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Historiker: "Neuschwanstein hat den größten Anteil am Ludwig-Mythos"

Spangenberg:

Historiker: "Neuschwanstein hat den größten Anteil am Ludwig-Mythos"

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    Marcus Spangenberg
    Marcus Spangenberg Foto: Uwe Moosburger

    Die Geburtsstunde des Märchenschlosses, sie schlägt gewissermaßen am 25. April des Jahres 1868: In kaligrafisch geschwungenen Lettern schreibt Ludwig II., seit vier Jahren König von Bayern, an diesem Tag seinem Jugendfreund Wilhelm von Hessen-Darmstadt. In diesem Brief ist erstmals die Rede von seiner Absicht, die Burgruinen bei Hohenschwangau zu restaurieren.

    Nur wenige Tage vergehen, bis im Sommer die Arbeiten an den Ruinen Vorder- und Hinterhohenschwangau beginnen. Die Grundsteinlegung erfolgt auf allerhöchsten Befehl dann am 5. September 1869. Wie es damals Tradition ist, werden eine geprägte Münze von Ludwig II. und Baupläne in das Fundament eingelassen. Großes öffentliches Aufsehen erregt der historische Schritt zunächst nicht. Das Füssener Blatt berichtet damals lapidar in einem kurzen Mehrzeiler vom Ereignis: „Am 5. des Vormittags fand die Grundsteinlegung zum neuen Schloss Schwangau statt (...), heute Abend wird seine Majestät in Hohenschwangau erwartet“, heißt es.

    Und heute? Nach anderthalb Jahrhunderten hat sich das Schloss zu einer der touristischen Top-Attraktionen entwickelt, es steht in aller Welt wie ein „Synonym für ganz Deutschland“, sagt der Historiker Marcus Spangenberg. Mit ihm sprechen wir über den Mythos Ludwig, die Entstehungsgeschichte seines Schlosses und klären, wie es dazu kommen konnte, dass im japanischen Osaka heute selbst auf Kinderspielzeug mit „der Gralsburg“ König Ludwigs geworben wird.

    Herr Spangenberg, Ludwig II. soll einmal gesagt haben, man solle ihm die Räume Neuschwansteins als Heiligtum bewahren und sie nicht entweihen durch die Blicke neugieriger. Ist es da nicht eine Ironie der Geschichte, dass schon wenige Wochen nach seinem Tod Führungen durch das Schloss angeboten wurden und es heute über 1,5 Millionen Besucher jährlich besichtigen?

    Spangenberg: Das ist definitiv so. Allerdings ist diese Abriegelung des Schlosses auch ein Grund dafür, warum Neuschwanstein überhaupt zu diesem Tourismusobjekt hat werden können. Denn erst dieser geheimnisvolle Charakter hat dazu geführt, dass die Menschen neugierig wurden auf das, was in Hohenschwangau entsteht. Denn man muss wissen, dass es Ludwig wie sein Vater auch Besuchern gestattete, Schloss Hohenschwangau in seiner Abwesenheit zu besichtigen. Von dort schweiften dann natürlich neugierige Blicke hinüber zur Baustelle am Berg, was sich in den folgenden Jahren noch verstärkte. Gleichwohl war es Schloss Herrenchiemsee, das in den ersten Jahren nach Ludwigs Tod die höchsten Besucherzahlen verzeichnete. Erst mit der besseren Verkehrsanbindung des Allgäus änderte sich das. Und mit dem Mythos des Märchenkönigs.

    Der „Kini“ ist schon kurz nach seinem Tod Motiv vieler Erzählungen und sogar eines der ersten Stummfilme gewesen. Welchen Anteil an diesem Mythos hat dabei eigentlich Schloss Neuschwanstein?

    Spangenberg: Zweifellos den größten, weil es als Ort der Verhaftung Ludwigs Ausgangspunkt des ganzen Schicksals Ludwig II. ist. Man muss es sich so vorstellen: Der König wird am Höhepunkt seines Schaffens in Arrest genommen, quasi in der mystischen Bergwelt seiner Macht beraubt und fällt dann buchstäblich in die Tiefe, als er im Würmsee den Tod findet. Die Fallhöhe des Monarchen von Gottes Gnaden aus den Bergen, der im Wasser zugrunde geht, sie könnte größer kaum sein. Kurzum gesagt ist der Mythos König Ludwig ohne Neuschwanstein kaum denkbar.

    Was man doch auch an den Souvenirartikeln erkennen kann, die rund ums Schloss zu tausenden über die Theke gehen, richtig?

    Spangenberg: Wobei auch hier offen zu Tage tritt: Das öffentlich und touristisch kultivierte Bild des Märchenkönigs passt häufig wenig zur historischen Wirklichkeit.

    Können Sie das näher erklären?

    Spangenberg: Nehmen Sie nur mal die Bilder, die rund um Neuschwanstein verkauft werden. Sie zeigen fast ausschließlich den jungen Ludwig im Hermelin-Pelz oder den gealterten Monarchen in Militär-Uniform. Tatsächlich ist es aber so, dass Ludwig 99,9 Prozent seiner Zeit in ziviler Kleidung herumlief. Aber das passt eben nicht zur Type des Märchenkönigs, zur Schimäre. Und es lässt sich weniger gut vermarkten.

    Wie sieht denn dann Ihr Bild aus?

    Spangenberg: Man hat mich mal als schonungslosen Bewunderer Ludwig II. bezeichnet. Das finde ich sehr treffend. Mir geht es um ein realistisches Bild des Königs und auch darum, zu zeigen, er war kein Heiliger. Zum Zeitpunkt seines Todes war der Monarch heillos überschuldet. Genauso wenig lassen sich homophile Neigungen aus wissenschaftlicher Sicht leugnen. Belege für sexuelle Handlungen gibt es gleichwohl keine. Dagegen spricht auch Ludwigs streng religiöse Geisteshaltung. Genauso wenig stimmt es aber, dass Ludwig die Staatskasse durch seine Bauten belastet hat. Er bestritt die Ausgaben ausschließlich aus seiner Privatschatulle. Auch sein Verhältnis zum Komponisten Richard Wagner ist deutlich ambivalenter und man kann keineswegs davon sprechen, dass dieser den König durch seine Musik in den Selbstmord getrieben habe.

    Ohne Wagners Sagen- und Musikwelt aus dem Mittelalter ist Neuschwanstein, wie wir es heute kennen, wohl kaum vorstellbar, oder?

    Spangenberg: Das stimmt. Wagner hat Neuschwanstein zwar nie betreten. Aber das Schloss ist, wenn man so will, gebaute Bühnenarchitektur. Große Teile des Architekturprogramms aus dem Schloss entstammen den Opern Tannhäuser und Lohengrin. Wagner war somit Quelle der Inspiration für Ludwig. Und entgegen einem gängigen Vorurteil war der König zugleich mit seinem Rückbezug ins Mittelalter auch absolut Kind seiner Zeit, das war damals Mode. Andere Herrscher veranstalteten zum Beispiel Kostümbälle oder skurril anmutende Essensrunden mit historischem Charakter.

    Und doch ist Neuschwanstein in seiner Art einzigartig geblieben!

    Spangenberg: Und zwar deshalb, weil Ludwig als einziger diesen ganzen Rückbezug nicht als bloßes Spiel oder Mode betrachtete, sondern es für ihn eine reflektierte Angelegenheit war. Er bezog alle Symbole der alten Zeit nämlich auf sich selbst. Das brauchte er, um sich selbst zu bestätigen. Beleg dafür ist etwa der Schwanenritter, der mehrere Gemälde im Schloss ziert. Ludwig sah sich in romantisierender Tradition als dessen unmittelbarer Nachfolger. Auch wegen dieser Ich-Bezogenheit seiner Bauten blieben sie für seine unmittelbaren Nachfolger auf dem Thron nutzlos.

    Nutzlos aber ganz sicher nicht für die Tourismusbranche. Besonders im asiatischen Raum ist das Schloss beliebt wie nie. Wodurch lässt sich das erklären?

    Spangenberg: Ich war kürzlich in Japan und bin auf ein Plakat gestoßen, das ein Mozart-Konzert angekündigt hat. Darauf zierte wie selbstverständlich ein Foto von Schloss Neuschwanstein. Auch wenn es weder mit dem Konzert noch mit dem Komponisten was zu tun hat. Das zeigt für mich zweierlei: Neuschwanstein ist in Japan ein Synonym für Deutschland an sich. Eine Kultur, die die Bevölkerung sehr bewundert. Andererseits ist Neuschwanstein aber auch ein Symbol, das stark emotional aufgeladen ist. Es ähnelt dabei den Mangas, also den bildlichen Symbolen, die in Japan überall zu finden sind. Bildlich ausgedrückt: Ein weißes Schloss, herbstlich gefärbte Bäume und schneebedeckte Berge – das alles weckt offenbar ein romantisierendes Gefühl bei den Japanern und lässt sich fast überall vermarkten. Sogar auf Kinderspielzeug, Elektronikartikeln und Lavendel-Produkten.

    Ortswechsel ins Allgäu: Ist es eigentlich seit jeher nur die Vermarktung, die die Beziehung der Menschen im Königswinkel zum Schloss bestimmt?

    Spangenberg: Ja und Nein. Natürlich war von Anfang an eine gewisse Abhängigkeit der Schwangauer in wirtschaftlicher Hinsicht vom Schloss vorhanden. Schließlich erhielten zur Bauzeit viele Handwerker Arbeit. Später steigerte sich das durch den Tourismus noch. Auf der anderen Seite war da aber die Nähe zu diesem ungewöhnlichen Menschen, der ganz bewusst in der einsamen Bergwelt leben wollte und nicht bei den Großkopferten in München. Immer wieder gab es Begegnungen von Schwangauern mit dem König, der seine Untertanen aber immer respektvoll behandelte, mit ihnen sprach und sogar Geschenke überreichte. Das sprach sich herum. Zur besonderen Beziehung beigetragen hat sicher auch ein gewisses Narrativ durch Erzählungen über viele Generationen hinweg. Etwa über die nächtlichen Schlittenfahrten bei Mondschein, und nicht zuletzt den Glanz, den er ausstrahlte. Das führt bis heute zu einer engen Bindung der Schwangauer an den König.

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