Was bedeutet Heimat – und was, wenn man sie verliert? Mit dieser Frage setzen sich ab dem 17. Juli gleich drei Ausstellungen in Marktoberdorf auseinander. Anlass ist das Gedenken an die Vertreibung von Millionen Deutschen vor 80 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg – ein Kapitel der Geschichte, das auch in Marktoberdorf sichtbare Spuren hinterlassen hat. Die Ausstellungen, die bis 3. August gemeinsam im Rathaussaal gezeigt werden, nähern sich dem Thema auf ganz unterschiedliche Weise: mit persönlichen Schicksalen, historischen Bildern und künstlerischen Arbeiten – und immer mit dem Blick darauf, was Heimat war, ist und sein kann.
Wanderausstellung kommt nach Marktoberdorf
Die treibende Kraft hinter dem umfangreichen Projekt ist Stadtarchivarin Josephine Berger. In den vergangenen Wochen und Monaten hat sie viel Zeit und Energie in die Ausstellungen investiert. Ausgangspunkt war eine Anfrage von Kirsten Langenwalder, Leiterin des Riesengebirgsmuseums und Mitglied des Heimatkreises Hohenelbe. Langenwalder fragte an, ob die Wanderausstellung „(Nicht) gekommen, um zu bleiben“ des Heimatkreises Braunau/Sudetenland in Marktoberdorf gezeigt werden könne. Diese Ausstellung beleuchtet das Schicksal der Vertriebenen aus dem Braunauer Land, die nach Kriegsende in Forchheim eine neue Heimat fanden.
Für Berger war klar: Auch die Geschichte Marktoberdorfs muss sichtbar werden. Auch dort kamen im Landkreis allein 1946 über 11.000 Heimatvertriebe an - jedoch aus Vrchlabí (deutsch Hohenelbe). „Wo lassen sich Parallelen ziehen?“, fragte sie sich – und plante zunächst sieben regionale Tafeln, die in die Braunauer Ausstellung integriert werden sollten. Daraus wurde mehr. Wer Berger kennt, weiß, dass sie keine halben Sachen macht. Sie sichtete Akten, recherchierte und suchte Zeitzeugenberichte. Am Ende entstand eine eigenständige Ausstellung mit 27 Schautafeln: „Heimat ... verloren und gefunden“. Konzipiert wurde sie so, dass sie auch nach Tschechien verliehen werden kann – mit dem Ziel, einen möglichst objektiven, ausgewogenen Blick auf ein emotional aufgeladenes Kapitel der europäischen Nachkriegsgeschichte zu ermöglichen.
So spannt Berger einen Bogen von der Geschichte des Riesengebirges, über den Zweiten Weltkrieg, mit dem für viele Tschechen eine Zeit der Unterdrückung und der Vertreibung begann, bis hin zur Vertreibung der Deutschen ab 1945. Zu ihnen gehörte auch Werner Gottstein. Er war 15 Jahre alt, als er mit seinen Eltern im Rahmen der „organisierten Vertreibung“ aus seiner Heimat zwangsumgesiedelt wurde. „Ein Personenzug brachte uns nach Markt Oberdorf. Im Schlossgebäude erwarteten uns noch einige Tage Lagerleben bei Gemeinschaftsverpflegung und Stockbetten, ehe die Odyssee am 6. Mai 1946 in Leuterschach zu Ende ging“, schildert Gottstein.
Marktoberdorfer Archivarin: Es herrschte Misstrauen
Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte in Marktoberdorf ohnehin schon Armut. In dieser Situation mussten die Oberdorfer zusätzliche Menschen aufnehmen - Menschen, die mit Nichts und einem fremden Dialekt kamen. „Es herrschten Misstrauen und Vorurteile“, sagt Berger. Erst mit dem Wirtschaftsaufschwung in den 50er-Jahren änderte sich die Stimmung. Berger erzählt vom Textilhersteller Paul R. Walter, der 1946 mit geliehenen Nähmaschinen in einer Garage in der Meichelbeckstraße in Marktoberdorf anfing. „1949 stellte er einen Bauantrag für den Neubau eines Firmengeländes mit mehreren Produktionshallen. 500 Leute - hauptsächlich Heimatvertrieben - haben dort Arbeit gefunden.“
Ergänzt wird das Ausstellungsprogramm durch die Schau „Heimat in Bildern“ des Pfrontener Künstlers Rudolf Schwiersch (1934–2025). Mit seiner Familie aus Oberschlesien vertrieben, fand Schwiersch im Ostallgäu eine neue Heimat. Besonders beeindruckte ihn die Illasschlucht, ein spektakuläres Naturdenkmal des unverbauten Lechs – das 1954 im Forggensee verschwand. Bereits als 13-Jähriger begann Schwiersch, die Schlucht mit Aquarellen festzuhalten. Seine Bilder – technisch präzise, topografisch genau – erinnern an einen Ort, der auch emotional zur Heimat wurde. Die Ausstellung wird ergänzt durch historische Fotografien von Dr. Heinz Fischer sowie aktuelle fotografische Perspektiven von Thomas Häring, die Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbinden.
Lob im Kulturausschuss
Im Kulturausschuss stellte Berger das umfassende Programm vor – und stieß auf große Anerkennung. Dr. Andrea Weinhart (Freie Wähler) zeigte sich beeindruckt: Es sei einfach toll, was Berger auf die Beine gestellt hat.
Die Ausstellungen werden am Mittwoch, 16. Juli, um 18 Uhr im Rathaussaal eröffnet. Alle Interessierten sind eingeladen. Anmeldung bitte unter 08342 4008-81 oder stadtmuseum@marktoberdorf.de Die Ausstellungen sind bis 3. August zu den Öffnungszeiten zu sehen: dienstags, donnerstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr.
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