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Sexueller Missbrauch katholische Kirche - Interview mit Oberministrant aus Ottobeuren

"Glaube kann auch mal anstrengend sein"

Kann man nach Missbrauchsskandal noch glauben? Das sagt ein Oberministrant aus Ottobeuren

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    Benjamin Nägele ist Oberministrant in der Pfarreiengemeinschaft Ottobeuren. Das Bild ist in der Basilika Ottobeuren entstanden.
    Benjamin Nägele ist Oberministrant in der Pfarreiengemeinschaft Ottobeuren. Das Bild ist in der Basilika Ottobeuren entstanden. Foto: Andreas Berger

    Wie empfinden Katholiken, die sich seit Jahren ehrenamtlich in der Kirche engagieren, die schlimmen Nachrichten um Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche? Unter anderem das Missbrauchsgutachten des Bistums München und Freising hat für eine neuerliche Erschütterung gesorgt. Darin heißt es, dass es zwischen 1945 und 2019 mindestens 497 Missbrauchsopfer und 235 mutmaßliche Täter gegeben haben soll. Wir haben über dieses Thema mit Benjamin Nägele gesprochen. Er ist Oberministrant in Ottobeuren und seit Jahren engagierter Katholik.

    Sie engagieren sich seit etlichen Jahren für die katholische Kirche. Wie ist es für Sie, wenn Sie von den Missbrauchsfällen in der Kirche hören?

    Benjamin Nägele: Hinter jedem Missbrauchsfall steht ein Mensch, dem großes Leid zugefügt wurde. Das ist nicht zu entschuldigen. Es macht mich traurig, dass es Priester gibt, die einen Missbrauch begehen. Das muss klar angesprochen und bekämpft werden. Sexueller Missbrauch ist eine Dimension, die darf in der Kirche nicht passieren, die darf nirgendwo passieren.

    Sie erfüllen die Aufgabe des Oberministranten mit hohem Engagement und großer Freude. Vergeht Ihnen die Freude mit Blick auf die Geschehnisse und Vorwürfe beispielsweise gegen das Bistum München und Freising?

    Nägele: Dadurch, dass ich mit solch großer Überzeugung glaube, vergeht mir die Freude an meinem Amt nicht. Und ich sehe auch die Diakone, Priester, Bischöfe, Kardinäle, die damit nichts zu tun haben, die Seelsorger für die Menschen sind. Es gibt eben nicht nur Priester, die Missbrauch begehen, sondern auch und vor allem solche, die ihre Arbeit so machen, wie es die Lehre der Kirche vorgibt – aus tiefer Überzeugung heraus, die jeder Priester haben sollte. Diese Glaubensüberzeugten Priester geben mir durch ihr Tun Freude an der Kirche und für mein Amt als Oberministrant.

    Haben Sie in den vergangenen Wochen mal daran gedacht, das Amt des Oberministranten hinzuwerfen?

    Nägele: Das habe ich nicht. Meine Freude an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist so groß, dass ich es mir im Moment nicht vorstellen könnte, das an den Nagel zu hängen. Die Vorwürfe betreffen einzelne Personen, die der Kirche schaden. Aber meinem Glauben schaden sie nicht. Ich werde die Fackel des Glaubens weitertragen.

    Derzeit treten vermehrt Menschen aus der katholischen Kirche aus: Was möchten Sie denen sagen?

    Nägele: Die Kirche gibt den Menschen viel. Sie gibt in Lebenskrisen Halt. Sie ist Träger von Kindertagesstätten und anderer Einrichtungen. Sie möchte für die Menschen da sein, sie zu einer Gemeinschaft zusammenführen. Kirche macht die Glaubenserfahrung mit Jesus Christus erst richtig möglich. Und darauf sollten sich die Menschen wieder besinnen: Der Kern der Kirche ist Jesus Christus, der uns so sehr liebt, dass er für uns gestorben und auferstanden ist und uns somit eine Hoffnung gibt auf ein Leben nach dem Tod. Menschen, die aus der Kirche austreten, drehen unserem Herrn den Rücken zu, was sehr schade ist.

    Und haben Sie eine Botschaft an Menschen, die durch die aktuellen Geschehnisse an ihrem Glauben zweifeln?

    Nägele: Verliert den Glauben an Jesus nicht. Glaube kann auch mal anstrengend sein. Es gibt im Leben schwere Situationen, die man durchstehen muss. Und so gibt es auch im Glauben schwere Phasen, die man überwinden muss. Das Wichtigste für uns Christen ist der Kern der Kirche: Jesus Christus. Er hat uns die Nächstenliebe und die Barmherzigkeit vorgelebt. Wenn man das nicht vergisst und ihn nicht aus den Augen verliert, immer wieder versucht, ihn noch besser kennenzulernen, etwa durch die Sakramente sowie durch das tägliche Gebet, dann wächst auch der Glaube. Und es geht ja in der Hinsicht auch um einen selber: Um mein katholisches Leben, um mein eigenes Seelenheil, denn Jesus hat es selber gesagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Mein persönliches Motto trifft hier gut zu: Wer glaubt, ist nie allein.

    Wie sollte die katholische Kirche vorgehen, um sexuellen Missbrauch künftig zu verhindern?

    Nägele: Durch strukturelle Veränderungen. Damit meine ich aber nicht, die Lehre der Kirche zu verändern. Es muss möglich sein, Missbrauch früh zu erkennen, betroffene Priester strikt aus dem Verkehr zu ziehen. Gleichzeitig muss dafür gesorgt werden, dass solche Fälle nicht vertuscht werden können. Und die Kirche zeigt die Bereitschaft zur Aufklärung. So hat etwa das Bistum München und Freising das Missbrauchsgutachten selbst in Auftrag gegeben. Man sieht, dass die Kirche reinen Tisch machen möchte.

    Die Missbrauchsfälle im Bistum München und Freising reichen laut Gutachten von 1945 bis 2019. In dieser Zeit war auch der emeritierte Papst Joseph Ratzinger dort Erzbischof - nun steht er in der Kritik. Hätte er nicht genug Möglichkeiten gehabt, gegen Missbrauch vorzugehen?

    Nägele: Das Leid der Opfer erfüllt ihn mit Scham und Schmerz, hat er vor kurzem gesagt: Aus diesem Satz lese ich schon heraus, dass es ihm im Herzen wehtut, dass es sexuellen Missbrauch in seiner Kirche gegeben hat. Gerade, weil er versucht hat, dagegen anzugehen - schon vor seiner Zeit als Papst. Er hat auch die Begegnung mit Missbrauchsopfern gesucht. Ihm war immer wichtig, dass es bekämpft wird. Als Präfekt der Glaubenskongregation in Rom hat er alle Bischöfe der Weltkirche dazu verpflichtet, Verdachtsfälle den Behörden zu melden. Darum erstaunen mich die Vorwürfe gegen ihn wirklich. Er hat in seiner Zeit in Rom versucht, innerkirchlich sexuellen Missbrauch aufzudecken und aufzuarbeiten.

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