Update, Dienstag, 14.45 Uhr:
Die Zahl neuer Verdachtsfälle von Rechtsextremismus in der Bundeswehr ist im vergangenen Jahr auf 477 gestiegen. Das berichtete die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, am Dienstag in Berlin unter Berufung auf den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Der MAD-Jahresbericht für 2019 hatte 363 neue Verdachtsfälle genannt.
Auch im Bereich der sogenannten Reichsbürger/Selbstverwalter nahmen die Fälle zu - von 16 im Jahr 2019 auf nun 31. Im "Phänomenbereich" Islamismus sanken die Zahlen dagegen von 77 auf nun 31. Zur Rolle des MAD erklärte Högl: "Dieser Nachrichtendienst erfüllt bei der Extremismusabwehr eine wichtige Funktion und sollte personell weiter gestärkt werden."
Handlungsbedarf beim Thema Rechtsextremismus in der Bundeswehr
Der Anstieg zeige, dass beim Thema Rechtsextremismus weiter Handlungsbedarf in allen Bereichen der Bundeswehr bestehe, so Högl. "Es braucht Aufklärung, Sanktion und Prävention - und zwar konsequent, lückenlos und zügig. Das ist eine Daueraufgabe - in der gesamten Gesellschaft und somit auch in der Bundeswehr." Politische Bildung sei der Schlüssel und müsse "integraler Bestandteil im Dienstalltag sein".
Eine genaue Aufklärung verlangte Högl auch für die Vorwürfe gegen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK). "Ein Reformprozess wurde eingeleitet. Der jetzt bekannt gewordene Vorwurf einer "Amnestie" für Waffen- und Munitionsbesitz im KSK belastet den gesamten Prozess von Aufklärung und Reform erheblich. Wir brauchen die Aufklärung aller Sachverhalte im KSK und absolute Transparenz", hieß es in einer Mitteilung der SPD-Politikerin zu ihrem Jahresbericht.
Mehrere Skandale beim KSK
Das KSK ist in den vergangenen Jahren von mehreren Skandalen erschüttert worden, bei denen es auch um rechtsextreme Vorfälle ging. Seit vergangener Woche steht KSK-Kommandeur Markus Kreitmayr, der an der Spitze eines Reformprogramms steht, in der Kritik. Dem Brigadegeneral wird angelastet, dass Soldaten gehortete oder womöglich auch entwendete Munition in Kisten werfen konnten, ohne dass dies weitere Konsequenzen hatte. Unklar ist, seit wann das Verteidigungsministerium darüber informiert war.
Högl stellte ihren ersten Jahresbericht zur Lage der Bundeswehr nach der Übernahme des Amts vor einem Jahr vor. Die Wehrbeauftragte hilft nach Artikel 45b des Grundgesetzes dem Bundestag bei der parlamentarischen Kontrolle der Streitkräfte. Sie gilt aber auch als Anwältin der Soldaten, die sich jederzeit an sie wenden können.
Bundeswehr hilft bei Bekämpfung der Corona-Pandemie
In ihrem Bericht hielt Högl auch fest, dass die Amtshilfe in der Corona-Pandemie die Bundeswehr vor eine "riesige Herausforderung" gestellt hat. "Fast 500 Eingaben rund um die Covid-19-Pandemie zeigten, wie hoch die Belastung der Soldatinnen und Soldaten war, wie groß die Sorge um ihre Gesundheit und ihren Dienst und wie wichtig und ernsthaft ihre Anliegen zur Bewältigung dieser Krise waren."
"Das vorbildliche Engagement bei der Amtshilfe sollte durch eine Einsatzmedaille ausgezeichnet werden", so Högl weiter. "Wo zivile Institutionen und Strukturen an ihre Grenzen kommen, kann die Bundeswehr unterstützen, sie kann die personellen Defizite jedoch nicht ersetzen. Wir sollten aus dieser Pandemie Lehren ziehen und prüfen, wie der Bevölkerungsschutz und die Katastrophenhilfe verbessert werden können."
Die Zahl der Neueinstellungen sei im Jahr 2020 zurückgegangen - "sicherlich auch pandemiebedingt", schrieb Högl weiter. Die Bundeswehr habe 16 430 Männer und Frauen neu hinzugewonnen, 19 Prozent weniger als im Vorjahr. Auch die Ausstattung der Bundeswehr und deren Rahmenbedingungen - ein Standardthema im Bericht des Wehrbeauftragten - wurden von Högl kritisiert: "Zu wenig Material, zu wenig Personal, zu viel Bürokratie. Das ist inakzeptabel."
Verteidigungsministerin warnt vor voreiliger Ablöse des KSK-Kommandeurs
Der Deutsche Bundeswehrverband hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) vor einer voreiligen Ablösung des KSK-Kommandeurs Markus Kreitmayr gewarnt. "Ich kenne Brigadegeneral Markus Kreitmayr als äußert integren, pflichtbewussten Offizier. Er ist energisch gegen die beim KSK bekannt gewordenen Missstände vorgegangen und hat einen wesentlichen Kulturwandel eingeleitet", sagte der Bundesvorsitzende des Verbands, Oberstleutnant André Wüstner, der Deutschen Presse-Agentur.
Soldaten sollen Munition gehortet haben
Der Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK) steht in der Kritik, weil Soldaten vergangenes Jahr die Möglichkeit erhalten haben sollen, unerlaubt gehortete oder womöglich auch gestohlene Munition auf dem Gelände der KSK-Heimatkaserne in Calw (Baden-Württemberg) in Kisten einzuwerfen und ohne weitere Strafen zurückzugeben. Kreitmayr führt das Kommando, das durch eine Reihe rechtsextremer Vorfälle in die Schlagzeilen geraten war, seit 2018.
Wüstner sagte, dass im Falle des Verdachts auf ein Dienstvergehen ermittelt werde, sei selbstverständlich. "Sollte Markus Kreitmayr allerdings - wie jetzt von Medien berichtet - von der Ministerin abgelöst werden oder gar erneut die Auflösung des KSK zur Debatte stehen, ohne dass vorher umfassend ermittelt worden wäre, befürchte ich einen größeren Vertrauensverlust in den Streitkräften."
Er wolle sich nicht vorstellen, dass Kramp-Karrenbauer in das "alte Fahrwasser" ihrer Vorgängerin Ursula von der Leyen gerate. Damals habe man den Eindruck gewinnen können, "dass Bauernopfer als vermeintliches Zeichen von Führungsstärke wichtiger waren als Aufklärung und Einordnung der Sachlage".
"Falsche Buchung und falsche Lagerung von Munition fanden von da aus gesehen eindeutig in der Vergangenheit statt"
In der Bundeswehr und bei verbündeten Streitkräften sei es schon früher möglich gewesen, Munition ohne Strafe zurückzugeben. "Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer hat im vergangenen Sommer gesagt, dass die Bewährung des KSK mit Blick auf Vorfälle in der Zukunft liege", so Wüstner. "Falsche Buchung und falsche Lagerung von Munition fanden von da aus gesehen eindeutig in der Vergangenheit statt. In diesem Zusammenhang bin ich über Äußerungen aus dem Ministerium überrascht, dass man bisher nicht von den Maßnahmen im KSK erfahren habe. Insgesamt sei angemerkt, dass es derartige Maßnahmen bereits in der Bundeswehr gab und diese Bestandteil des Umgangs mit Überbeständen in Streitkräften verbündeter Nationen."
Die AfD warnte unterdessen am Dienstag vor Schritten zu einer Auflösung des KSK. Die Verantwortung für die Lage der Truppe liege in der Führung sowie im Verteidigungsministerium, sagte Rüdiger Lucassen, verteidigungspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion und Obmann im Verteidigungsausschuss, am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur.
Umfangreicher Kontrollverlust in der Führung des KSK
"Wir haben es mit einem umfangreichen Kontrollverlust in der Führung des KSK zu tun. Ich führe dies auch unmittelbar auf das Unverständnis der politischen Leitung für die Bedürfnisse eines solchen Spezialverbands zurück", sagte Lucassen. "Im Ergebnis steht der Fortbestand des KSK immer mehr zur Disposition. Das wäre der Super-GAU für die Bundeswehr und die Sicherheit Deutschlands. Dafür trägt dann allein die politische Leitung die Verantwortung."
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