Es kracht mal wieder zwischen Jagd, Forst und Naturschutz. Schauplatz ist die Kürnach, ein kleiner, bewaldeter Höhenzug westlich von Kempten, der sowohl in Bayern als auch in Baden-Württemberg liegt. In diesen den Alpen vorgelagerten Bergen hat auch die Gämse einen natürlichen Lebensraum.
Ins Schussfeld der Kritik geraten ist jetzt der Forstbetrieb Sonthofen, der auf bayerischem Terrain eine Fläche von knapp 3.000 Hektar bewirtschaftet. Der Verein „Wildes Bayern“ wirft den Staatsforsten vor, gemeinsam mit privaten Grund- und Waldbesitzern einen Abschussplan für die Gämsen durchgedrückt zu haben, der die „Ausrottung der gesamten Population bedeutet“.
Gamswild
>> Die Gämse
, in der Jägersprache Gams oder Gamswild, ist in Europa und Kleinasien beheimatet. Sie lebt in Gebirgslandschaften und zieht im Sommer auf Hochlagen bis zu 2500 Meter. In Deutschland kommt sie in den Alpen und in geringer Zahl auch im Schwarzwald und auf der Schwäbischen Alb vor. Die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald hat sie 2012 zum Wildtier des Jahres gekürt.
>> Geißen und Jungtiere
leben in Rudeln von 15 bis 20 Tieren. Ein Tier ist im Sommer stets als Wächter abgestellt und warnt die anderen bei Gefahr durch einen Pfiff. Zum Winter hin wird der Herdenzusammenhalt lockerer. Das Rudel wird von einer erfahrenen Geiß angeführt.
>> Böcke
leben als Einzelgänger und suchen erst im Spätsommer ein Rudel auf. Sie vertreiben die männlichen Jungtiere, wenn sie alt genug sind, und behaupten sich in Kämpfen gegen Geschlechtsgenossen. In der zweiten Novemberhälfte erfolgt die Paarung.
>> Ende Mai oder Anfang Juni
wirft die Gämse ein, selten zwei oder drei Kitze. Die Tragzeit beträgt sechs Monate. Geißen werden nach zwei Jahren geschlechtsreif. Böcke können ein Alter von 15 Jahren erreichen, Geißen bis zu 20 Jahre alt werden. (jös)
Von knapp 10 auf 28 abgeschossene Tiere
Der Jahresabschuss der vergangenen zehn Jahre lag in der Kürnach im Schnitt bei 9,5 Stück Gamswild. Im Jagdjahr 2018/19 wurden 19 Tiere erlegt. Wenn am 1. August die Schonzeit endet, sollen nach dem neuen Plan 28 Gämsen geschossen werden. „Wird diese Zahl erfüllt, gibt es in der Kürnach keine Gams mehr“, sagt Christine Miller, die Vorsitzende des Vereins „Wildes Bayern“, einem Aktionsbündnis zum Schutz der Wildtiere und ihrer Lebensräume.
Die Wildbiologin aus Rottach-Egern betont, dass sich der Bestand des Gamswildes in der Kürnach auf bayerischer wie auf baden-württembergischer Seite in einem Flora-Fauna-Habitat (FFH)-Gebiet befindet. Und in einer FFH-Richtlinie heißt es, dass „eine jagdliche Nutzung der Gämse grundsätzlich nur dann erlaubt ist, wenn ein günstiger Erhaltungszustand vorliegt“. Dies müsse durch ein Monitoring, eine Überwachung, regelmäßig nachgewiesen werden. „Auch der Staatsforst darf dagegen nicht verstoßen und eine geschützte Tierart aus ihrem Verbreitungsgebiet eleminieren“, sagt Miller.
Plakate gegen den Abschuss in Kempten und der Region
Ihr Verein plant nun eine Öffentlichkeitskampagne. Eine großformatige Plakatierung in Kempten und der Region soll zum Inhalt haben: „Hier wird ab dem 1. August eine international geschätzte Tierart ausgerottet.“
Hier wird ab dem 1. August eine international geschätzte Tierart ausgerottet.Plakatinhalt von "Wildes Bayern"
Jann Oetting, Leiter des Forstbetriebs Sonthofen, nennt den Vorwurf „absurd“. Der Konflikt werde konstruiert und künstlicher Druck aufgebaut. Die Gämse sei in der Kürnach auf bayerischer Seite Wechselwild, das heißt, sie zieht von Revier zu Revier. Auf baden-württembergischem Terrain ist sie dagegen standorttreu. Deshalb gab es für viele Kürnacher Jagdreviere in der Vergangenheit keine Abschusspläne für Gämsen, sagt der Forstdirektor.
So habe man vor zwei Jahren die Idee mit einem Pool gehabt, diesen im vergangenen Jahr mit sechs Revieren gebildet und für 2019/20 mit großer Mehrheit einen Abschuss von 25 Gämsen beschlossen. Diese Zahl sei dann auf Wunsch von Jagdrevieren auf 28 Stück erhöht und vom Jagdbeirat auch genehmigt worden. Oetting: „Der Forstbetrieb Sonthofen erklärte sich bereit, die Koordination zwischen den sechs Revieren zu übernehmen, damit der Abschuss nicht übererfüllt wird.“
Der Staatsforst selbst erlege dabei auf einer Fläche von 2911 Hektar mit zwölf Gämsen die mit 0,4 Stück pro 100 Hektar niedrigste Zahl. „Die Ausrottung der Wildart ist sicher nicht unser Ziel“ sagt Oetting. „Und wir wollen die Gams auch nicht zum ’Knospenabfresser’ degradieren.“
„Der Bestand der Tiere ist höher, als behauptet wird“, betont der Forstmann. Außerdem sei die Kürnach mit steilen Tälern, aber ohne Felsbereiche kein typisches Gamsgebiet. „Und in geschlossenen Waldregionen darf sie auch nicht gehegt werden, gibt uns die bayerische Schalenwildrichtlinie vor.“
Die Ausrottung der Wildart ist sicher nicht unser Ziel. Und wir wollen die Gams auch nicht zum ’Knospenabfresser’ degradieren."Jann Oetting, Leiter des Forstbetriebs Sonthofen
Einspruch gegen den nach seiner Meinung „überzogenen Abschuss“ hat der Leiter des Hegerings Buchenberg (Oberallgäu), Reinhard Ochsenbauer, erhoben. Ohne Erfolg. Die Untere Jagdbehörde am Landratsamt Oberallgäu hatte keine Einwände gegen die Abschussplanung. Sie sei vielmehr im Einvernehmen mit den Grundstückseigentümern und Revierinhabern „gesetzeskonform durchgeführt worden“, heißt es in einem Schreiben. Es treffe nicht zu, dass alle dort lebenden Gämsen zum Abschuss frei sind.
Sind Wildruhezonen die Lösung?
Der Vorsitzende des Kreisjagdverbandes Kempten, Karl Heinz Schader, fordert indes eine „nachhaltige Bejagung der Gams“ in der Kürnach, die keinen Schutzwaldstatus habe. Ansonsten befürchtet auch er eine „Ausrottung der Population“. Schader: „Die Gams gehört zu unseren Alpen, zur Heimat.“
Keinerlei Verständnis für die deutliche Erhöhung der Abschusszahlen zeigt Bayerns Jägerpräsident Jürgen Vocke. Bei der Gams handle es sich um eine der symbolträchtigsten Wildarten in den Allgäuer und oberbayerischen Alpen. Vocke spricht von Aktionismus, wenn der Bestand der Tiere „systematisch heruntergeschossen“ werde. Und genau darum gehe es in der Kürnach. „Da fehlt jedes Augenmaß.“
Die Gams gehört zu unseren Alpen, zur Heimat.Karl Heinz Schader, Kreisjagdverband Kempten
Die „subtile Schädlingsbekämpfungsmentalität“ müsse ein Ende haben und werde dieser „stolzen heimischen Tierart“ nicht gerecht, sagt Vocke. Die Gams leide heute unter einem enormen Zivilisationsdruck und sei nur noch auf der Flucht. Der Jägerpräsident plädiert für Wildruhezonen, in die sich die Gams zurückziehen kann. „Dann nimmt auch der Verbiss an jungen Bäumen deutlich ab.“
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bezeichnet die Gams gegenüber unserer Redaktion als „Kulturgut“. Er kenne zwar die Situation in der Kürnach nicht und könne auch nichts zu den Abschusszahlen sagen. Er empfiehlt jedoch Tourismusregionen insgesamt, Gamswild-Bestände zu erhalten. „Die Gams ist ein Sympathiefaktor für die Alpen.“
Aiwanger, selbst Jäger, sagt, Wald und Wild gehörten zusammen. „Gämsen dürfen nicht nur als Schädlinge betrachtet werden, die die Knospen der jungen Bäume anknabbern.“ Sein Ministerium, das unter anderem für den Tourismus zuständig ist, plane sogar, Gamsbeobachtungsstellen einzurichten, damit „dieses urige Wild wieder erlebbar wird“.