Beziehungen, in denen die Rollen von Frau und Mann traditionell verteilt sind, gibt es noch immer. Sie hütet die Kinder und schmeißt den Haushalt, er bringt das Geld nach Hause. Beobachtet man Internet-Phänomene wie die „Tradwifes“ (deutsch: traditionelle Ehefrauen), kann man den Eindruck gewinnen, dass diese Beziehungskonstellationen wieder zunehmen. Dabei zelebrieren Frauen in Sozialen Medien, Hausfrau und ihrem Mann untergeben zu sein. Gleichzeitig steigt die Zahl der Femizide, also der Fälle, in denen Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind. Eine Studie, die das Bundeskriminalamt vor dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am Montag, 25. November, veröffentlicht hat, belegt das. Gibt es da einen Zusammenhang? Ist das Risiko häuslicher Gewalt in traditionellen Beziehungen höher? Expertinnen aus Kempten antworten.
Andrea Springborn berät in einer Fachstelle der Caritas Allgäu mittlerweile im fünften Jahr Täter und Täterinnen bei häuslicher Gewalt. Etwa 50 Klienten betreut sie pro Jahr. Inzwischen muss sie auch Anfragen ablehnen, weil sie sie nicht mehr bewältigen kann.
Abwertung ist Voraussetzung für häusliche Gewalt
Die Mehrheit ihrer Klienten sind Männer, zwischen 31 und 40 Jahre alt und - das fällt ihr auf - leben mit ihren Partnerinnen traditionelle Rollenbilder. Die Frauen arbeiten Teilzeit oder gar nicht und kümmern sich um Kinder und Haushalt - die Männer verdienen das Geld für die Familie. Das begegne ihr in allen sozialen Schichten.
Damit häusliche Gewalt überhaupt möglich wird, müsse der Täter seine Partnerin herabsetzen und abwerten. „Sonst könnten die Männer die Gewalt nicht ausüben“, erklärt Springborn. Es gehe darum, Macht und Kontrolle auszuüben. Zwar seien Beziehungen mit traditionellen Rollenbildern häufig von einer finanziellen Abhängigkeit der Frau und damit einem Machtgefälle geprägt. Ob der Mann das ausnutzt, stehe aber auf einem ganz anderen Blatt. Täter tun aber genau das.
Täter bauen Druck auf
„Wenn du mich verlässt, kriegst du keinen Cent“, sei ein ganz typischer Satz eines Täters, sagt Kriminalhauptkommissarin Tanja Molocher, Beauftragte der Polizei für Kriminalitätsopfer des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West. Auf diese Weise versuchten die Männer, ihre Partnerin an sich zu binden. Die Druckmittel können unterschiedlich sein - in jedem Fall ist es etwas, das der jeweiligen Frau wichtig ist.
Dem ersten Gewaltausbruch gehe immer ein schleichender Prozess der Erniedrigung voraus, erklärt Molocher. „Du bist nichts und du hast nichts.“ Ihrer Meinung nach ist dabei irrelevant, ob die Frau berufstätig ist oder Kinder hat.
Männer werden nicht durch ein Rollenbild zum Täter
Dieser Einschätzung schließen sich auch Judith Preising vom Frauenhaus und Petra von Sigriz von der Fachberatungsstelle bei sexualisierter Gewalt in Kempten an. Beide kennen Fälle, in denen berufstätige, finanziell unabhängige und gut vernetzte Frauen mit vielen Kontakten zuhause dennoch Gewalt erleben. Auch wenn ein Täter möglicherweise leichteres Spiel bei einer Partnerin habe, die Hausfrau ist, werde er nicht durch ein traditionelles Rollenbild zum Täter, sagt von Sigriz.
Molocher weiß, dass viele der Frauen, die häusliche Gewalt anzeigen, sagen würden, dass sie vor ihrer Beziehung gedacht haben: „Ich?! Häusliche Gewalt?! Niemals!“ Warum es dann trotzdem dazu kommt, erklärt Preising so: „Wenn man ständig hört, dass man nichts kann und ohne den Partner nichts ist, wird das zur Wahrheit.“
Biografiearbeit bei Täterberatung im Allgäu
Springborn betont, dass immer der Täter derjenige sei, der etwas ändern müsse. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie sei deshalb ein wichtiger Bestandteil des einjährigen Programms, das sie mit den Männern durchlaufe. Ein 29- und ein 32-Jähriger nehmen derzeit daran teil und haben sich bereit erklärt, schriftlich Fragen zu beantworten.
Beide schreiben, dass Ihnen eine gleichberechtigte Partnerschaft wichtig ist. Sie glauben nicht, dass ihr Rollenverständnis etwas mit ihren Gewaltausbrüchen zu tun hat. „Ich bin überzeugt, dass diese Wutausbrüche tiefere Wurzeln haben“, schreibt der 29-Jährige. „Für mich persönlich sind sie ein verzweifelter und gefährlicher Ausdruck meiner völligen Überforderung.“
Scham auch bei den Tätern
Ähnlich beschreibt es der 32-Jährige: „Die Ausbrüche waren mein eigenes Problem und in mir verankert.“ Er habe schlecht mit seiner Lebenssituation umgehen können und durch sein mangelndes Selbstbewusstsein habe sich dieses Gefühl noch verstärkt. Über den Moment nach einem Gewaltausbruch schreibt er: „Es ist einfach schrecklich, wenn man danach wieder klare Gedanken fasst. Man schämt sich zutiefst vor sich selbst. Der 29-Jährige wählt die gleichen Worte. Er habe sich „zutiefst geschämt“. Einen anderen Umgang mit Konflikten und Wut zu lernen, ist deshalb das Ziel der Männer.
Hier gibt es Hilfe
- Fachstelle Täter- und Täterinnenarbeit Caritas Allgäu: Andrea Springborn ist erreichbar unter Telefon 0176/16610377 oder per E-Mail an andrea.springborn@caritas-oa.de
- Frauenhaus Kempten, Telefon 0831/18018, E-Mail info@frauenhaus-kempten.de
- Fachberatungsstelle bei sexualisierter Gewalt Kempten, Telefon 0831/12 100, E-Mail fachberatungsstelle@awo-kempten.de
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