Geht es um die Leistungen der Pflegeversicherung, wird fast immer über Verbesserungen, Erhöhungen oder Entlastungen gesprochen. So wurden etwa im Januar 2025 alle Geld- und Sachleistungen um 4,5 Prozent erhöht, im Juli wurde das Entlastungsbudget für eine einfachere Finanzierung der Kurzzeit- und der Verhinderungspflege eingeführt und auch die neue Regierung will die Pflege mit einer Reform verbessern sowie pflegende Angehörige entlasten.
Dass Leistungen gekürzt werden sollen, war eigentlich nie Thema – zumindest bislang. Das könnte sich jetzt aber ändern: Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtet, verbirgt sich hinter einer Formulierung im Koalitionsvertrag von Union und SPD nämlich ein Hinweis auf mögliche Leistungskürzungen. Was das konkret bedeutet, lesen Sie hier.
Übrigens: Anfang 2025 wurde der Pflegebeitrag um 0,2 Prozentpunkte erhöht, um eine Pleite der Pflegeversicherung zu verhindern. In der Diskussion um die Finanznot der Pflegekasse geht es auch um versicherungsfremde Kosten, die in der Vergangenheit übernommen wurden.
Pflegereform mit Karenzzeit: Was plant die neue Regierung?
Vom demografischen Wandel über steigende Pflegefallzahlen, zu hohen Pflegekosten bis hin zu Finanzierungsnot in der Pflegeversicherung: Im Bereich der Pflege steht Deutschland vor immer größer werdenden Problemen, und die sollen jetzt politisch gelöst werden. Laut Koalitionsvertrag will die schwarz-rote Regierung eine „große Pflegereform“ mit einem Mix aus kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen auf den Weg bringen.
Dafür soll eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Ministerebene zusammen mit kommunalen Spitzenverbänden Grundlagen erarbeiten. Wohin der Weg in etwa gehen soll, ist im Koalitionsvertrag mit Arbeitsaufträgen an diese Kommission bereits festgelegt. Einer davon: Es sollen „Nachhaltigkeitsfaktoren (wie beispielsweise die Einführung einer Karenzzeit)“ geprüft werden.
Was bedeutet das aber genau? Der Begriff Karenzzeit ist etwa aus dem Bürgergeld bekannt. Im Kontext der Sozialleistung ist damit laut der Bundesagentur für Arbeit eine Art Schonfrist im ersten Jahr des Leistungsbezugs gemeint. Das eigene Vermögen wird dann nur berücksichtigt und angerechnet, wenn es erheblich ist. Im Versicherungskontext bedeutet Karenzzeit aber etwas anderes – geschont wird hier eher der Geldbeutel der Versicherung. Laut dem Vergleichsportal Verivox ist mit dem Begriff nämlich der Zeitraum zwischen Eintritt des Schadenfalls und dem Anspruch auf eine Leistung gemeint. Und genau so könnte auch die „Einführung einer Karenzzeit“ in der Pflegeversicherung aus dem Koalitionsvertrag verstanden werden.
Bei einer Umsetzung der Idee könnte das laut dem RND bedeuten, dass Menschen mit einem Pflegegrad von 1 bis 5 nicht ab Tag eins ihrer Pflegebedürftigkeit Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen könnten. Die Pflegekasse, die ohnehin nur einen Teil der Kosten übernimmt, würde dann erst ab einer gewissen Frist zahlen. Bis dahin müssten Pflegebedürftige ihre Pflege komplett selbst finanzieren.
Karenzzeit in der Pflegeversicherung: Dieser Ökonom hatte die Idee bereits vor Jahren
Mehr zu einer möglichen Umsetzung oder der tatsächlichen Frist einer Karenzzeit in der Pflegeversicherung ist im Koalitionsvertrag nicht zu finden. Neu ist die Idee aber nicht. Wirtschaftswissenschaftler und Ökonom Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg hat den Vorschlag bereits 2010 in einem Blogbeitrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) vorgestellt.
Demnach gebe es für eine ausgeglichene Finanzsituation in der Pflegeversicherung nur zwei Optionen: „Der einfachste Weg wären Beitragssteigerungen. Doch angesichts der ohnehin schon hohen Abgabenbelastung mit Steuern, Rente und Gesundheit ist das keine wünschenswerte Reformoption. Bleibt also nur, den Rotstift auf der Leistungsseite anzusetzen“, erklärte der Ökonom schon vor 15 Jahren und schlug eine Karenzzeit von ein bis drei Jahren vor.
Gegenüber dem RND zeigte sich Raffelhüschen nun erfreut, dass der Vorschlag im Koalitionsvertrag aufgegriffen wurde. Eine Karenzzeit könne demnach für mehr Generationengerechtigkeit sorgen. Die Pflegeversicherung in ihrer aktuellen Form bezeichnet der Professor als „Schneeballsystem zu Lasten künftiger Generationen“. Schon bei ihrer Einführung 1995 sei – bedingt durch den demografischen Wandel – klar gewesen, dass immer weniger Beitragszahler immer mehr Pflegebedürftige finanzieren müssen. Trotzdem seien Pflegeleistungen ausgebaut und erhöht worden. „Den jüngeren Menschen ist nicht vermittelbar, warum sie bald einen Beitragssatz von sieben oder acht Prozent zahlen sollen, während die ältere Generation die Leistungen quasi als Geschenk bekommt. Denn sie haben nur wenige oder gar keine Beiträge eingezahlt“, sagte der Ökonom dem RND.
Weitere Beitragssteigerungen sind für Raffelhüschen keine Option. Stattdessen: „Wir müssen an die Ausgaben ran, damit die Pflegeversicherung bezahlbar bleibt.“ Dafür schlägt er eine Karenzzeit von mindestens einem Jahr vor. Die Pflegekosten für diesen Zeitraum – „Wir sprechen von einer Größenordnung von maximal etwa 50.000 Euro“, schätzt er – könne der überwiegende Teil der Bevölkerung aus Ersparnissen bezahlen. Wer damit überfordert sei, sei bedürftig und hätte Anspruch auf Unterstützung in Form von Hilfe zur Pflege.
Geht es nach Raffelhüschen, müsste eine mögliche Karenzzeit schrittweise eingeführt werden. Zu Beginn könnte sie nur drei Monate betragen und dann nach und nach auf ein Jahr verlängert werden. Dass das reicht, glaubt der Experte aber nicht. Dem RND sagte er: „Eventuell könnte es nötig sein, die Karenzzeit auf bis zu zwei Jahre auszudehnen, um tatsächlich eine nachhaltige Finanzierung zu erreichen.“
In welcher Form und ob es tatsächlich zur Umsetzung einer Karenzzeit in der Pflegeversicherung kommt, wird sich zeigen. Für Pflegebedürftige würde ein solcher Schritt aber eine deutliche Kürzung von Leistungen bedeuten. Das könnte zu einem großen Kritikpunkt werden.
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