Angelika Köhler ist außer sich: „Es ist eine Unverschämtheit, wie sich die Leute hier benehmen.“ Damit meint sie die Leute, die am Köchlinweiher Enten und Schwäne füttern. Genauer gesagt die, die nicht einsehen, dass sie damit Schlimmes verursachen. Denn die Essensreste locken Ratten an. Das interessiere die Leute aber nicht im Geringsten, sagt sie. Viel schlimmer: Wenn sie die Leute darauf anspreche, würde sie von denen nur beleidigt werden. „Bitte nicht füttern“ heißt es in der Bürgerzeitung, die vor einer Rattenplage am Weiher warnt. Den Artikel haben die Bewohner eines angrenzenden Hauses laminiert und am Weiher an einen Baum gehängt. Und was ist passiert? „Einfach weggerissen hat ihn jemand.“ Für die Bewohner ist die Situation gesundheitsgefährdend.
Ratten gibt es am Köchlinweiher schon länger. Aber nun spitzt sich die Lage zu. Denn nun kommen die kleinen Nagetiere in das Wohnhaus, das an den Weiher angrenzt. Angelika Köhler und Axel Diederich, der auch in dem Haus lebt, sind wütend. Auf die Passanten und auf die Stadt, die ihrer Meinung nichts dagegen unternehme. „Man fühlt sich schon alleine gelassen“, sagt Diederich. Im zweiten Stock seien die Ratten in einer Wohnung spazieren gewesen, erzählt er. Im ersten Stock habe er auf dem Balkon ein totes Tier gefunden. Offensichtlich hätten sich die Ratten hinter der Fassade ihres Wohnhauses eingerichtet. Köhler und Diederich sorgen sich und fühlen sich eingeschränkt, weil sie ihre Balkone kaum nutzen können und Fenster und Türe immer schließen müssen. Gerade im Sommer werde das schon schlimm, sagt Köhler.
Viel schlimmer seien aber die Sorgen um die Gesundheit. Um ihre Eigene, aber noch mehr um die der Kinder auf dem nahe gelegenen Spielplatz. Im Internet findet man viele Horrorgeschichten. In einem Vorort von New Orleans ist 2009 ein drei Monate altes Mädchen offenbar von Ratten zu Tode gebissen worden. „Wenn einmal eine Ratte ein Kind anfällt“, sagt Diederich und schweigt. „Dann ist das Gejammer groß“, ergänzt Köhler den Satz. So weit wird es nach Schädlingsbekämpfer Thilo Fleschhut aber nicht kommen. „Die Ratten werden Kinder nicht anfallen,“ ist er sich sicher. Aber: Natürlich sind die Ratten gesundheitsgefährdend und können Krankheiten übertragen.
Deswegen ist Fleschhut im Einsatz. Rund um den Weiher hat er Fallen aufgestellt. Sie sollen die Ratten anlocken. Das klappt aber nicht, sagen alle Beteiligten. Fleschhut, die Hausbewohner und auch Patricia Herpich von der Stadt Lindau. Dort ist das Problem bekannt. „Ganze Hausstände werden am Weiher entsorgt“, sagt Herpich. Die Folge: Die Ratten haben schlicht keinen Hunger und ignorieren die Köder.
Regelmäßig sehen die Hausbewohner, dass Leute am Weiher Tiere füttern. Dabei bittet die Stadt auf einem Schild, keine Wasservögel zu füttern. Das sei auch nicht nötig, sagt Sonja Dölfel vom Landesbund für Vogelschutz in Bayern. Die Tiere finden in ihrer Umgebung genügend Nahrung. Tatsächlich schade falsches Füttern mehr, als es nützt. Brot enthält für Vögel zu viel Salz, zudem quillt es im Magen auf, erklärt sie. Das Füttern kann tödliche Folgen haben. Aber wie die Bewohner des Hauses seit Wochen leidlich erfahren: Es interessiert niemanden.
Eine Lösung wäre ein Fütterverbot: Das würde automatisch zu weniger Essensresten führen. Und dann auch zu weniger Ratten, ist sich Köhler sicher. In manchen Städten oder Gemeinde ist das Füttern von Enten und Schwänen eine Ordnungswidrigkeit – aber nicht in Lindau. Er gebe schlicht keine Verordnung dazu, erklärt Herpich. Die müsse der Stadtrat beschließen – das tut er aber derzeit nicht. Damit ist das Thema für die Stadt erledigt.
Ganz machtlos ist sie aber nicht. Es gibt noch das bayerische Wassergesetz und das Abfallrecht. Laut denen kann das „Einbringen von Stoffen in ein Gewässer“ – also etwa Brotreste – oder das absichtliche Liegenlassen von Essensresten als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Dann drohen bis zu 10 000 Euro Strafe. Das müsste verfolgt und protokolliert werden und wäre dann Aufgabe der Stadt.
Die lasse am Weiher regelmäßig putzen, sagt Herpich. Das stimmt: Bei zwei Besuchen sind dort keine Essensreste zu sehen. Das ändere sich aber immer schnell. „Kaum sind die Stadtmitarbeiter weg, kommen wieder Tierfreunde mit Essen“, sagt Köhler. Die Lösung der Stadt: große Schilder. Sie sollen die Leute informieren und sie vom Füttern abbringen. Die würden rund um den Weiher aufgestellt werden. Das habe die Stadt den Bewohnern versprochen, sagt Herpich.
Große Schilder und die Einsicht der Bürger – darauf hoffen Stadt und Hausbewohner. Doch von Einsicht merken Köhler und Diederich nichts. Im Gegenteil: „Die pampen einen richtig an, wenn man sie darauf anspricht“, sagt Diederich. Uneinsichtig seien die Leute. Der vorläufige Höhepunkt: Die Polizei musste kommen. Am Weiher sei es zwischen zwei Männern zum Streit gekommen. Ein Mann zerriss offenbar die Hinweiszettel, auf denen auf das Nichtfüttern von Vögeln hingewiesen wurde. Damit provozierte er einen Anwohner, es kam zum Streit.
Die Anwohner setzen Hoffnung in den neuen Oberbürgermeister oder die Oberbürgermeisterin. Oder die Tierfreunde denken über ihr Verhalten noch einmal nach. „Wenn nicht wegen uns, dann halt wegen der Tiere. Die leiden ja selbst darunter.“