Der geplante Ausbau eines Kraftwerks sorgt in Tirol für kontroverse Diskussionen. Im Zentrum der Debatte steht ein Projekt der Tiroler Wasserkraft AG (TIWAG), das eine Erweiterung des Wasserkraftwerks Kaunertal vorsieht. Der WWF Österreich fordert nun einen Stopp des Ausbaus und eine Prüfung des Bestands rund um das aktuelle Kraftwerk. Der gemeinnützige Verein hat eine Studie veröffentlicht, wonach dem Tiroler Tal durch das Kraftwerk eine Flutkatastrophe droht. Die TIWAG wehrt sich – und aus der Politik gibt es eine klare Ansage.
Flutkatastrophe in Tirol? Das steht in der WWF-Studie
Für das Gutachten, das der WWF nun präsentierte, zeigt sich Wilfried Haeberli verantwortlich. Der emeritierte Geomorphologen der Universität Zürich thematisiert in seiner Studie, die vom WWF Österreich beauftragt wurde, sowohl den Bestand des Kraftwerks Kaunertal als auch die Pläne für den Ausbau. Haeberli konzentriert sich in seiner Argumentation auf zwei wesentliche Entwicklungen, die durch den Klimawandel hervorgerufen werden sollen. Er kommt zu dem Schluss: Der Ausbau sollte gestoppt und das Wasserkraftwerk, wie es sich derzeit darstellt, geprüft werden.
Haeberli glaubt, dass der Gletscherschwund am Gepatschferner bis zum Jahr 2025 mehr als 50 Prozent beträgt. Die Folgen: Der Starkregen könnte nicht mehr gut abfließen und die Firnflächen keinen Rückhalt mehr bieten. Für Mitte des Jahrhunderts erwartet der Geomorphologe die Bildung von zwei neuen Seen im oberen Teil des Gepatschferners. Laut des Gutachtens besteht die Gefahr, dass Permafrost-Felsflanken in die Seen stürzen und eine Flutwelle auslösen könnten, die innerhalb von rund 30 Minuten den Gepatschspeicher erreichen könnte. Dann würde dem Tiroler Tal eine Flut-Katastrophe drohen, weswegen Haeberli ein Frühwarnsystem vorschlägt.
Um eine Katastrophe zu verhindern, seien womöglich auch Betriebsänderungen am bestehenden Kraftwerk Kaunertal nötig, heißt es in der Studie. Der geplante Speicher Platzertal könne ebenfalls zum Problem werden, da er unter einer Permafrostfläche liegt. Die Erwärmung im Zuge des Klimawandels reduziert laut Haeberli die Stabilität der Permafrostflächen und beschleunigt die Fließgeschwindigkeiten. Er rechnet in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auch mit mehr Felsstürzen, die dem Speicher gefährlich werden können. Die Regionen rund um die Ölgrubenspitze, die sich im Gebiet des Gepatsch-Stausees befindet, und der Bliggspitze seien besonders gefährdet.
Kraftwerk Kaunertal als Streitpunkt: Tiroler Landeshauptmann kritisiert WWF
WWF-Experte Maximilian Frey behauptet, dass die Planung des Kraftwerk-Ausbaus auf Daten beruht, die 15 Jahre alt sind. „Statt über einen Ausbau nachzudenken, muss das Sicherheitsrisiko für das bestehende Kraftwerk geprüft werden, denn die Sicherheit für die Bevölkerung hat in Zeiten steigender Naturgefahren Vorrang“, erklärte er bei ORF Tirol. Sein Alternativvorschlag: Die Nutzung des Kraftwerks Sellrain, das im Kühtai steht. Dort gebe es weniger Risiken durch Permafrost und Gletscherschwund.
Aus der Landespolitik kann sich der WWF von oberster Stelle wohl wenig Unterstützung erhoffen. „Der WWF ist permanent nur dagegen – vom Thema Wolf bis zur Wasserkraft“, ließ der Tiroler Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) über seinen Sprecher mitteilen. Er habe Vertrauen in die unabhängigen Verfahren, die Ingenieure und die Technik. Als einzige Alternative sieht Mattle demnach Atomstrom aus Frankreich.
Tirol: WWF-Studie zum Projekt im Kaunertal – was sagt die TIWAG?
Die TIWAG reagierte ebenfalls auf das WWF-Gutachten. „Die Sicherheit der Bevölkerung im Kaunertal ist auch künftig gewährleistet, und der Speicher Gepatsch bleibt auch mit dem neuen Pumpspeicher Versetz sicher“, wird die Vertriebs- und Stromerzeugungsgesellschaft, die ihren Sitz in Innsbruck hat, von ORF Tirol zitiert. Sie verwies zudem auf eine Untersuchung einer unabhängigen Expertenkommission des Landwirtschaftsministeriums. Von dieser sei das Projekt „im Detail überprüft und positiv begutachtet“ worden.
Mögliche Gefahren und Risiken in Hinblick auf Naturkatastrophen seien geprüft worden, versichert die TIWAG. „Die Untersuchungen zeigen, dass Muren, Steinschlag oder Lawinen die Sicherheit von Damm und Speicher nicht beeinträchtigen. Das Vorhaben Pumpspeicher Versetz ist nicht negativ von Permafrost betroffen, dies unabhängig von den unterschiedlichen Klimaszenarien“, zitiert ORF Tirol aus einer Erklärung der TIWAG.
Haeberli scheint das anders zu sehen. „Für eine Zukunft rascher und irreversibler Veränderungen im Hochgebirge müssen bei der Planung neuer Infrastrukturprojekte potenzielle Naturgefahren und damit einhergehende Sicherheitsrisiken jenseits historisch-retrospektiver Erfahrung umfassend geprüft werden“, zieht er in seiner Studie ein Fazit. Er sieht einige Aspekte, die bislang nicht ausreichend geprüft wurden und unbedingt abzuklären sind.
Übrigens: Die Erdbebengefahr macht Tirol zu schaffen. Sie ist in der Region höher als in Deutschland und im Rest Österreichs.
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