„Zum Andenken an unsere Schulzeit!“ steht auf dem leicht vergilbten Papier auf einer Doppelseite eines in Leder gebundenen Poesiealbums. Die kleine Marianne schrieb im Mai 1948 den innigen Wunsch nach dem „Vergißmeinnicht“ in das Büchlein ihrer Schulfreundin. Zu sehen ist der Spruch, den das Mädchen mit Füllfederhalter und Tinte und in Schönschrift zu Papier gebracht hat, im ersten Allgäu-Schwäbischen Dorfschulmuseum in Erkheim-Daxberg. Und mit dem Album werden bei vielen Besuchern eigene Erinnerungen wach. „Viele erinnern sich über unsere Ausstellungsstücke an Details aus ihrer eigenen Schulzeit“, sagt Sieglinde Singer, die Besucher durch die Räume der ehemaligen Dorfschule führt und die jede Menge Geschichten kennt.
Die Leidenschaft für die Historie hat sie von ihrem Vater Georg Wolf in die Wiege gelegt bekommen, der als Heimatforscher das Museum gegründet hat. Eröffnet wurde es im September 1988. „Mein Vater stöberte schon immer gerne in Archiven und wollte das Alte erhalten“, sagt Singer. Das Schulhaus in Daxberg wurde im Jahr 1885 als Bildungseinrichtung gebaut. Johann Küber war der erste Schulmeister, der die Kinder aus acht Schuljahrgängen im Schulsaal des neuen Hauses unterrichtete und dafür ein Jahresgehalt von 600 Mark erhielt. „Der Schullehrer zählte mit dem Pfarrer und dem Bürgermeister zwar zu den angesehensten Männern im Dorf, reich war er aber nicht“, erklärt Singer.
Über eine Stiege geht es hinauf in ein Klassenzimmer, damals „Schulsaal“ genannt, wie es um das Jahr 1948/49 ausgesehen hat. „Viele Dinge sind Originale aus Daxberg. Weitere Exponate wie alte Zeugnisse, Hefte, Bücher und Griffelschachteln aus verschiedenen Epochen kamen im Laufe der Jahre hinzu, die zeigen wir im Dachboden“, sagt Singer. Bis zu 40 Kinder zwischen sechs und 14 Jahren wurden in der Zwergschule gleichzeitig unterrichtet. Während die einen für ihre Jahrgangsstufe Frontalunterricht bekamen, hatten die anderen eine Stillarbeit zu erledigen.
Die Kinder saßen jeweils zu zweit auf einer Holzbank, die mit einer geneigten Tischplatte verbunden war und Aussparungen für die wichtigsten Utensilien des Schulalltags wie das Tintenfass, die Schiefertafel und den Griffel hatte. Der Ranzen aus Leder wurde an Haken rechts und links an der Bank aufgehängt. Mädchen und Buben hatten schon damals unterschiedliche Ranzenmodelle. Bei den Mädchen gab es zusätzliche Riemen, eine kürzere Klappe und oft ein kleines Schloss. So konnten sie in späteren Jahren den Ranzen zur Handtasche umfunktionieren. „Unser ältestes Exemplar eines Schulranzens stammt aus dem Jahr 1875“, sagt Singer.
Ganz vorne vor dem erhöhten Lehrerpult gab es die Strafbank, die früher nur „Eselsbank“ genannt wurde. Hier saß derjenige, der den Unterricht störte, nicht richtig gerade auf der Bank saß oder schwätzte. Um Respekt einzufordern waren die damaligen Schulmeister oft nicht zimperlich, wie Singer zu berichten weiß. Die „Eselsbank“ oder in der Ecke stehen zählte damals noch zu den mildesten Strafen. Schlimme Lausbuben wurden mit dem Hosenspanner bestraft. Dabei spannte der Lehrer ihnen die Hosen stramm, bevor es mit dem Rohrstock Schläge auf den Allerwertesten gab. Die Mädchen bekamen Tatzen auf die linke Hand, damit sie mit der rechten Hand noch schreiben konnten.
Eine besonders harte Züchtigung im Schulalltag vergangener Tage war das Knien auf Holzscheiten. Besonders im Winter konnte der Lehrer sich dieser Strafe bedienen, denn Holz brauchte man damals, um den Raum zu heizen. Die einzige Wärmequelle im Klassenzimmer war der Kachelofen, der im Schulmuseum aus dem Jahr 1908 stammt. Auch die Kinder brachten Holz in die Schule mit und sammelten im Herbst Fichtenzapfen zum Heizen.
Neben dem lichtdurchfluteten Klassenraum liegt der Lehrmittelraum, in dem sich einige Schätze der früheren Pädagogik befinden. Altes Schaukartenmaterial wie auch eingelegte Tierpräparate und Setzkästen zum Lesen lernen findet man hier. Jeder Dorfschullehrer musste eine musikalische Begabung nachweisen und ein Instrument spielen, meistens leitete er auch den örtlichen Kirchenchor. Im Klassenzimmer findet man daher ein altes, funktionsfähiges Harmonium, dem Singer zur Demonstration gern ein paar Töne entlockt.
Überhaupt ist es im Dorfschulmuseum sehr lebendig und es darf auch selbst ausprobiert werden, wie Oma und Opa damals die Schulbank drückten. Man darf sich beispielsweise auf die Bänke setzen, um mit dem Griffel Buchstaben in Altdeutscher Schrift auf die Schiefertafel zu kratzen. „Ein heutiges Schulkind fragte mich einmal, ob das ein früheres Tablet sei“, erzählt Singer. Sie antwortete, wischen könne man auch darauf – jedoch nur, um dann neu zu beginnen.
Viele solcher Geschichten erlebt Sieglinde Singer bei ihren Führungen für Erwachsene und Kinder. Das Schulmuseum und seine Exponate wecken Erinnerungen bei den einen und führen zu großem Staunen bei den anderen.