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„Nicht allein auf weiter Flur“

Oberallgäu/Kempten

„Nicht allein auf weiter Flur“

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    Hörgeräte Zengerle und Riederer
    Hörgeräte Zengerle und Riederer Foto: Ralf Lienert

    Margrit stand im Geschäft, als plötzlich ein Lastwagen in unmittelbarer Nähe seinen Motor aufheulen ließ. Doch das hörte nur sie. Die 64-jährige Verkäuferin aus Kempten hatte einen Hörsturz erlitten, gekoppelt mit einem Tinnitus. Margrit war von jetzt auf gleich orientierungslos, konnte Geräusche nicht richtig zuordnen: „Ich wusste nicht, in welcher Ecke das Telefon klingelt.“ Gleich nach der Arbeit ging sie zu einem HNO-Arzt, dieser schickte sie umgehend ins Krankenhaus. Dort bleib sie eine Woche, bekam Infusionen. Das war 1997.

    Ihr Gehör ist wieder „super gut“, den Lastwagen hört sie nicht mehr, aber etwas ist geblieben: ein lautes Pfeifen. „Ein schriller, hoher Pfeifton, vier- bis fünffach polyphon“, beschreibt sie die Ohrgeräusche. Aber sie hat gelernt, damit umzugehen. Dabei hat ihr auch der „Tinnitus-Gesprächskreis“ in Kempten geholfen. Die Gruppe gibt es erst seit etwa einem Jahr: Im Selbsthilfe-Treffpunkt am St.-Mang-Platz in Kempten kommen Betroffene einmal im Monat zusammen, tauschen sich aus, geben sich praktische Hilfestellungen. Margrit: „Es ist schön zu wissen, dass ich nicht allein auf weiter Flur bin.“ Andere gesunde Menschen könnten die Beschwerden nicht nachvollziehen: „Das ist ganz schwer zu vermitteln.“

    „Der Erfahrungsaustausch“, sagt sie, „steht im Vordergrund. Wir sind keine seelische Müllabfuhr.“ So haben einige Teilnehmer einen sogenannten Noiser ausprobiert: eine Art Hörgerät, das einen Zusatzklang ins Ohr sendet, um vom Tinnitus abzulenken. Aber das Gerät sei relativ teuer und der Erfolg nur mäßig. Andere schwören auf Akupunktur: „Wenn ich es gar nicht mehr aushalte, dann ist das noch eine Möglichkeit“, so Margrit. Auch eine Spritze ins Kiefergelenk könne die Symptome verbessern. Oder der Besuch bei einem Physiotherapeuten, der Nacken und Kiefer behandelt.

    Ganz wichtig, sagt Margrit, ist es, sich abzulenken. Das gelingt ihr gut bei der Arbeit, auf ihren zahlreichen Reisen rund um die Welt, aber auch bei ihrem Hobby, dem Chorgesang. Sie ist Mitglied im Kirchenchor St. Lorenz, im Kemptner Kammerchor und im Singkreis München. „Das geht prima, ich habe keine Ohrgeräusche, ich kann mich gut entspannen.“ Das Schlimmste, fügt sie hinzu, sei ein leiser Raum. Und ihr hilft eine gesunde Portion Humor: „Andere haben Hunde, ich habe den Tinnitus.“ Oder: „Das ist, als wenn der Nachbar Trompete übt. Man muss sich damit arrangieren.“

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