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„Politisches System nicht leistungsfähig genug“

Zeller:

„Politisches System nicht leistungsfähig genug“

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    OB-Wahl
    OB-Wahl Foto: Brigitte Hefele-Beitlich

    Oft ist zu hören, dass Bürokratie und gestiegenes Anspruchsdenken der Bürger eine große Belastung für Bürgermeister oder Landräte seien. Ist es tatsächlich so?

    Das kann ich bestätigen. Der Gestaltungsspielraum für Kommunalpolitiker hat sich verringert und alles ist juristischer geworden. Nur ein Beispiel: Seit Jahren gibt es sogenannte Badeinseln auf vielen Gewässern. Laut eines Urteils müssen Gemeinden jetzt plötzlich einen Bademeister einstellen, der das Geschehen auf dieser schwimmenden Plattform beobachtet. Sowas führt zu Frust. Dazu kommt, dass der Respekt vor politischen Verantwortungsträgern deutlich zurückgegangen ist. Inzwischen gibt es ja sogar tätliche Angriffe.

    Sind diese Probleme auch der Grund dafür, dass sich Parteien immer schwerer tun, Kandidaten für kommunalpolitische Ämter zu finden?

    Ja, das sind Ursachen. Hinzu kommt, dass sich immer weniger Menschen für das Gemeinwohl interessieren. Und viele Leistungsträger, die auch für die Politik interessant wären, müssen in ihren Jobs sehr flexibel und mobil sein. Das verträgt sich nicht mit einem kommunalpolitischen Engagement.

    Wie kann das Amt eines Bürgermeisters oder Landrats wieder attraktiver werden?

    Wir müssten die Einheiten größer machen, dann würde die Aufgabe interessanter. Ich könnte mir zum Beispiel einen Landkreis Allgäu vorstellen. Derzeit gibt es in den Regionen zu viele Gremien, die bei Vorhaben zustimmen müssen. Und man muss Genehmigungsverfahren beschleunigen. Weil alles zu lange dauert, können Bürgermeister von ihnen gestartete Projekte häufig nicht mehr zu Ende bringen.

    Auch bei Kommunalwahlen geht die Wahlbeteiligung tendenziell zurück. Dabei geht es hier doch um Themen, mit denen die Menschen in ihrem täglichen Leben konfrontiert sind.

    Ich kann mir das nur so erklären, dass viele Menschen in ihre digitale Welt verschwunden sind. Man schaut aufs Smartphone und geht nicht mehr erhobenen Hauptes durch seine Stadt, um mitzubekommen, was dort passiert. Eine Rolle spielt auch der große Wohlstand, in dem viele Menschen leben. In schlechten Zeiten muss man sich vor Ort organisieren und zusammenstehen. Das kennen viele heute nicht einmal mehr vom Hörensagen. Und ein drittes Problem sehe ich darin, dass das politische System nicht leistungsfähig genug ist. Nur ein Beispiel: Man kann einfach nicht verstehen, dass zwischen Ulm und Oberstdorf immer noch Dieselloks unterwegs sind. Und warum gab es jahrzehntelange Diskussionen bis zur Elektrifizierung der Bahnstrecke München-Memmingen-Lindau?

    Das Interesse an Wahlen sinkt, aber es gibt eine steigende Zahl an Bürgerbegehren und -entscheiden.

    Die sozialen Medien sind eine wahre Mobilisierungsmaschine. Das Interesse an der parlamentarischen Demokratie sinkt, stattdessen bewegen wir uns auf eine Stimmungsdemokratie zu. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung.

    Man hat den Eindruck, dass sich Befürworter und Gegner eines Projekts immer schwerer tun, aufeinander zuzugehen und Kompromisse zu finden.

    Ja, das ist so. Es sinkt die Bereitschaft, einander zuzuhören und sich vertieft in einen Sachverhalt einzuarbeiten. Um beispielsweise einen Bebauungsplan zu verstehen, muss man sich viele Stunden lang damit beschäftigen. Viele Menschen sind es aber aus der digitalen Welt gewohnt, alles in gut verdaulichen Häppchen serviert zu bekommen.

    Manche Kommunalpolitiker reagieren frustriert darauf, dass ihnen wichtige Entscheidungen durch Bürgerentscheide abgenommen werden. Können Sie das nachvollziehen?

    Das kann ich schon verstehen. Doch es bringt nichts, Bürgerentscheide infrage zu stellen. Auch hier komme ich auf die Leistungsfähigkeit des politischen Systems zu sprechen. Häufig müssten Stadt- und Gemeinderäte einfach schneller zu Entscheidungen kommen.

    Interview: Helmut Kustermann

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