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Morgens Vater unser, abends Mamma Mia

Kaufbeuren

Morgens Vater unser, abends Mamma Mia

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    Das weiße Shetland-Pony wartet geduldig, während Schwester Anna Schülerin Angelina die Longe in die Hand drückt. „Du musst schnalzen, wenn das Pferd in eine andere Schrittfolge wechseln soll“, erklärt die 53-jährige Ordensfrau des Crescentiaklosters, deren graubraune Haare unter dem im Wind flatternden Schleier hervorlugen. Dann tritt sie aus dem Übungskreis. Angelina lässt die Longe einmal schnellen und gibt ein kommandierendes Schnalzen. Folgsam setzt sich das Pony in Bewegung. Schwester Anna beobachtet die beiden, während sie den Reißverschluss ihrer Outdoor-Jacke ein wenig aufmacht. Ein kurzer Blick in Richtung der anderen Schülerinnen, die am Koppelrand auf dem braunen Pony reiten. Alles ist gut, sie lenkt ihre Aufmerksamkeit zurück auf die Schülerin an der Longe. Die Ordensfrau ist verantwortlich für die Ponybetreuung im Nachmittagsprogramm des Marieninternats. Zudem leitet sie das Mädcheninternat, in dem sie zusammen mit sechs weiteren Schwestern lebt, und kümmert sich um Angestellte und Interessierte. Manchmal sitzt sie hinter der Mensakasse oder erledigt die Wäsche der Schwestern. Nicht alle in ihrer Familie waren glücklich, als sie Nonne wurde, und auch sie findet es manchmal schwierig. Trotzdem liebt sie ihren Beruf – nur das Zölibat würde sie lockern.

    „Ich war früher nicht überfromm“, sagt sie über sich selbst. Dass sie Nonne werden wollte, hat Andrea Stein bei einem Jugendtreffen mit Gebetsnacht gemerkt. „Da bekam ich eine Sehnsucht nach diesem Weg, die sehr schwer beschreibbar ist“, erinnert sie sich. So hat sie sich mit 19 Jahren entschieden, die Roben der Franziskanerinnen anzulegen. Am 8. Januar 1987 schwor Andrea Stein Armut, Gehorsam und Ehelosigkeit und wurde zu Schwester Anna Maria. Den Namen hat sie selber ausgesucht. „Ich hatte damals eine innige Beziehung zur heiligen Crescentia, weil sie ein einfaches Mädchen war, das es im Kloster schwer hatte, aber trotzdem ihren Weg gefunden hat“, erklärt sie. Deshalb hat sie auch den Namen Anna gewählt – nach Anna Höß, dem Geburtsnamen der heiligen Crescentia. „Der Name kann als Nonne Programm sein“, erklärt sie. Und er stehe symbolisch für das neue Leben, welches für sie am 8. Januar 1987 begonnen habe.

    Ursprünglich stammt Schwester Anna aus einem kleinen Dorf in der Eifel, wo sie auf einem großen Hof mit vielen Tieren groß geworden ist. Sie hat Industriekaufmann gelernt, Kauffrau gab es damals noch nicht. „Als ich mich entschied, Nonne zu werden, war mein Papa sehr traurig“, erzählt sie. Ihm sei klar gewesen, dass diese Entscheidung einen Abschied bedeutete, da Kaufbeuren ein gutes Stück von der Eifel entfernt ist. „Meine übrige Familie meinte, wenn das dein Weg ist, dann begleiten wir dich darauf.“

    Nicht nur Andrea Steins Vater haderte manchmal mit ihrem Entschluss. „Es war schon schwer, auf Familie und Kinder zu verzichten“, meint die 53-Jährige. Wenn sie die Kinder ihres Bruders sieht, komme ihr manchmal der Gedanke: „Das könntest du jetzt auch haben.“ Dafür habe sie nun ein inniges Verhältnis zu ihnen.

    Einmal hat sie sich fast gewünscht, einen anderen Weg gegangen zu sein: „Bei der Taufe meiner ältesten Nichte. Ich wollte nicht ihre Taufpatin werden, weil ich nicht so oft zu Hause bin.“ Und manchmal sei es sehr schwierig gewesen, ihre Freiheit aufzugeben. Jetzt muss sie um Erlaubnis bitten oder jemanden informieren, wenn sie zum Beispiel auf eine Geburtstagsfeier möchte. Andere Erfahrungen seien wiederum sehr schön. In ihrem Ordensleben können die Schwestern einmal nach Assisi fahren und einmal eine größere Wallfahrt unternehmen. „Ich würde gerne nochmal nach Assisi“, gibt Schwester Anna zu. 1993 war sie zum ersten Mal da und beeindruckt von dem Ort, an dem der Heilige Franziskus gewirkt hat.

    Nach dem Noviziat hat Schwester Anna eine Erzieherausbildung an der Fachakademie in Kempten gemacht. 1993 wechselte sie ins Internat, 2004 wurde die Ordensfrau Internatsleiterin. Sie geht regelmäßig auf Fortbildungen, um zum Beispiel „mit den digitalen Medien auf dem neuesten Stand zu sein“.

    Wegen ihres straffen Zeitplans schafft die Internatsleiterin es oft nicht, die vorgegebenen Gottesdienste oder die Vesper zu besuchen. Stattdessen betet sie in der Kapelle, wenn ihr Tag es zulässt. Inzwischen teilt sie sich seit mehr als 33 Jahren Leben und Freizeit mit Frauen, die sich einzig aufgrund ihrer Berufung zusammengeschlossen haben. „Natürlich bleibt uns der Alltag nicht erspart“, sagt sie. „Wir haben genauso Schwierigkeiten und Streitigkeiten wie andere Menschen auch.“ Unter diesen Umständen sei es logisch, dass manche Mitschwestern einem sympathischer sind als andere, meint Schwester Anna. Ihre Ordensfamilie gebe ihr aber vor allem das, was auch Außenstehende sich von ihren Nächsten wünschen: „Halt, Geborgenheit und Zugehörigkeit.“

    Außerdem brauche sie Menschen, die mit ihr auf dem Weg der Berufung seien, meint Schwester Anna. Auch bei Durchhängern seien die Schwestern für einen da. „Ich weiß nicht, ob ich es alleine schaffen würde“, gibt die Internatsleiterin zu. Insgesamt leben 30 Schwestern im Crescentiakloster, jährlich treten ein bis zwei neue ein.

    Bei der Ordination mögen die Alltagskleider abgegeben werden, doch Alltagsgefühle können nicht säuberlich gefaltet abgelegt werden. „Man bleibt Frau und Mensch“, erklärt Schwester Anna. „Wenn man mal in der Stadt einen gutaussehenden Mann sieht, dann fällt der einem schon auf.“ Manchmal sähen die Leute eine Nonne ein bisschen als Neutrum, meint die 53-Jährige. Sie bekomme jetzt seltener Komplimente wie „du siehst heute aber gut aus“, wobei sie sich über die freue.

    Manchmal betrachtet Schwester Anna die Kirche kritisch. Mit Machtmissbrauch gegenüber Schutzbefohlenen und Korruption von Spendengeldern sei das Vertrauen in die Institution infrage gestellt worden. „Ich bin auch die Kirche“, sagt sie. „Das Zölibat würde ich jedem zur freien Entscheidung stellen“, sagt Schwester Anna ohne Zögern. Gleichzeitig versteht sie die Idee dahinter: Seine Zeit ganz den Mitmenschen und Gott widmen können, da man sich nicht um die Familie kümmern muss.

    Samstags hat Schwester Anna frei und nutzt die Zeit, wenn ihre Zöglinge daheim sind, um Bekannte zu besuchen oder „einfach mal auf der Coach zu liegen und Fernsehen zu schauen“. Sie sieht sich gerne „Wer wird Millionär?“ und „Der Bergdoktor“ an. Zu ihren Hobbys gehört die Pflege der Tiere und Musik. Ihr (weltliches) Lieblingslied ist „Mamma Mia“ von Abba, ansonsten hört sie gerne Radio. Wenn sie mal eine CD möchte, kann sie die von den 45 Euro, welche sie pro Jahr bekommt, kaufen. Ein Gehalt bekommt Schwester Anna nicht. Die Grundversorgung wie Kleidung oder Hygieneartikel übernimmt dafür das Kloster. Wie normale Arbeitnehmer hat auch Schwester Anna Urlaub. Vier Wochen im Jahr. „Da fahre ich meistens nach Hause zu meiner Familie“, erzählt die Ordensfrau. An sich ist sie mit ihrer Berufswahl sehr zufrieden. „Nur manchmal würde ich gerne ausschlafen“, gibt sie zu. Jeden Morgen ist die Internatsleiterin vor sieben Uhr auf den Beinen.

    Wie auch heute. Nach dem Longieren kehren Betreuerin und Schülerinnen mit den Ponys zum Stall zurück. Vor dem Mittagsunterricht dürfen die Schülerinnen der Ordensfrau helfen, die Ponys stallfertig zu machen. Hufe putzen, striegeln, ein Leckerli und sie sind fertig und gehen. Schwester Anna wirft nochmal einen Blick in den Stall – die Tiere sind ruhig, alles ist in Ordnung. Jetzt geht sie zum Kaffeetrinken mit den Schwestern und Erzieherinnen. Da muss sie sich mal 20 Minuten um nichts kümmern.

    Ein Video finden Sie auf www.allgaeu.life

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