Es ist Tag fünf des politischen Erdbebens, das die Weichen in Österreich neu stellt – bald könnte in der Alpenrepublik zum ersten Mal eine extrem rechte Partei den Kanzler stellen. FPÖ-Chef Herbert Kickl, der Wahlgewinner vom vergangenen September, den die Noch-Kanzlerpartei ÖVP über Monate hinweg mehrmals und definitiv als möglichen neuen Kanzler ausgeschlossen hatte, trat am Dienstagnachmittag vor die Presse. Konkrete politische Ansagen waren von ihm nicht zu hören. Stattdessen richtete sich Kickls halbstündigen Rede – Fragen von Journalisten wollte er im Anschluss keine beantworten – einerseits an die Österreicher, anderseits vor allem an seinen künftigen Verhandlungspartner, die ÖVP. Mit einer Mischung aus Drohungen und Forderungen an die Konservativen und ihre neue, interimistische Führung unterstrich Kickl seine nunmehr dominante Verhandlungsmacht.
Er hätte es sich „leicht machen“ und angesichts stetig steigender Umfragen einfach in Neuwahlen gehen können: „Ich traue mir und der FPÖ zu, diese Umfrageergebnisse in Stimmen und Prozenten zu materialisieren. Aber das wäre der parteitaktische Zugang gewesen“, sagte Kickl. Ausführlich sprach er über das nicht mehr bestehende Vertrauen sowohl der Bevölkerung als auch der FPÖ und ihm selbst in die ÖVP. Dutzende Nachrichten hätten ihn in den vergangenen Stunden erreicht, die ihn vor einer Zusammenarbeit mit der ÖVP gewarnt hätten, so der FPÖ-Chef. „Die haben das Ziel, euch ausrutschen zu lassen“, zitierte Kickl daraus und spielte auf die 180-Grad-Wende der ÖVP in Richtung FPÖ an: „Eine neue verbale Positionierung mir gegenüber reicht dafür nicht aus.“ Für ihn sei klar: „Keine Spielchen. Keine Sabotage. Wenn das nicht gewährleistet ist, dann war’s dann auch schon wieder. Dann gibt eben Neuwahlen. Wir sind dafür gerüstet.“
Kickl bereitet die Österreicher auf Einsparungen vor
Kickl forderte von der ÖVP auch Klarheit, was das Personal angeht. Es brauche „einen Partner, der geschlossen und homogen und stabil ist. Mit konstanten Ansprechpartnern“. Er gebe der ÖVP nun einen „Vertrauensvorschuss“, er wolle nach „ehrlichen Verhandlungen“ dann auch „ehrlich regieren“, sagte Kickl und sprach mehrmals das milliardenschwere Budgetdefizit („Schuldenflächenbrand“) an, das er als möglicher neuer Kanzler zuallererst beseitigen müsse. Kickl bereitete so das Publikum auf die bevorstehenden massiven Einsparungen vor – Österreich droht Ende Januar die Einleitung eines EU-Defizit-Verfahrens, sollte bis dorthin in Brüssel kein entsprechender Konsolidierungsplan aus Wien vorliegen. Er wolle „echte Veränderung für einen Wiederaufbau und den Beginn einer neuen Ära“.
Nach Kickls erster Rede stellen sich in Österreich zahlreiche Fragen – vor allem nach der internationalen Positionierung einer möglichen, von Kickl geführten FPÖ-ÖVP-Regierung. Kickls Partei pflegt ein Naheverhältnis zu Russland, sprach sich mehrmals gegen weitere Ukraine-Hilfen aus, diese wiederum trug die ÖVP in den vergangenen Jahren im Konsens mit anderen konservativen Parteien auf EU-Ebene mit. Als Kanzler würde Kickl freilich im EU-Rat auch ohne Rücksicht auf die Wünsche der ÖVP seine europapolitischen Vorstellungen durchsetzen können. Weiters stellt die FPÖ auch „völkerrechtliche Verträge“ infrage – gemeint ist damit wohl auch die Asylgesetzgebung. Zentrale Ressorts, wie das Innenministerium, das Kickl unter Ex-ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz geleitet hatte, und das Justizministerium dürften ebenfalls wichtige Verhandlungsgegenstände zwischen der extremen Rechten und der ÖVP darstellen.
Gemischte Gefühle bei den Wählern
In Österreich selbst wird die politische Entwicklung mit gemischten Gefühlen betrachtet. „Ich habe Angst vor dem, was da auf uns zukommt“, bekennt Rentnerin Charlotte Schweiger beim Dreikönigsbaden in Reutte (Tirol). Die 71-Jährige sorgt sich um Renommee und Wirtschaft ihres Heimatlandes, sollte Kickl tatsächlich Kanzler werden: „Er wird uns international isolieren. Ihm fehlen jegliche Umgangsformen.“ Anders klingt es bei der 35-jährigen Nicole. „Das ist Demokratie. Das muss man akzeptieren. Und es ist sicher auch nicht alles schlecht, was von der FPÖ kommt“, sagt sie. FPÖ hat bei der Parlamentswahl in Reutte viel Zuspruch erfahren. Sie war mit 27,5 Prozent der Stimmen erstmals stärkste Kraft.
![FPÖ-Chef Herbert Kickl scheint drei Monate nach der Parlamentswahl auf dem Weg zur Kanzlerschaft FPÖ-Chef Herbert Kickl scheint drei Monate nach der Parlamentswahl auf dem Weg zur Kanzlerschaft](https://images.mgpd.de/img/104411821/crop/c1_1-w100/810563317/1860294539/gespraeche-ueber-regierungsbildung-in-oesterreich.jpg)
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden