77 Jahre nach dem Tod von Alois Roth im KZ Mauthausen hat ein Festakt an dem Ort stattgefunden, an dem der als „asozial“ abgestempelte Obergünzburger vor seiner Verhaftung gelebt hatte: Am Bichtholzer Bach und damit damals ein gutes Stück außerhalb des Marktfleckens, stand damals ein ausrangierter Eisenbahnwaggon, der ihm zur Unterkunft diente. Eine Kiesfläche markiert heute den Stellplatz des Waggons. In den Abhang davor wurde ein kleines Amphitheater gebaut, das den Schulen als Klassenzimmer im Grünen dient.
Was die Denkstätte in Obergünzburg mit der Demokratie heute zu tun hat
Bürgermeister Lars Leveringhaus präzisierte in seinem Grußwort, worum es den Initiatoren des Projekts und der Gemeinde dabei geht: „Das ist kein Denkmal und keine Gedenkstätte, sondern eine Denk-Stätte!“ Es sei ein kulturelles Projekt, sagte er, bei dem es um die Lokalgeschichte, darüber hinaus aber auch um die Erinnerungskultur und das Demokratiebewusstsein gehe. Zusätzlich wird das Outdoor-Klassenzimmer auch für die Vermittlung ökologischer Inhalte genutzt.
Bezirkstagspräsident Martin Sailer zitierte den spanischen Philosophen George Santayana: „Wer die Geschichte nicht erinnert, ist verurteilt, sie neu zu durchleben.“ Dass Demokratie, Freiheit und Menschenrechte nach wie vor nicht selbstverständlich seien, erlebten wir derzeit ganz konkret, sagte er. Deswegen gelte es, wachsam zu bleiben, diese Werte jungen Menschen „einzupflanzen“ und sie zu pflegen. „Dieser Ort kann ein segensreicher Ort sein,“ schloss er.
So berichtet Autor Robert Domes über den Ermordeten
Heiko Gansloser vertrat als Geschäftsführer des Regionalentwicklungsvereins bergaufland Ostallgäu die Landrätin Maria Rita Zinnecker. Er lobte die Denkstätte als innovativen Ansatz, der landkreisweit einzigartig sei, und erinnerte sich an die Anfänge, als Wilhelm Weinbrenner von der Arbeitsgemeinschaft Lokalgeschichte das Konzept erstmals vorstellte: „Das Gremium war sofort überzeugt von dieser Projektidee.“ Daher wurde die Umsetzung auch durch das Leader-Programm gefördert: 25.000 Euro Zuschuss gab es für das insgesamt 60.000 Euro teure Projekt.
Wilhelm Weinbrenner dankte allen Beteiligten für ihre Unterstützung und berichtete, dass im Sommer 2022 bereits sieben Schulklassen das Klassenzimmer im Grünen genutzt haben. Sie hatten zunächst das Buch „Waggon vierter Klasse“ des renommierten Autoren Robert Domes aus Irsee gelesen. Darin wird das Schicksal von Alois Roth erzählt und mit der Geschichte des Flüchtlingsmädchens Eva Minde verwoben, das in der Nachkriegszeit mit seiner Familie im Eisenbahnwaggon am Bichtholzer Bach gelebt hat. An der DenkStätte schilderte Weinbrenner den Schülern, was die Arbeitsgemeinschaft Lokalgeschichte herausgefunden hatte.
Warum die Biografien von Roth und Minde beispielhaft sind
„Dieser Ort ist Zeuge von Exklusion und Inklusion geworden“, fasste er zusammen, „er hält aber eine viel größere Erinnerung wach.“ Die Biografien von Alois Roth und Eva Minde seien exemplarisch, eigneten sich aber dazu, einen Bezug zu Gegenwart und Zukunft herzustellen, sagte er und befand: Die westliche, liberale Demokratie mit ihrer zutiefst humanen Haltung müsse sich gegen Illiberalität und Autoritarismus wehren.
Ähnlich äußerte sich der evangelische Pfarrer Klaus Dinkel, der gemeinsam mit dem katholischen Ruhestandsgeistlichen Georg Albrecht die DenkStätte segnete: „Wer die Geschichte nicht im Kopf hat, hat kein Fundament für das, was vor uns liegt.“ Sondern es bestehe die Gefahr, die Fehler von früher zu wiederholen. Um andere Menschen, seien sie „Fremde“ oder auch nur Unangepasste, nicht auszugrenzen, sondern in Freiheit und Respekt miteinander zu leben, brauche es menschliche Anstrengung und Gottes Segen, meinte er.
Dass das Nach-Denken über die Lokalgeschichte und die beiden exemplarischen Schicksale von Alois Roth und Eva Minde bei den Jugendlichen auf sehr fruchtbaren Boden gefallen ist, zeigten ein Rollenspiel, das Schüler der Mittelschulklasse 9 M b aufführten, und zwei reflektierende Texte, die von den Realschul-Zehntklässlern Matthias Göppel und Nowali Seidel geschrieben und vorgetragen wurden. „Ihr seid nicht vergessen!“ lautet ihr Versprechen. Die DenkStätte erweist sich damit jetzt schon als segensreicher Ort.
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