Gewalt gegen Frauen ist ein weltweites Problem, eine Form davon ist die Verstümmelung der weiblichen Genitalien. Zwar gab es Beschneidungen in der Vergangenheit auch in Europa - etwa zur Behandlung von „Hysterie“; doch ist diese Praxis heute vor allem in der afrikanischen Sahelzone, in arabischen und asiatischen sowie südamerikanischen Ländern als Tradition verbreitet. Durch Flucht und Asyl gelangen Betroffene nach Deutschland - wo sie endlich über das Verbrechen, das ihnen angetan wurde, sprechen können. In Kempten und im Oberallgäu haben Betroffene nun eine Selbsthilfegruppe gegründet. Anlaufstellen vernetzen sich, um besser helfen zu können.
„Wir Frauen müssen uns zusammenschließen und dürfen niemals aufgeben“, heißt es in dem Flyer der Gruppe „Jatto Musolou“. Der Name bedeutet „Starke Löwinnen“, denn stark müssen die Frauen sein. Was ihnen als Kinder angetan wurde, habe oft lebenslange Folgen. Viele von ihnen mussten zudem ihre eigenen Kinder in der Heimat zurücklassen: Sie leben versteckt, wenn die Familie sie entdeckt, droht ihnen das gleiche Schicksal, erzählt Isatou Jallow, die aus Gambia stammt. Solange sie selbst keine Aufenthaltserlaubnis erhält, kann sie ihre Tochter nicht zu sich holen.

Dr. Eiman Tahir ist Frauenärztin in München und als Kind nur durch Zufall einer Beschneidung entkommen. In Kempten nahm sie an einem Fachtag zum Thema Weibliche Genitalverstümmelung teil. Und erklärt: „Das ist Gewalt, die Frauen Frauen antun.“ Diese Frauen seien keine Ärztinnen, die Verstümmelung geschehe nicht im Geheimen, sondern als Familienfest. Unterschieden werden vier Schweregrade, bei denen unterschiedliche hochsensible Teile der Vulva herausgeschnitten, teils verätzt werden.
FGM/T, Weibliche Genitalverstümmelung, Beschneidung, halal-machen, Infibulation oder Sunna - es gibt viele Begriffe für dieses Verbrechen. Hilfe gibt es nun auch in Kempten (Allgäu)
Dabei entstehen häufig große Wunden, die beispielsweise mit Dornen zusammengesteckt werden, für Urin und Menstruationsblut bleibt nur eine strohhalmdünne Öffnung, sagt Dr. Tahir. Die Beine werden dann vier bis sechs Wochen lang zusammengebunden. Der Eingriff, den viele Mädchen nicht überleben, ist aber erst der Beginn des Leids: Dr. Tahir zufolge sind Betroffene zeitlebens geplagt von Folgen wie Entzündungen, Schmerzen und etwa Infektionen bis hin zur Unfruchtbarkeit.
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Entgegen häufiger Darstellungen handelt es sich nicht um eine islamische Praxis, sagt Dr. Tahir. Auch in vorwiegend christlichen Ländern ist sie verbreitet, archäologische Funde zeigen Betroffene aus der Zeit vor der Entstehung des Islams, heißt es etwa von der „Deutschen Stiftung Weltbevölkerung“.
„Was wir als Thema mitgebracht haben, ist für Deutschland nicht einfach“, sagt in Kempten Fadumo Korn. Für ihr Engagement gegen die Beschneidung von Frauen hat die in München lebende Frau unter anderem die Bundesverdienstmedaille erhalten. Sie spricht von „kulturell organisierter Gewalt an Kindern“. Etwa 100.000 betroffene Frauen leben laut Kemptens Gleichstellungsbeauftragter Katharina Simon mittlerweile in Deutschland.
FGM/C ist die international übliche Abkürzung für Weibliche Genitalverstümmelung
Verbände, Institutionen und Berufsgruppen, die in der Region mit dem Thema konfrontiert sind, haben sich deshalb zu einem Fachtag in Kempten getroffen. Um zu lernen und sich zu vernetzen. Etwa Hebamme Mira Frick sagt: „Im Kreissaal kommt bei den betroffenen Frauen das Trauma wieder hoch. Während der Geburt können wir nur Schadensbegrenzung betreiben.“ Danach sei jedoch eine Aufarbeitung und Hilfe nötig. Genau hierfür sei ein starkes Netzwerk der Akteurinnen wichtig.
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Sira Pelosini, Psychologin vom Diakonie-Projekt TAFF (Therapeutische Angebote für Flüchtlinge), erzählt von massiven psychischen Auswirkungen auf Betroffene, von Traumata, Flashbacks, Schuld, Scham und Angst. Laut Katharina Grimm will Profamilia in Kempten Anlaufstelle für Betroffene sein und hierfür Fachwissen vor Ort entwickeln, um diesen Menschen gerechter zu werden. Das Netzwerk soll ermöglichen, zumindest an Expertinnen und Experten weiterzuleiten.
Hilfe in Kempten bei Weiblicher Genitalverstümmelung
Erste Erfolge zeigen sich während des Podiumsgesprächs: Als eine Beraterin von Sprachschwierigkeiten berichtet, verweist eine Besucherin auf Dolmetscher der Diakonie-„Sprachbrücke“. Eine andere Besucherin kennt eine Ärztin in der Region, die Gutachten für Asylverfahren erstellt. Beraterinnen berichten von Unsicherheit, wie das Thema angesprochen werden kann. „Schweigen ist der größte Fehler - reden Sie wie eine Bekloppte, das hilft“, rät da Fadumo Korn. Isatou Jallow von der Selbsthilfegruppe sagt: „Zuhause durften wir nicht darüber reden - hier hört man uns zu. Ich bin sehr glücklich.“
Kontakt: Selbsthilfegruppe „Jatto Musolou“ über Katrin Layh 0163/2170690; Profamilia Kempten 0831/9607740 kempten@profamilia.de; TAFF Kempten sira.pelosini@diakonie-allgaeu.de, 0831/990 987 71.
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