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Halle-Attentat 2019: Das Wichtigste zur Schießerei in Halle, zum Attentäter und zum Prozess mit Urteil

Amoklauf in Halle

Schießerei in Halle: Das Wichtigste zum Attentat, zum Täter und zum Prozess

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    Eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung: Dazu hat das Gericht den Halle-Attentäter Stephan Baillet (Mitte) verurteilt.
    Eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung: Dazu hat das Gericht den Halle-Attentäter Stephan Baillet (Mitte) verurteilt. Foto: Hendrik Schmidt, dpa (Archivbild)

    Eines der schlimmsten antisemitischen Attentate der deutschen Nachkriegsgeschichte wird in Magdeburg verhandelt: das Attentat auf eine Synagoge und die Schießerei in Halle. Neun Monate nach dem rechtsterroristischen Amoklauf in Halle muss sich der 28-jährige Stephan Baillet vor Gericht verantworten. Was genau ist am 9. Oktober 2019 bei der Schießerei in Halle passiert? Wer ist der mutmaßliche Attentäter von Halle? Was wird dem Täter des Amoklaufs vorgeworfen? Eine Zusammenfassung zum Attentat in Halle.

    Der Amoklauf in Halle: Was passiert ist

    Am 9. Oktober 2019 versucht ein schwerbewaffneter Mann, in die Synagoge in Halle einzudringen, in der Gläubige den höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, begehen. Als der Attentäter scheitert, erschießt er in der Nähe eine 40-jährige Passantin vor der Synagoge und einen 20-jährigen Mann in einem Dönerimbiss. Laut Bundesanwaltschaft wollte er möglichst viele der 52 Besucher der Synagoge töten. Auf der Flucht verletzt der Attentäter ein Paar schwer, bevor ihn Polizisten gut eineinhalb Stunden nach Beginn der Tat etwa 50 Kilometer südlich von Halle nahe Zeitz festnehmen konnten. Das Geschehen streamt der Halle-Attentäter live ins Internet. Das Video der Tat wurde auch im Prozess gezeigt.

    Vor der Tür zur Synagoge legten die Menschen nach der Schießerei in Halle zahlreiche Blumen und Kerzen nieder.
    Vor der Tür zur Synagoge legten die Menschen nach der Schießerei in Halle zahlreiche Blumen und Kerzen nieder. Foto: Jan Woitas, dpa (Archivbild)

    Wer ist der Halle-Attentäter?

    Stephan Baillet, geboren im Januar 1992 in der Nähe der Lutherstadt Eisleben, gilt als sogenannter einsamer Wolf. Ein Chemie-Studium brach er ab. In einem elf Seiten langen "Manifest", das er vor dem Attentat in Halle veröffentlichte, wimmelt es vor antisemitischen Begriffen. Baillet spricht etwa von einer "zionistisch besetzten Regierung" - ein klassischer judenfeindlicher Begriff aus der rechtsextremen Szene.

    "Die Tat hat keinen Bezug zu meiner Familie", sagte der 28-Jährige kurz nach Beginn des Prozesses zur Schießerei in Halle. "Man fragt sich natürlich, wie man solche Taten verhindern kann, ich habe da natürlich kein Interesse dran." Auf Nachfragen der Vorsitzenden Richterin sagte Stephan Baillet, seine Eltern hätten sich getrennt, als er 14 oder 15 Jahre alt gewesen sei. Das Verhältnis zu beiden Eltern und Schwestern sei gut. Gute Freunde habe der Attentäter von Halle nicht gehabt, er sei auch in keinem Verein gewesen.

    Halle-Attentäter war bei der Bundeswehr

    Noch bevor die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, hatte der Attentäter eine Grundausbildung bei der Bundeswehr absolviert und wurde laut Verteidigungsministerium auch an der Waffe ausgebildet. Stephan Baillet sei sechs Monate Panzergrenadier in Niedersachsen gewesen. Er habe den Wehrdienst anstrengend und doof gefunden, es sei "keine richtige Armee" gewesen.

    Bei den Sicherheitsbehörden war der Halle-Attentäter zuvor nicht in Erscheinung getreten, wie der Verfassungsschutz mitteilte. Die von ihm veröffentlichten Schriften und das live übertragene Video belegten eine antisemitische und fremdenfeindliche Grundeinstellung.

    Spezialkräfte der Polizei gehen nach Ende des ersten Prozesstages im Hof des Landgerichts Magdeburg zu ihren Fahrzeugen.
    Spezialkräfte der Polizei gehen nach Ende des ersten Prozesstages im Hof des Landgerichts Magdeburg zu ihren Fahrzeugen. Foto: Hendrik Schmidt, dpa (Archivbild)

    Diese Straftaten soll der Attentäter bei der Schießerei in Halle begangen haben

    Das Gerichtsverfahren gilt als eines der größten und bedeutendsten in der Geschichte Sachsen-Anhalts: 13 Straftaten werden dem Angeklagten angelastet, darunter Mord und versuchter Mord. 43 Nebenkläger ließ das Gericht vor Prozessbeginn zu und benannte insgesamt 147 Zeugen zum Halle-Attentat. Die Anklage der Bundesanwaltschaft umfasst insgesamt 121 Seiten. Das Gericht hatte für das Verfahren zunächst 18 Verhandlungstage bis Mitte Oktober angesetzt.

    Vor dem Prozessbeginn zur Schießerei in Halle: Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude

    Vor dem Gerichtsgebäude hatten sich Menschen aus Solidarität mit Betroffenen, Hinterbliebenen und Opfern versammelt. Die Kundgebung mit dem Motto "Solidarität mit den Betroffenen - keine Bühne dem Täter" will dafür sorgen, dass die Nebenklägerinnen und Nebenkläger nicht allein in den Prozess gehen, hieß es von den Veranstaltern. Es sei ein Ort der Trauer, der Wut und der Forderungen. Vor dem Prozessbeginn sprachen die Veranstalter von rund 100 Teilnehmern.

    Die Kundgebung und eine Mahnwache sind organisiert von einem Bündnis mehrerer Organisationen, darunter sind der Arbeitskreis Antirassismus Magdeburg, die Initiative 9. Oktober Halle, Solidarisches Magdeburg und die Seebrücke Magdeburg.

    Teilnehmer einer Kundgebung stehen mit Transparenten vor dem Landgericht Magdeburg.
    Teilnehmer einer Kundgebung stehen mit Transparenten vor dem Landgericht Magdeburg. Foto: Sebastian Willnow, dpa (Archivbild)

    Bundesanwaltschaft fordert Höchststrafe im Prozess um Halle-Anschlag

    Der Attentäter von Halle soll nach dem Willen der Anklage für den Rest seines Lebens hinter Gitter. Die Bundesanwaltschaft forderte eine lebenslange Freiheitsstrafe für den Rechtsextremisten, die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld sowie anschließende Sicherungsverwahrung. Unter anderem wegen Mordes, versuchten Mordes, Volksverhetzung und versuchter räuberischer Erpressung solle er verurteilt werden.

    Bundesanwalt Kai Lohse bezeichnete die Tat in seinem Schlussvortrag als "Alpbtraum" und sprach von einem der "widerwärtigsten antisemitischen Akte seit dem Zweiten Weltkrieg".

    Betroffener befragt angeklagten Halle-Attentäter

    Am dritten Tag des Prozesses um den rechtsterroristischen Anschlag von Halle ergriff erstmals ein Betroffener selbst das Wort. Der US-Amerikaner Ezra Waxman, der während des Anschlags in der Synagoge in Halle war und als Nebenkläger auftritt, stellte dem Angeklagten mehrere Fragen. Waxman konfrontierte den Angeklagten mit den antisemitischen Vorurteilen, die der 28-Jährige immer wieder vor Gericht ausbreitete.

    Naomi Henkel-Gümbel, Überlebende des Anschlags auf die Synagoge in Halle und Nebenklägerin im Gerichtsprozess gegen den Attentäter, spricht bei einer Pressekonferenz zum Thema «Ein Jahr nach Halle: Wie gut werden Synagogen in Deutschland geschützt?».
    Naomi Henkel-Gümbel, Überlebende des Anschlags auf die Synagoge in Halle und Nebenklägerin im Gerichtsprozess gegen den Attentäter, spricht bei einer Pressekonferenz zum Thema «Ein Jahr nach Halle: Wie gut werden Synagogen in Deutschland geschützt?». Foto: Christophe Gateau, dpa (Archivbild)

    Überlebende spricht jüdisches Gebet im Gerichtssaal

    Im Prozess um die Schießerei in Halle sprach dann auch eine Überlebende. Eine US-Amerikanerin sprach dabei ein jüdisches Gebet und gab ein emotionales Statement ab.

    "Ich werde nicht direkt zum Angeklagten sprechen", sagte die 32-Jährige. "Aber er hat sich mit den falschen angelegt. Er hat sich mit der falschen Person angelegt, mit der falschen Familie, mit den falschen Menschen." Ihr Großvater habe als einziger in der Familie den Holocaust überlebt, sagte die Frau, die in Berlin für eine jüdische Nichtregierungsorganisation arbeitet und dort seit eineinhalb Jahren lebt.

    Die Zeugin berichtete von einer posttraumatischen Belastungsstörung, die nach dem Attentat bei ihr diagnostiziert worden sein. Diese habe sie inzwischen aber überwunden.

    "Nach dem heutigen Tag wird er mir keine Qualen mehr bereiten. Das endet hier und heute", sagte die Frau. Besucher und Nebenkläger applaudierten. Sie werde Berlin wegen des Attentats nicht verlassen.

    Die 32-Jährige hatte zuvor berichtet, dass sie die Synagoge kurz vor dem Anschlag für einen Spaziergang verlassen hatte. Dann hörte sie laute Geräusche und kehrte zur Synagoge zurück, wo inzwischen schon die Polizei eingetroffen war.

    Weiterer Zeuge im Halle-Prozess schildern unfassbare Szenen

    Im Prozess um den rechtsterroristischen Anschlag von Halle schilderte ein weiterer Zeuge, wie er dem Attentäter entkommen ist. Der 57-Jährige hatte gerade in dem Döner-Imbiss zu Mittag gegessen, als der Terrorist den Laden angriff. Als die ersten Schüsse im Schaufenster des Ladens einschlugen, habe er zunächst gar nicht begriffen, was vor sich gegangen sei.

    Er sei als Naturwissenschaftler völlig fasziniert von dem zersplitternden Glas gewesen, sagte der frühere Professor, der wegen einer Konferenz in Halle gewesen war. Als der Attentäter dann den Laden betrat, habe ein anderer Gast gerufen: "Raus hier, der erschießt uns sonst alle."

    Daraufhin sei er in den hinteren Bereich des Imbisses in einen Lagerraum geflohen, dort aus einem Fenster geklettert und so in den Innenhof des Hauses gelangt. Erst dort sei ihm bewusst geworden, in welcher Gefahr er sich befand. Dass der Täter, wie auf dem Tatvideo zu sehen ist, versucht hatte, auch auf ihn zu schießen, hatte der Mann nach eigener Aussage gar nicht bemerkt.

    Ein Tor ist am Landgericht Magdeburg für Besucher geöffnet. Zum Prozess um das Attentat in Halle gibt mehrere Nebenkläger.
    Ein Tor ist am Landgericht Magdeburg für Besucher geöffnet. Zum Prozess um das Attentat in Halle gibt mehrere Nebenkläger. Foto: Hendrik Schmidt/dpa

    Was die Familie des Angeklagten sagt

    Im Prozess wollten sich die Eltern und die Halbschwester des Angeklagten nicht äußern. Die drei erklärten zu Beginn des vierten Prozesstages in Magdeburg, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Der Vater nickte seinem Sohn kurz zu, die Halbschwester wich den Blicken des Angeklagten aus. Ein Anwalt der Nebenklage versuchte, die Halbschwester, welche die gleiche Mutter hat wie der Angeklagte, davon zu überzeugen, auszusagen. Die Richterin unterband das.

    Hintergründe der Schießerei in Halle sollen aufgedeckt werden

    Deutlich wurde auch schon vor dem Prozessbeginn, dass die Nebenkläger sich vor allem eine Beleuchtung der Hintergründe erhoffen. Es gehe darum, zu klären, wie sich der Täter so radikalisieren konnte, sagte Juri Goldstein, Anwalt von Besuchern der Jüdischen Gemeinde in Halle. Es gehe um die Frage: Wie konnte jemand so viel Hass entwickeln "auf die Menschen, die er gar nicht kennt". "Wir werden versuchen, diese antisemitische Straftat so gut wie möglich aufzuklären", erklärte Goldstein.

    Die größte Herausforderung sei der Prozess selbst, so der Nebenkläger-Vertreter. "Sie müssen bedenken, es ist eine der größten und schwerwiegendsten antisemitisch motivierten Straftaten, die wir in den vergangenen Jahrzehnten hatten. Das ist Aufgabe genug."

    Es gehe darum, zu klären, wie sich der Täter so radikalisieren konnte, sagte Juri Goldstein vor dem Prozessauftakt in Magdeburg. Es gehe um die Frage: Wie konnte jemand so viel Hass entwickeln "auf die Menschen, die er gar nicht kennt". "Wir werden versuchen, diese antisemitische Straftat so gut wie möglich aufzuklären", erklärte Goldstein. Die größte Herausforderung in dem Verfahren sei der Prozess zum Halle-Attentat selbst, so der Nebenkläger-Vertreter. "Sie müssen bedenken, es ist eine der größten und schwerwiegendsten antisemitisch motivierten Straftaten, die wir in den vergangenen Jahrzehnten hatten. Das ist Aufgabe genug."

    Die Synagoge im Paulusviertel war am 9. Oktober 2019 das Ziel des Attentäters. Weil er aber nicht nach drinnen gelangte, erschoss der Täter zwei Menschen in der Nähe.
    Die Synagoge im Paulusviertel war am 9. Oktober 2019 das Ziel des Attentäters. Weil er aber nicht nach drinnen gelangte, erschoss der Täter zwei Menschen in der Nähe. Foto: Jan Woitas, dpa (Archivbild)

    Integrationsrat und Zentralrat: Das fordern Vertreter nach der Schießerei in Halle

    Zum Prozessauftakt des rechtsterroristischen Attentats von Halle forderte der Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat (BZI) die lückenlose Aufarbeitung rechtsextremer Verbindungen in dem Fall des Halle-Attentats. "Ein Gerichtsverfahren kann im Prozess gegen den Attentäter von Halle dem Angeklagten im Zweifelsfall individuelle Schuld als Strafmaß zuweisen", sagte der BZI-Vorsitzende Memet Kilic. Allerdings müssten darüber hinaus rechtsextreme Netzwerke nicht nur innerhalb der Gesellschaft, sondern vor allem innerhalb der staatlichen Institutionen aufgedeckt werden, verlangte der Grünen-Politiker.

    Hatte der Attentäter von Halle Hilfe? Zentralrat der Juden fordert Aufklärung

    Der Zentralrat der Juden in Deutschland forderte eine Bestrafung des Halle-Attentäters "mit aller Härte des Gesetzes". Ein klares Urteil über die Taten setzte ein deutliches Signal gegen Gewalt und Rechtsextremismus in Deutschland, erklärte der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, in Berlin. "Die Gesellschaft muss sich Hass und Hetze von Rechts entgegenstellen."

    Der Zentralrat halte es für unerlässlich, dass die Hintergründe der Tat gründlich und lückenlos aufgearbeitet werden. Es müsse auch der Frage nachgegangen werden, ob der Halle-Attentäter Unterstützer gehabt habe oder in rechte Netzwerke eingebunden gewesen sei. "Angesichts jüngster Rechtsextremismus-Fälle und neuer Drohschreiben des "NSU 2.0" gilt es noch genauer hinzusehen. Gerade der Staat darf in der Bekämpfung von Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus nicht nachlassen."

    Ein Jahr nach dem Anschlag: Halle gedenkt mit Blumen, Schweigen und Gebeten der Terror-Opfer

    Schweigeminuten, Blumen und Gedenktafeln: Am ersten Jahrestag des rechtsextremen und antisemitischen Terroranschlags von Halle hat die Stadt der Opfer gedacht. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief dazu auf, Haltung gegen Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit zu zeigen. Auf dem Innenhof der angegriffenen Synagoge wurde die zum Denkmal umgestaltete Tür enthüllt, die am 9. Oktober 2019 den Schüssen des Attentäters standgehalten hatte. In den Mittagsstunden versammelten sich Hunderte Menschen auf dem Marktplatz der Stadt und hielten mehrere Minuten lang zu Glockengeläut schweigend inne, um an die zwei Toten, die Verletzten und Traumatisierten zu erinnern.

    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gedenkt vor der Synagoge in Halle den Opfern des Anschlages.
    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gedenkt vor der Synagoge in Halle den Opfern des Anschlages. Foto: Hendrik Schmidt, dpa (Archivbild)

    Urteil im Halle-Prozess: Attentäter muss lebenslang ins Gefängnis

    Wie ein kleiner, beleidigter Junge hat sich der Halle-Attentäter von der Öffentlichkeit verabschiedet: Wütend warf der 28-Jährige mit trotzigem Blick eine zusammengerollte Mappe in Richtung der Nebenklage, als die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens den Prozess gegen ihn gerade geschlossen hatte. Wieso genau er das tat, war im Gerichtssaal nicht ersichtlich, gefährlich war die Situation nicht. Wenige Sekunden später knieten schon vier vermummte Wachleute auf dem Verurteilten und trugen ihn kurz darauf aus dem Saal.

    Knapp drei Stunden hatte die von der Tat sichtlich gerührte Mertens zuvor begründet, warum sie und ihre vier Kollegen vom Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht Naumburg die härteste Strafe verhängt haben, die das deutsche Recht vorsieht: Lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld.

    Attentäter von Halle hatte Tat jahrelang vorbereitet

    Jahrelang habe der Terrorist "in seinem Kinderzimmer gehockt" und seine Tat vorbereitet. Am Ende funktionierte so gut wie nichts davon: Nicht einen Einzigen der Menschen, die der Attentäter töten wollte, tötete er am Ende. Seine Waffen klemmten, seine Sprengsätze verpufften, so gut wie niemand verfolgte den Livestream der Tat im Internet. Einen Versager hatten viele Prozessbeteiligte den Attentäter immer wieder genannt - auch er selbst.

    Ein wesentlicher Teil seines Planes hat jedoch funktioniert: Er konnte sich in seinem Kinderzimmer jahrelang und minuziös auf seinen Anschlag vorbereiten, ohne dass der Staat etwas davon mitbekam. Er konnte sich Bauanleitungen und Waffenbauteile beschaffen, ohne dass auch nur ein einziger Sicherheitsmechanismus der Behörden gegriffen hätte. Sein Kinderzimmer, ein Computer, die Werkstatt seines Vaters und sehr viel Zeit haben dem Attentäter genügt, um vom Staat unbemerkt eine der schlimmsten antisemitischen Anschläge der Nachkriegszeit zu planen und zu verüben.

    Mit Computerspielen radikalisiert

    Der Attentäter radikalisierte sich zunächst mit Computerspielen. Spiele, in denen man Waffen bauen musste, in denen man als Nazi im Zweiten Weltkrieg kämpft. Die dafür zuständige Ermittlerin des Bundeskriminalamtes (BKA) musste allerdings einräumen, diese Spiele nie gespielt zu haben. Sie sei auch keine Gamerin. Niemand beim BKA hatte sich offenbar angesehen, wo genau der Terrorist die geistige Nahrung für seine abscheulichen Pläne fand.

    Der Angeklagte Stephan Balliet (Zweiter von links) sitzt am 26. Prozesstag im Saal des Landgerichts zwischen seinen Verteidigern Hans-Dieter Weber (links) und Thomas Rutkowski - umringt von Justiz-Beamten.
    Der Angeklagte Stephan Balliet (Zweiter von links) sitzt am 26. Prozesstag im Saal des Landgerichts zwischen seinen Verteidigern Hans-Dieter Weber (links) und Thomas Rutkowski - umringt von Justiz-Beamten. Foto: Hendrik Schmidt, dpa

    Neben den Onlinespielen waren außerdem sogenannte Imageboards, einfache und anonyme Foren im Internet, maßgeblich für die Radikalisierung des Mannes, wie der Prozess zeigte. Auf vielen dieser Boards tauschen sich Rechtsextreme aus und huldigen ihren Vorbildern. Das hätten die Behörden spätestens nach dem Anschlag von Christchurch im Frühjahr 2019 wissen können, denn auch diese Tat war in derartigen Foren vorbereitet und verbreitet worden. Weder bevor, noch nachdem der 28-Jährige die Tat dort angekündigt hatte, wurden diese Foren von deutschen Ermittlungsbehörden beobachtet. Der Staat verpasste somit nicht nur die Ankündigung der Tat, sondern auch die Reaktionen der Szene und möglicher Trittbrettfahrer.

    Nebenklage empört über Wissenslücken des BKA zur Schießerei in Halle

    Die Nebenklage hatte empört reagiert auf die offenbarten Wissenslücken der BKA-Ermittler. Immer wieder hatten diese Fragen nach weiteren Ermittlungsansätzen verneint - mit dem Zusatz, das sei nicht Teil der Aufgabe gewesen. Die vielen kleinen oberflächlichen Ermittlungsergebnisse zu einem Bild zusammenzusetzen, war also entweder niemandes Aufgabe beim BKA gewesen oder die Behörde hatte denjenigen dem Gericht vorenthalten.

    Richterin fordert eine Online-Polizei

    Auch Mertens ließ am Montag erkennen, dass sie auf diesem Gebiet dringenden Handlungsbedarf sieht. Die Richterin betonte wie dringlich die Einrichtung einer Online-Polizei ist, an der der Staat bereits arbeitet. Mehrere Nebenklage-Anwälte hatten nach den unbefriedigenden Aussagen der Ermittler weitere Sachverständige zum Thema beantragt. Mertens ließ fast alle zu und ermöglichte so Experten wie der Autorin Karolin Schwarz und dem Soziologen Matthias Quent, dem Gericht die Radikalisierung von Rechtsextremisten im 21. Jahrhundert zu erläutern.

    Mertens war so ziemlich die einzige Vertreterin der Bundesrepublik, die den Erwartungen der Überlebenden und Hinterbliebenen in dem Verfahren gerecht geworden ist. "Nicht selten erleben wir in der Justiz eine Sehschwäche auf dem rechten Auge", sagte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, am Montag. "Im Prozess gegen den Halle-Attentäter wurde hingegen genau hingesehen. Diese Haltung, nicht der Täter, sollte Nachahmer finden."

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