Dieser Artikel stammt aus dem Archiv von allgaeu.life. Er erschien zuerst im Oktober 2016.
Es war ein schier unglaublicher Wasser-Tripp: Ferdl Rasch und Sepp Weber funktionierten 1986 ein hölzernes Güllefass zum Kanu um - und reisten über die Arge bis nach Rotterdam.
Ferdl Rasch (60) grinst wie ein Schulbub nach einem Streich. Wenn er in seinem Haus in Argenbühl an die verrückten Tage des Jahres 1986 denkt, freut er sich noch immer tierisch.
"Wir haben es allen gezeigt", sagt er stolz und legt das alte Album auf den Wohnzimmertisch. Es birgt einen wahren Schatz an Erinnerungen: Fotos, Zeitungsausschnitte, Postkarten und Notizen des wohl kuriosesten Wasser-Trips, den je ein Allgäuer unternommen hat. In einem hölzernen Bschüttfass legte der Postbeamte insgesamt 1.200 Kilometer zurück - und schipperte sogar in die Herzen der Fernsehzuschauer.
Die Idee:
Ferdl ist Ende 20, als auf den Allgäuer Gewässern immer mehr Kajaks und Kanus auftauchen. Von der großen Freiheit träumen auch er und seine Kumpels, die auf Country-Musik, Partys und Abenteuer stehen. Doch so ganz will Ferdl, der auf einem Hof aufwuchs, seine Herkunft nicht verleugnen. Er sucht nach einem Wasser-Gefährt, das zum Allgäu passt. Durch Zufall wird er fündig - im Stadel eines Kumpels. Für 50 Mark kauft er ihm ein ausrangiertes (und gesäubertes...) Bschüttfass aus den 1950-Jahren ab: 2,80 Meter lang und 100 Kilo schwer.
Die ersten Manöver:
Vor der Jungfernfahrt macht er das Bschüttfass mit wenig Eingriffen seetauglich. So werden auf der Oberseite zwei Luken ausgesägt, damit sich die Fahrer hinknien können. Die erste Ausfahrt mit Holzpaddel endet dennoch ernüchternd. Nach ein paar Metern kentert das Fass. "Es ist sehr schwierig, die Balance zu finden", sagen Ferdl und Sepp. Doch sie lassen sich nicht beirren. Nach zwei Jahren Training auf der Argen sind sie ein perfektes Gespann. "Die Leute haben uns für verrückt gehalten. Aber das war uns egal."

Der langersehnte Ritt:
Anfang Mai 1986 stechen Ferdl und Sepp in See. Besser gesagt: in den Eistobel der Oberen Argen in Richtung Bodensee. Der Fluss führt kräftig Schmelzwasser. Prompt kommt es zu brenzligen Situationen, wie alte Video-Aufnahmen beweisen. Erst mit Erreichen des Bodensees bei Langenargen wird der Trip zum Genuss. Überall applaudieren Menschen. "Wir sind mehr aufgefallen als die schönsten Yachten", sagt Sepp schmunzelnd. In insgesamt elf Etappen kämpfen sie sich über 200 Kilometer bis zum Rheinfall bei Schaffhausen. Übernachtet wird meist auf Zeltplätzen oder bei Anrainern, die sie spontan aufnahmen.
Bis ans Ende der Kräfte - die zweite Tour:
Ein Jahr später bricht Ferdl erneut auf. Diesmal ist die Tour 1.000 Kilometer lang! Von Schaffhausen rheinabwärts bis Rotterdam. Weil Sepp keinen Urlaub bekommt, startet Ferdl mit zwei anderen Kumpels, die abwechselnd im Bschüttfass Platz nehmen. Das Trio zeigt für Greenpeace Flagge und macht auf die Verschmutzung des Rheins aufmerksam. Viele Medien berichteten über die eigenwilligen Allgäuer, die sieben Stunden am Tag in einer Nussschale durch die Wellen gleiten. Müde und entkräftet erreicht die Crew nach vier Wochen einen Vorhafen von Rotterdam. "Wir waren so fertig, dass uns sogar Bschüttfass egal war. Das haben wir einem Holländer vermacht, der es an ein Museum verkaufen wollte. Doch wir haben nie mehr was davon gehört", sagt Ferdl. Dafür avancieren die Allgäuer Seemänner in ihrer Heimat zu Helden und werden sogar von Ilona Christen in den ZDF-Fernsehgarten eingeladen.

Die magischsten Momente:
"Die Natur und die Freiheit sind mir unvergesslich. Aber auch das Gefühl, gemeinsam ein Ziel zu haben und es umzusetzen", sagt Ferdl. Mittlerweile haben er uns sein bester Freund Sepp wieder ein altes Bschüttfass aus einer Scheune gezogen. Beim Spaßrennen "D' Arge nab" in Wangen kamen sie bei einem Spaß-Comeback im Sommer 2016 allerdings nicht allzuweit. "Da war nach 200 Meter Schluss. Wir hatten ein Leck", verraten Ferdl und Sepp. Sie nehmen es mit Fassung. Den wurmstichigen Bottich hätten sie vorher nicht groß geprüft. "Vor 30 Jahren", betonen die Allgäuer Bschüttfass-Kapitäne schmunzelnd, "wär uns das garantiert nicht passiert."
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