Mit ihrer Zustimmung zu einem Asylpapier der Union hat die AfD heftige Turbulenzen im Bundestag ausgelöst und CDU-Chef Friedrich Merz schwer unter Druck gesetzt. Die Rechtspopulisten verhalfen dem Unions-Kanzlerkandidaten bei einer Abstimmung im Parlament zu einer Mehrheit für seinen „Fünf-Punkte-Plan“, der Verschärfungen in der Migrationspolitik fordert. Die Sitzung wurde daraufhin unterbrochen. Vertreter der anderen Parteien sprachen von einem „historischen Ereignis“ und warfen Merz Wortbruch vor. Die Abstimmung hat keine praktischen Folgen, da es lediglich um einen Appell an die Bundesregierung, nicht aber um ein Gesetz geht. Die Symbolkraft indes ist drei Wochen vor der Bundestagswahl hoch. Bereits am Freitag droht eine Wiederholung des Szenarios – allerdings mit konkreter Folgewirkung. Dann steht das „Zustrombegrenzungsgesetz“ auf der Tagesordnung. Die AfD will erneut zustimmen, während SPD und Grüne Ablehnung signalisieren.
Merz wirkte nach der Abstimmung sichtlich angeschlagen und verteidigte sich. „Ich suche in diesem Deutschen Bundestag keine anderen Mehrheiten als die in der demokratischen Mitte unseres Parlaments“, sagte er und ergänzte: „Wenn es hier heute eine solche Mehrheit gegeben hat, dann bedauere ich das.“ Zugleich versuchte sich Merz in der Offensive. Niemand könne seiner Fraktion das Recht absprechen, Anträge zur Abstimmung zu stellen, „die wir in der Sache für richtig halten“. Dabei werde es bis Freitag bleiben. Ein weiterer CDU/CSU-Entschließungsantrag mit 27 Vorschlägen zum Thema Innere Sicherheit wurde abgelehnt.
Merz und AfD sorgen für Unruhe im Bundestag
SPD und Grüne beantragten als Reaktion gleichwohl eine Sitzungsunterbrechung. Man könne jetzt nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Die Union sei „aus der parlamentarischen Mitte dieses Hauses ausgebrochen“, kritisierte er. Grünen-Fraktionschefin Britta Hasselmann unterstellte Merz, das Ergebnis billigend in Kauf genommen zu haben. „Sie haben das zu verantworten“, rief sie dem Oppositionsführer zu. Das Ergebnis schmerze besonders, weil man nun in „die feixenden Gesichter der AfD“ blicke.
Die AfD frohlockte in der Tat. AfD-Fraktionsgeschäftsführer Bernd Baumann erklärte: „Das ist wahrlich ein historischer Moment, Herr Merz. Sie haben geholfen, den hervorzubringen.“ Die „Gegenbewegung“ in anderen westlichen Ländern sei jetzt auch in Deutschland angekommen, meinte Baumann. „Und das bedeutet das Ende der rot-grünen Dominanz auch hier in Deutschland für immer. Jetzt und hier beginnt eine neue Epoche. Jetzt beginnt etwas Neues.“ Merz könne dem folgen, „wenn Sie noch die Kraft dazu haben“, höhnte Baumann.
Kirchen kritisieren die Unionspläne
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Merz zuvor vorgeworfen, mit seinem Vorgehen an den Grundfesten der Republik zu rütteln. „Seit Gründung der Bundesrepublik vor über 75 Jahren gab es immer einen klaren Konsens aller Demokratinnen und Demokraten: In unseren Parlamenten machen wir mit extremen Rechten nicht gemeinsame Sache“, sagte er im Parlament. Der SPD-Politiker verwies zudem auf einen Brandbrief der Kirchen. Diese verweisen auf das Fairnessabkommen der Parteien zur Bundestagswahl, in dem es heißt: „Mit der AfD und mit Parteien, die nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen, wird es keinerlei Zusammenarbeit geben.“ Dieser Konsens ist nach Meinung der Kirchen in Gefahr. „Wir befürchten, dass die deutsche Demokratie massiven Schaden nimmt, wenn dieses politische Versprechen aufgegeben wird“, schreiben sie.
Scholz nahm den Vorwurf der Kirchen auf und forderte Merz auf, von seinen Plänen für eine schärfere Asylpolitik Abstand zu nehmen. „Sie haben gesagt, es wäre Ihnen gleichgültig, wer Ihren rechtswidrigen Vorschlägen zustimmt“, sagte der Kanzler. „Aber es ist nicht gleichgültig, ob man mit den extremen Rechten zusammenarbeitet.“ Merz hingegen rief SPD und Grüne auf, am Freitag für das Unions-Gesetz zu stimmen und erklärte erneut: „Eine richtige Entscheidung wird nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmen. Sie bleibt richtig.“
Nach Attacke von Aschaffenburg: Scholz erhebt schwere Vorwürfe
Scholz erhob mit Blick auf die Messerattacke von Aschaffenburg zudem schwere Vorwürfe gegen die bayerische Landesregierung und warf den Behörden des Freistaats Vollzugsdefizite vor. Die Ermordung eines Zweijährigen und eines Mannes in Aschaffenburg sowie weitere Straftaten in Mannheim, Solingen und Magdeburg hätten „mit den bestehenden und von uns verschärften Gesetzen verhindert werden können“, sagte er. Allerdings hätten Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt Aufklärung versprochen und sich bereits gekümmert. „Umso irritierender ist es dagegen, wie sich die bayerische Staatsregierung aus der Affäre ziehen will, indem sie mit dem Finger auf andere zeigt“, meinte der Kanzler.
Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann wies das zurück. Der Täter von Aschaffenburg, ein 28-jähriger Afghane, sei auch wegen einer Vorgabe bulgarischer Behörden noch in Deutschland gewesen, erklärte der CSU-Politiker im Innenausschuss des bayerischen Landtags. Die bayerischen Behörden seien für eine rechtskonforme Abschiebung vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu spät informiert worden. Deshalb sei er „etwas überrascht“, dass Scholz „in freier Erfindung“ den bayerischen Behörden Vorwürfe mache.
Scholz hingegen erklärte, der Vollzug des Ausländerrechts, die polizeiliche Gefahrenabwehr, die Organisation von Abschiebungen sowie der Schutz der Allgemeinheit vor psychisch kranken Gefährdern sei Aufgabe der Länder. Dem BAMF in Nürnberg gab er eine Mitschuld. Die Behörde hätte „schneller sein müssen“.
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