstdorf.de/alpininfo

    . Alle Infos über die Hütten findet man auf der Homepage des Deutschen Alpenvereins unter

    dav-kempten.de

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden